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Marco Hagemann: Torschrei schlägt Anekdote

Seit 2004 arbeitet Marco Hagemann für den Bezahlfernsehsender „Sky“. Jetzt scheint der 34-Jährige in der Spitze der Stimmartisten angekommen, Ein Gespräch über Floskeln, Trends und Gefühle.

blog trifft ball: Marco Hagemann, welche Live-Formulierung täten Sie sich am liebsten verkneifen, flutscht Ihnen aber dennoch ab und zu raus?
Marco Hagemann:
‚Die legen los wie die Feuerwehr‘. Eine absolute Floskel, die ich schnell wieder aus meinem Kopf verdrängen muss. Die ist mir erst kürzlich, nach langer, langer Zeit mal wieder rausgerutscht.

blog trifft ball: Was war Ihr geschmeidigster Satz während eines Fußballspiels?
Hagemann:
Ui, da fällt mir spontan gar keiner ein. Ich formuliere immer spontan, so dass keine Formulierung standardisiert ist. Vielleicht war eine Formulierung, die mir gerade einfällt, ganz gut, als ich bei einem Spiel mit Diego Forlan sagte, Forlan, der läuft und läuft und läuft, der uruguayische Forrest Gump.

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blog trifft ball: Das Portal „kickwelt.de“ notiert sie aktuell auf der Pole-Position der deutschen Fußballkommentatoren. Wie lautet nun Ihre Erfolgsformel?
Hagemann: Ich glaube, es gibt keine wirkliche Erfolgsformel. Man sollte authentisch bleiben. Ich habe einfach Spaß an allen Fussballspielen beziehungsweise auch Tennis-Matches. Jedes Mal packt mich die Begeisterung, auch schon während der Vorbereitungszeit. Man sollte sich nicht zu wichtig nehmen, denn das Spiel steht absolut im Vordergrund. Mich freut es, wenn meine Kommentare gut ankommen, denn ich versuche immer Leidenschaft und Emotionen zu präsentieren. So bin ich auch als Mensch.

kickwelt.de: Die Kommentatoren-Bewertung

blog trifft ball: Wie viel Typ Hagemann steckt in Ihrer Arbeit? Und wie viel haben Sie sich von erfahrenen Kollegen abgeschaut?
Hagemann:
Der komplette Typ Hagemann steckt in meiner Arbeit. In der Zwischenzeit habe ich meinen eigenen Stil, ziehe den durch, versuche mich natürlich stets weiterzuentwickeln. Lese viel, um auch den Wortschatz immer zu verbessern. Aber ich überlege mir keine Formulierungen vor einem Spiel, die ich dann verwende. Alles ist spontan.

blog trifft ball: Haben Sie sich von niemanden beeinflussen lassen?
Hagemann:
Ich nehme gerne Kritik von engen Freunden auf. Wenn sie es tun würden, würde ich auch bei Marcel Reif oder Tom Bayer genau hinhören – weil diese beiden Kollegen etliche Jahre in diesem Job weilen und eine große Menge an Erfahrung mitbringen. Aufkommende Kritik, natürlich auch von den Chefs, nehme ich an, mache mir Gedanken, lasse die Kritik wirken, doch total verbiegen lasse ich mich nicht, denn ich will ja Marco Hagemann bleiben, meinem Stil treu bleiben.

blog trifft ball: Welche Informationen liefern Sie dem Zuschauer lieber: Den enthusiastischen Torschrei oder eine opulente Hintergrundanekdote?
Hagemann:
Ein Torschrei ist doch das Salz in der Suppe. Da werden Emotionen verbreitet. Ich mag opulente Geschichten nicht so. Klar gehören Anekdoten zu einem Kommentar, doch ich finde, sie sollten kurz und bündig sein. Letztlich ist das, was auf dem Rasen passiert das Wichtigste. Deswegen eher Torschrei, denn Anekdote.

blog trifft ball: Wie viel investigativer Journalismus steckt in der Kommentatorenarbeit?
Hagemann:
Nun, aufgrund der Anzahl der Live-Kommentare bleibt gar nicht so viel Zeit, um wirklich investigativen Journalismus durchzuführen. Dazu würde auch der Besuch von Trainingseinheiten gehören, jeden Tag am Trainingsplatz stehen, nahezu täglicher Kontakt mit den Verantwortlichen. Ich denke, wir recherchieren alle tiefgründig, telefonieren vor jedem Spiel, wenn es geht, mit den Trainern, auf jeden Fall mit den jeweiligen Pressesprechern, mit Kollegen des ansässigen Lokalsports, lesen alle Presseartikel, lesen alles, was uns in die Finger kommt, doch um ins letzte Detail gehen zu können, müsste man auch oft am Trainingsplatz der jeweiligen Mannschaften stehen. Das ist nicht umsetzbar. Somit würde ich sagen, wir alle sind richtig gut vorbereitet, aber nicht ins letzte Detail, weil der tägliche Austausch vor Ort fehlt.

blog trifft ball: Geht der Trend zu noch mehr Torschrei, weil es noch lauter und noch emotionaler werden muss? Oder sehen Sie eine Entwicklung zurück zum gebremsten Ton?
Hagemann:
Wie oben schon erwähnt, sollte jeder Kommentator seinen eigenen Stil entwickeln. Es geht nicht darum, stets zu brüllen, immer aufs Gas zu treten. Wenn schon beim 1:0 ausgerastet wird, was soll denn noch für eine Steigerung beim 4:3 kommen? Man muss die Spiele auch einschätzen können. Emotionen zeigen, wenn sie angebracht sind. Also fände ich eine Mischung gut, aber ich glaube eine Entwicklung zu sehen, die lauter wird. Manchmal unangemessen laut.

blog trifft ball: Können Sie in vier, fünf Sätzen erklären, wie Ihre Vorbereitung vor einem Bundesligaspiel abläuft? Ihr Kollege Fritz von Thurn und Taxis erwähnt häufig, dass er vor dem Anpfiff noch ausführliche Gespräche mit den Trainern führt.
Hagemann:
Ja, ich versuche das genauso wie Kollege von Thurn und Taxis umzusetzen. Ansonsten viele Telefonate führen, viel im Internet recherchieren, die von Opta Daten gelieferte Statistik-Mappe (circa 90 Seiten) zu analysieren, das Wichtigste herauszuschreiben. Vor Ort dann tatsächlich die Trainer sprechen oder eben Co-Trainer oder Pressesprecher.

blog trifft ball: Fast jeder Kommentator kommentiert mit einem stillen Redakteur. Inwieweit steht Ihnen der Kollege zur Seite?
Hagemann:
Gar nicht. Es gibt im Stadion an meiner Seite „nur“ einen Statistik-Kollegen von Opta Sports Daten. Er fungiert mehr oder weniger als mein Assistent. Aber einen festen, der immer mit mir in den jeweiligen Stadien ist, gibt es bei mir nicht.

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blog trifft ball: Fußballspieler berichten, dass ein Spiel vor 80.000 Anhängern in Dortmund ein unbeschreibliches Gefühl auslöst. Ihre Stimmen hören mehrere Millionen Menschen. Beschreiben Sie Ihren Gemütszustand währenddessen.
Hagemann:
Der Gemütszustand ist immer der gleiche, angespannt, nervös, aufgeregt, pure Neugierde, auf das, was kommt. Ich mache mir keine Gedanken, wie viele Menschen mir gerade zuhören. Und wenn es nur ein einziger wäre, hat selbiger von mir eine Top-Leistung zu bekommen, wie drei Millionen. Da mache ich überhaupt keine Unterschiede.

blog trifft ball: Zum Schluss: Wem hören Sie lieber zu: Marcel Reif, Frank Buschmann oder Wolff-Christoph-Fuss?
Hagemann:
Jeder hat seine Vorzüge.

blog trifft ball: Und der Klassiker unter den Fragen: Welches war Ihr bislang schönstes Spiel als Kommentator?
Hagemann:
Oh, da gibt es viele. Aber das schönste war mein Allererstes! September 2004 Serie A, Juventus gegen Palermo. Danach folgt das Europa-League-Halbfinale an der Anfield Road vor Ort: Liverpool gegen Madrid! Aber das Allererste wird mir immer im Gedächtnis bleiben.

Benny Semmler

Papa, Blogger, Mitgründer FRISCHER FILM, Seniorenspieler USC Paloma, Mitglied UnterstützerClub des FC St. Pauli, Towers-Fan und Gotnexxt.de-Follower.