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VfB Lübeck | Die Stadt ist gierig

Interview | Jörg Franke gilt als alter Hase seiner Zunft. Der 53-Jährige hat sich 20 Jahre im Hamburger Fußball gestählt für größere Aufgaben. Im großen BtB-Interview spricht der Lübecker Manager über Altlasten, mündige Spieler und den Traum vom Profifußball.

Fragen | Martin Sonnleitner und Benny Semmler
Antworten | Jörg Franke, VfB Lübeck

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Herr Franke, der VfB Lübeck stand 2008 vor dem Ruin, beantragte die Insolvenz. In welchem Zustand war der Klub, als Sie 2009 als Manager an der Lohmühle begonnen haben?
Die Krise war sozusagen am Abebben. Es waren schon die ersten Maßnahmen eingeleitet. Der Insolvenzverwalter hat noch meinen Vertrag unterschrieben. Dann hat es sich beruhigt, auch wenn wir immer noch unter den Altlasten leiden. Wir haben das aber im Griff. Für mich ist am wichtigsten, dass die Spieler jeden Monat ihr Geld kriegen, das ist wichtig. Das haben wir mit geringen Mitteln hingekriegt, das läuft. Und das wissen die Spieler, die zu uns kommen.

Trotzdem hat sich der VfB als ambitionierter Viertligist doch zwischen Amateur- und Profifußball eingenistet?
Ja, keine Frage. Das ist kein Vergleich zu Holstein Kiel. Wir müssen mit jedem Hundert-Euro-Schein kalkulieren. Da kommt ein Spieler zum Probetraining aus Frankfurt und muss bei uns übernachten. Da müssen wir uns fragen: Kriegen wir das hin oder nicht? Daran sieht man, wie der finanzielle Status bei uns ist.

Wie hoch ist der Etat?
Der Etat für den Spielerkader liegt bei 1,1 Millionen Euro. Trotzdem hat letztes Jahr nur einer bei uns voll gearbeitet. Das geht schon in Richtung Profitum. Die machen dann 400-Euro-Jobs bei Sponsoren von uns, um sich das Leben in Lübeck leisten zu können.

Klingt bescheiden. Immerhin war Lübeck vorige Saison lange ganz oben mit dabei, schloss in der Tabelle auf einem formidablen dritten Rang in der Regionalliga ab.
Wenn du mal oben gewesen bist, dann willst du da wieder hin. Das ist doch klar. Dass Lübeck solange zweite oder dritte Liga spielte, ist in den Köpfen drin. Das Umfeld hat das im Hinterkopf. Das Stadion war voll, man kennt das. Als ich mit Altona 93 2007 in die Regionalliga aufgestiegen bin, war das anders, da herrschte große Verunsicherung. Das sind hier andere Dimensionen. Wir hätten den Aufstieg in Liga drei auch mitgenommen, keine Frage, auch wenn der Verein noch nicht ganz so weit ist. Finanziell noch nicht. Der Rest stimmt aber.

Noch mal zurückgeblickt: Was war damals das Problem?
Es gab nur einen Hauptsponsor. Es war ein Bauunternehmer, der alles bestimmt hat. Es wurde nur Geld ausgegeben, aber kein Controlling ausgeübt. Da fehlten die Kontrollmechanismen. Die Spielergehälter explodierten. So hat man jahrelang gewirtschaftet, irgendwann war das Loch zu groß.

Mussten Sie da eingenordet werden, kühl hanseatisch zu kalkulieren, oder liegt das als Hamburger in Ihrem Naturell, sind Sie einfach auch kein Zampano?
Bis auf TuS Hoisdorf und VfL 93, zumindest im ersten Jahr, hatte ich nur Vereine, mit einem geringen Etat. Es war für mich kein Neuland, mit wenig Geld auszukommen.

Noch mal zum Vergleich mit Kiel. Sind die „Störche“ weiter und dem VfL voraus?
Finanziell ist Kiel uns seit Jahren voraus. Die haben zwei Hauptsponsoren, mit denen sie seit Jahren zusammenarbeiten, ohne dass sie den sportlichen Erfolg hatten. Die sind mit einem Riesenetat in Liga drei sang- und klanglos untergegangen.

Als Manager könnten Sie sich dort richtiggehend austoben, oder?
Möglicherweise. Aber ich glaube, wir sind in gewissen Bereichen einfach weiter – was die Entwicklung der Mannschaft angeht, auch die Strukturen im Verein. Ich finde, das Kiel bei den Möglichkeiten, die sie haben, zu wenig draus macht. Das ist von den Möglichkeiten eigentlich Zweitliga-reif. Wir waren aber mit der Hälfte des Etats drei Plätze besser.

Muss Schleswig Holstein als Bundesland nicht mindestens einen Vertreter im Profifußball haben?
Auf alle Fälle, das ist ganz wichtig. Der Norden ist da ja gar nicht vertreten, das ist notdürftig, was da läuft. In Kiel haben sie das Problem mit dem THW Kiel im Handball, der viel wegnimmt. Die Nähe zu Hamburg hingegen sehe ich als Vorteil an.

Sie scouten ja als alter Fahrensmann des Hamburger Fußballs viel hier.
Ja, klar, das ist ein Vorteil, Hamburg mit den vielen Oberligaklubs in der Nähe zu haben und sich hier in der Szene auch noch auszukennen. Ich habe hier ja fast 20 Jahre gearbeitet, kenne die Spieler von der Jugend an. Wir haben es uns auf die Fahnen geschrieben, die Spieler eigentlich aus dem Lübecker Umfeld zu holen, zumindest aus Norddeutschland. Hamburg, Schwerin, Bremen sind da als Städte mit guter Fußballstruktur natürlich bevorzugte Quellen.

Ist die Hamburger Oberliga stark genug, um Qualität für den VfB zu rekrutieren?
Ein Oberligaspieler aus Hamburg oder auch Schleswig Holstein muss schon überragend sein, um es schaffen zu können. Das Niveau in der Regionalliga ist deutlich höher. Bei den Topleuten ist es aber ein Problem, sie zu kriegen.

News, Nicht-News, Transfers und Gerüchte rund um den Hamburger Amateurfußball

Sie meinen Spieler wie den 19-Jährigen Jordan Brown von Eintracht Norderstedt?
Zum Beispiel. An dem waren sie alle dran, wir auch. Dann haben die HSV-Amateure aber zugeschlagen. Wir beobachten den Hamburger Oberliga-Markt mit seinen Talenten genau. An Kemo Kranich vom Wedeler TSV waren wir auch dran, der ist zu Hannover 96 II gegangen. Die Konkurrenz schläft ja nicht. Andrerseits müssen wir auf unseren eigenen Nachwuchs achten, C-, B- und A-Jugend spielen ja Regionalliga, die B war in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga, da kommen regelmäßig Talente über unsere Zweite hoch in die Regionalliga. Der Transfermarkt ist bei allen Schwankungen überschaubar, wir sind ja wie gesagt nicht der einzige handelnde Akteur. Ein Transfercoup ist da schwierig.

Mit dem 18-Jährigen Tarik Cosgun ist Ihnen allerdings ein großes Talent ins Netz gegangen.
Ja, Tarik ist ein Glücksgriff. Er kam ja als 17-Jähriger zu uns und machte gegen Hertha vor ein paar Wochen sein erstes Tor für uns. Eine tolle Geschichte für alle.

Als umtriebiger Manager müssen Sie ja ständig Perlen wie Tarik suchen – gerade in der jetzigen Transferhochphase. Wie viele Gespräche führen Sie so?
30 bis 35 pro Saison. Man nimmt aber ja nicht jeden, der Markt ist auch extrem übersättigt. Meistens scouten wir die Spieler, ohne Berater dazwischen zu haben, nehmen persönlich Kontakt auf oder sehen uns auch Videos an. Eines ist wichtig: Kicken können sie alle in diesem Bereich, der Spieler muss aber einen guten Charakter haben.

Hilft da Ihre berufliche Erfahrung, Sie arbeiten als Polizist im Kommissariat für Verkehrsdelikte, die Dinge zu filtern und zu rastern?
Ja, auf alle Fälle, ich habe im Personalbereich bei der Polizei gearbeitet, das hilft auf alle Fälle. Ich gehe da aber nicht voreingenommen rein. Das persönliche Gespräch ist wichtig. Entscheidend ist, dass jemand offen ist, wie er rüber kommt, spricht, ob er vernünftige Fragen stellt. Es gibt dabei hundert verschiedene Arten von Gesprächen, wichtig ist, dass der Spieler gewillt ist, sich zu entwickeln. Einige tauen erst im Laufe der Zeit auf, dass muss aber auch so sein, du kannst nicht nur elf Lautsprecher haben.

Zurück zum Sportlichen: Letzte Saison lief wider Erwarten gut mit Platz drei, nun werden bescheidenere Ziele postuliert. Es hat ja auch ein großer personeller Umbruch stattgefunden. Musste das sein?
Zum einen mussten wir sparen, konnten den Kader in der Form nicht halten. Zum anderen wussten wir, gegen die große Konkurrenz, Vereine wie RB Leipzig keine Chance zu haben, aber auch nicht absteigen können. Das ist ein Mischmasch aus diesen beiden Sachen, warum wir gesagt haben, wir fahren runter. Wir hätten einige Spieler gerne behalten, aber zu unseren Konditionen. Einige Spieler hatten andere Ansprüche, deshalb ist es fast wie ein Neuaufbau.

Was ist in dieser Saison drin?
Ein Platz zwischen sechs und neun ist realistisch. Die ersten drei Plätze sind an Kiel, Halle und Leipzig vergeben. Dann kommt Wolfsburg II.

Wie sieht es mit dem Zuschauerzuspruch aus?
Das hat sich in den letzten Jahren auf 2500 eingependelt. Ich befürchte, es wird ein wenig zurückgehen. Wenn du als Siebter gegen den 13ten spielst, geht es um nichts, das ist ein Problem. Das ist schwer, da eine Euphorie aufrechtzuerhalten. Aber soll ich 300.000 mehr in die Hand nehmen, um Fünfter zu werden?

Wie sieht da die Strategie aus, trotzdem erfolgreich zu sein?
Wir haben das Ziel, möglichst Zweijahresverträge zu machen und dann in der neuen Regionalliga Nord nächstes Jahr ganz oben mitzuspielen. Wir machen uns jetzt in der alten Regionalliga mit den starken Ostklubs fit für die neue Liga, in der ich uns dann gegenüber den Klubs aus Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein und Hamburg, die dann zusammengehen, vorne sehe. Das ist unser mittelfristiges Ziel, das wissen die Jungs auch.

Der mittelfristige Masterplan ist also schon Liga drei?
Natürlich. Die ganze Stadt ist gierig nach Profifußball, das Feld ist bestellt. Bei uns im Stadion kannst du ja sogar den FC St. Pauli gegen Ingolstadt spielen lassen.

Welcher der Hamburger Oberligavereine ist denn Ihrer Meinung nach am weitesten?
Ich hätte da einen Verein, der am weitesten hätte sein, können, dürfen, müssen. Es gibt einen Verein, der hatte mal angedacht, Regionalliga anzupeilen.

Jetzt sind wir aber neugierig, Vicky, Altona, Norderstedt?
Ja, Norderstedt, die waren am weitesten, haben dann aber ihr Engagement zurückgestellt. Die haben die optimalen Trainingsbedingungen, was sehr wichtig ist, die Infrastruktur stimmt, das Sponsorenpotential ist auch hoch. Die haben auch die Erfahrung, schonmal oben gespielt zu haben, waren ja in der zweiten Liga. Das ist enorm von Vorteil.

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Lockt Sie nochmal ein Profiklub als Manager?
Dritte Liga würde ich schon machen wollen, vielleicht klappt es ja mit Lübeck. Fabian Boll vom FC St. Pauli arbeitet ja auch als Kommissar und hat glaube ich eine 15-Stunden-Woche. Das könnte ich dann wohl auch machen. Es sei denn, es kommt ein absoluter Bombenverein, dann ginge das natürlich nicht.

Ein Bombenverein wie …
… nein, nein, es hat noch keiner angeklopft. Sie brauchen es nicht zu versuchen.

Herr Franke, dann danken wir Ihnen für das Gespräch.

Benny Semmler

Papa, Blogger, Mitgründer FRISCHER FILM, Seniorenspieler USC Paloma, Mitglied UnterstützerClub des FC St. Pauli, Towers-Fan und Gotnexxt.de-Follower.