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„Pannes“ Schuss der vieles verändert hätte

Kevin Pannewitz wurde vor gar nicht allzu langer Zeit von Felix Magath entdeckt, um ein Fußballspieler in der Bundesliga zu werden. Doch das erklärte Vorhaben scheiterte. Wir begaben uns auf die Fehlersuche und kamen irgendwann zu der Erkenntnis: Es musste wohl so kommen. Ein Rückblick von Hannes Hilbrecht auf turbulente Zeiten im Leben des KP.

Foto: „citypress24“

Der 2. November 2009 sollte für einen jungen Rostocker ein großer Tag werden. Es war ein kühler Montagabend, als der FC Hansa Rostock den Erzrivalen aus Hamburg, den FC St. Pauli zum Derby in der heimischen DKB-Arena erwartete. Eine Kulisse von 21.500 Zuschauern wurde Zeuge, wie der Akteur, der in den nächsten Jahren die Schlagseiten auf und neben den Platz bestimmen sollte, sein Profidebut feierte.

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Der erst 18-jährige Kevin Pannewitz wusste bei diesem umkämpften Derby gegen den FC St. Pauli voll zu überzeugen und fast wäre es ihm gelungen, einen wahrlich traumhaften, ja fast schon schicksalsträchtigen Einstand zu feiern. Aus 25 Metern zog der noch bubenhafte Mittelfeldmann ab, der Ball strich am völlig chancenlosen Routinier Mathias Hain vorbei und klatsche an die Latte. Die Ostseestädter agierten an diesem Abend über weite Strecken überlegen, der spätere Aufsteiger konnte sich lediglich in der Anfangsphase leichte Feldvorteile erspielen. Doch den Hanseaten fehlte an diesem Abend das Glück und die nötige Reife um das Spiel für sich zu entscheiden, ganz im Gegenteil, sie gaben es leichtfertig aus der Hand und verloren am Ende mit 2:0.

So trabte auch Kevin Pannewitz, der an diesem Abend erst in der 83. Minute ausgewechselt wurde, nach dem Spiel enttäuscht über den aufgewühlten Rasen.

Seine fußballerischen Anfänge absolvierte der am 16. Januar 1991 in Berlin geborene Defensivakteur bei zahlreichen kleineren Vereinen aus seiner Heimatstadt, über den Nordberliner SC, den Frohnauer SC und der Tennis Borussia Berlin fand der 1,85 m große Pannewitz schließlich den Weg in die Jugendabteilung des FC Hansa Rostock. Nach einem Jahr in der A-Jugend folgte der plötzliche Aufstieg in den Profikader, des damals noch hoch ambitionierten Zweitligisten.

Unter seinem Entdecker, Andreas Zachhuber gehörte der Rechtsfuß dank seines couragierten Auftritts im Nordderby zum absoluten Stammpersonal. Kurz bevor die Hanseaten in den Abstiegsstrudel gerieten, antworte Pannewitz noch euphorisch auf die Frage, ob er mit den Wechsel zum FC Hansa alles richtig gemacht hätte: „Ja, definitiv. Ich habe mein Ziel ja auch erreicht, im Profi-Fußball Fuß zu fassen.“

Erst mit der Entlassung des konsternierten Andreas Zachhubers rückte der Mittelfeldakteur ins zweite Glied, das neue Trainergespann Kostmann/Finck setze eher auf die Routiniers im Abstiegskampf. In den entscheidenden Spielen, dem Saisonabschluss in Düsseldorf und im alles entscheidenden Relegationsrückspiel gegen die Schanzer aus Ingolstadt stand Pannewitz zwar überraschend in der Startelf, musste aber den Platz aus taktischen Gründen bereits jeweils in der ersten Halbzeit verlassen.

Trotz eines verlockenden Angebotes vom SV Werder Bremen blieb der bullige Sechser in der Hansestadt und entwickelte sich zu einer der tragenden Säulen in der Aufstiegsmannschaft. Insgesamt 35mal kam Pannewitz zum Einsatz, bei 33 Begegnungen stand das Talent in der Startelf. Zwar fiel der damals 20-Jährige nicht durch eine herausragende physische Konstitution auf, kompensierte diese Missstände aber durch eine hohe Einsatzbereitschaft, seiner enormen Spielintelligenz und seinen technischen Fertigkeiten. Mit vier Toren und vier Torvorbereitungen zeigte der von den Fans „Panne“ genannte Mittelfeldmotor auch offensive Fertigkeiten. Doch wie zufriedenstellend die Leistungen des Ausnahmetalentes auf dem Platz waren, so destruktiv war sein Verhalten abseits des grünen Rasens.

Fehlende Trainingsdisziplin, Partys und Gewichtsprobleme, bereits in der Aufstiegseuphorie war absehbar, dass zwischen dem akribisch arbeitenden Cheftrainer Peter Vollmann und seinem Spieler zwangsläufig Spannungen vorprogrammiert waren.

Bereits in der Sommerpause kam es zum ersten Eklat, als Pannewitz in schlechter körperlicher Verfassung zum Trainingsauftakt erschien und in den ersten Wochen der Sommervorbereitung striktes Lauftraining absolvieren musste.

Der von den Fans verehrte Aufstiegstrainer, Peter Vollmann, machte dabei zu Saisonbeginn keine Kompromisse, schloss jegliche Einsätze aus, solange sein Defensivstratege nicht die nötige Fitness besitzt. Nachdem Kevin Pannewitz am 2. Spieltag beim Ost-Derby in Dresden ein solides Zweitligadebüt feierte, folgte der nächste Skandal.

Dieses Mal handelte es sich um eine Partynacht in der Rostocker Innenstadt, bei der der Youngster gemeinsam mit vier Teamkollegen, darunter die Routiniers Mathias Holst und Jörg Hahnel, in einer Diskothek gesichtet worden war. Wie seine Compagnons wurde der Mittelfeldmann suspendiert, aufgrund seiner diskutablen Vorgeschichte stand auch eine vorzeitige Trennung zur Disposition. So äußerte sich Chefcoach Vollmann in der „Ostsee-Zeitung“: „Dieser Vorfall ist an Dämlichkeit nicht zu überbieten. Ich gehe aber davon aus, dass die Sache nach Sonntag abgehakt ist. Bis auf einen Fall, den müssen wir uns gesondert anschauen“.

Entgegen diverser Vermutungen spielte sich Pannewitz zurück in die Mannschaft, durch die angespannte Personalsituation kam Peter Vollmann nicht an seinem besten Defensivakteur vorbei. Während Musterprofis wie Sebastian Pelzer, Peter Schyrba und Robert Müller allesamt beherzt, aber im Endeffekt desaströs spielten und für die 2. Bundesliga nicht das nötige Potenzial besaßen, agierte Pannewitz trotz körperlicher Defizite auf einem ganz anderen Niveau. Läuferische Schwächen glich der junge Mittelfeldmann, der immer häufiger in der Innenverteidigung eingesetzt wurde, durch rigoroses Tackling und einem begnadeten Stellungsspiel aus.

Doch entsprachen die Leistungen auf dem Platz nicht dem Benehmen abseits des Sportlichen.

Die Medien, gerade die ehemalige hanseatische Hauspostille, eröffneten eine mediale Hetzjagd auf den jungen Akteur. In den Zeitungen wurde über das mögliche Gewicht spekuliert, „Fans“ bekundeten Pannewitz in verschiedenen Diskotheken gesehen zu haben, manchmal an verschiedenen Orten zur gleichen Zeit. Als er erneut durch eine gravierende Gewichtszunahme auffiel, war das Tischtuch zwischen dem Cheftrainer und seinem Schützling endgültig zerschnitten.

Es folgte erneut eine Suspendierung, doch in diesem Falle, sollte es die endgültige Degradierung unter Peter Vollmann sein, eine Entscheidung, die der sympathische, aber in Liga 2 vollkommen überforderte Coach bereuen sollte. In den 11 Spielen mit Pannewitz in der Startelf kassierte der spätere Absteiger nur 13 Gegentor, was eine durchaus akzeptable Quote von 1,18 Gegentore pro Spiel ergab. Auch dass die Hanseaten mit Pannewitz in der Startelf (17 mal) 21 von 27 Punkte holten, belegt seinen enormen Einfluss aufs Spiel. Mit Wolfgang Wolf heuerte ein neuer Kapitän an der Ostseeküste an, der bereits bei Amtsantritt signalisierte, dem ausgemusterten Pannewitz eine letzte Chance zu geben.

Diese Chance schien das Talent endlich zu nutzen. Nachdem die Ostseestädter die erste Halbzeit beim Rückrundenauftakt in Bochum komplett verschliefen, akzentuierte Pannewitz, der erst zu Halbzeit eingewechselt wurde, seine Ausnahmerolle.

Er forderte Bälle, verteilte sie strategisch klug und verlieh dem zuvor pomadigen Spiel des FC Hansa endlich die nötige Aggressivität. Rostock verlor zwar das Auswärtsspiel nach großem Kampf, bewies aber, dass sich die Truppe längst nicht aufgegeben hatte. Mit dem 4:2 Heimsieg über den MSV Duisburg schien sich das Blatt zu wenden, Pannewitz überzeugte als bissiger Sechser und war einer der Hauptgründe für den sportlichen Aufschwung.

Dieser ebbte allerdings nur kurze Zeit später ab, die Hansa-Kogge brachte sich durch individuelle Fehler um den verdienten Lohn, der immer noch unter konditionelle Probleme leidende Pannewitz gehörte dabei in der Negativserie zu den Wenigen, die sich mit aller Kraft gegen den Abstieg stemmten.

Umso enttäuschender waren die Sympathisanten des gebürtigen Berliners, als auch Wolfgang Wolf mit der Geduld am Ende war. Ausgerechnet vor dem Abstiegsthriller in Karlsruhe wurde der Problemprofi erneut suspendiert, die körperliche Verfassung hatte sich mehr denn je an der sportlichen Misere angeglichen.

Doch das Stehaufmännchen Pannewitz kehrte noch einmal zurück. Als der FC Hansa Rostock eigentlich schon als Absteiger fest eingeplant war, kämpfte sich die längst abgeschriebene Mannschaft zurück ins Geschehen. Die Hoffnung lebte, eine ganze Stadt träumt vom Wunder von der Warnow. Ein wesentlicher Grund war erneut die Nummer 8 der Rostocker. Kevin Pannewitz stabilisierte die Abwehr, trotz fortlaufender Verletzungsprobleme in der Innenverteidigung bravourös und die Rostocker gewannen drei Begegnungen hintereinander.

Doch wie in seiner gesamten Zeit in Rostock, sollte Pannewitz am Ende doch zu den großen Verlierern gehören. Dabei war eigentlich alles angerichtet. Es war ein wunderschöner Frühlingsabend in Rostock, als am Freitag, den 13. April, der direkte Konkurrent aus Frankfurt zu Gast an der Küste war. Der positive Lauf und das neu entdeckte Selbstvertrauen sprachen eindeutig für die Hanseaten, die Kulisse von 16500 Zuschauern freute sich auf den Sprung von den Abstiegsplätzen. Doch es sollte alles anders kommen. Der Trainer des FSV, Benno Möhlmann führte sein Team mit einer taktischen Meisterleistung zu einem grandiosen 5:0 Auswärtserfolg. Mit Micanski, Yun, Yelen und Gaus bot der Coach eine wendige und spritzige Offensive auf, die Pannewitz läuferische Schwächen schonungslos offen legten. Im Zweikampf und in der Box kaum zu überwinden, aber im Konterspiel anfällig wurden die Hanseaten förmlich überrannt. Ausgerechnet der so kopfballstarke Pannewitz verlor nach fünf Spielminuten an der Mittellinie ein Luftduell und rannte anschließend dem Geschehen hinterher.

Eine Woche später sollte Pannewitz seine letzte Begegnung im Trikot mit der Kogge bestreiten. Hansa verlor mit 0:3 beim FC St. Pauli, der Abstieg quasi besiegelt. Es sind diese schicksalsträchtigen Geschichten, die der Fußball manchmal schreibt. Die Art der Storys, die im Nachhinein fast schon unheimlich wirken.

Schließlich feierte Kevin Pannewitz ausgerechnet zweieinhalb Jahre zuvor sein Debut bei den Rostockern gegen den FC St. Pauli. Wer weiß, wie die damalige Abstiegssaison verlaufen wäre, wenn sein fulminanter Distanzschuss nicht an die Latte, sondern ins Tor gerauscht wäre. Ein Sieg wäre absolut realistisch gewesen, er hätte wohlmöglich die gesamte Saison auf den Kopf gestellt. Mutmaßlich wäre der FC Hansa Rostock nicht abgestiegen, sehr wahrscheinlich wäre Peter Vollmann, dessen Verhältnis zu Pannewitz schon immer gewisse Animositäten beinhaltete, nie Hansa-Trainer geworden.

Im Sommer 2012 verließ der Mittelfeldmann trotz bis 2013 gültigen Kontraktes endgültig die Ostseeküste und wechselte ausgerechnet zum von Felix Magath trainierten VFL Wolfsburg. Immerhin 300.000 Euro brachte der Transfer den klammen Verein. Im Hinblick auf die Probleme während seiner Rostocker Zeit äußerte das Talent zu Saisonbeginn selbstkritisch in der „WAZ“: „Ich hätte schon längst Bundesliga spielen können. Aber als ich mit 18 nach oben gekommen bin, hatte man ein paar Spieler, mit denen man was unternommen hat. Ich dachte, es ist richtig so. Doch nach fast drei Jahren sollte man verstehen, dass man da etwas falsch gemacht hat, sonst kommt man nicht weiter.“

Gleichwohl betonte der Youngster damals voller Zuversicht: „Ich kann Fußball spielen. Warum Felix Magath mich wollte, weiß ich nicht genau. Aber ich bin ihm, seinem Team und der Mannschaft dankbar, dass ich diese Chance bekommen habe. Irgendwann werde ich alles zurückzahlen.“

Die Möglichkeit Felix Magaths Vertrauen zurückzuzahlen sollte Kevin Pannewitz nicht erhalten.

Der vom Wolfsburger Boulevard als „Jojo-Profi“ deklariere Mittelfeldakteur stand noch kein einziges Mal im Profikader, selbst in der aufgeblähten 2. Mannschaft der Wölfe kam der 21-Jährige nur zu überschaubaren drei Einsätzen.

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Die Gründe für eine bislang enttäuschende Wolfsburger Zeit unterscheiden sich kaum von denen, die auch an der Ostsee seinen Durchbruch verhinderten. Fraglos: Ein Schuss Talent bescheinigen sie ihm auch in Wolfsburg. Nur Attidüden wie Biss, Durchsetzungsvermögen und vor alle Disziplin mag man ihm beim VW-Klub genauso wenig „unterstellen“, wie einst an der Kopernikusstraße.

Die Quittung: Ein halbes Jahr nach der Verpflichtung des hochveranlagten Talentes, scheint das waghalsige Projekt Pannewitz erneut zu scheitern. Abschreiben sollte man den Problemprofi aber noch lange nicht, zu oft belehrte er seinen Kritikern zumindest sportlich eines Besseren.

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Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.