Thomas Meggle über die Lust am Lehren
Der Spieler Thomas Meggle wechselte 1997 zum FC St. Pauli. Den Trainer Thomas Meggle gibt es seit 2010. Momentan ist der Mann für die braun-weiße U23 verantwortlich. „Eine der spannendesten Aufgaben, die man sich als Trainer vorstellen kann“, wie er sagt. Doch wieso eigentlich?
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Thomas Meggle, welcher Trainerkollege begeistert Sie?
Mich begeistern viele Trainertypen.
Und namentlich?
Thomas Tuchel begeistert mich. Er hat es ohne Profilaufbahn zum Bundesligatrainer geschafft und sich alles akribisch erarbeitet. Ich bin auch von Stanislawskis unglaublicher Emotion am Spielfeldrand begeistert. Vehs Gelassenheit ist beeindruckend. Ich könnte noch viele aufzählen, da die meisten Trainer in der 1. und 2. Liga ihre ganz speziellen Facetten und Stärken haben. Aber mich begeistert auch nicht DER Trainer, sondern immer seine Fähigkeiten. Wie zum Beispiel ein Jens Keller seine Situation auf Schalke gemeistert hat, das ist etwas, worüber ich gerne mehr erfahren möchte.
Mich würde interessieren, ob Ihr Job wirklich 60 oder 70 Stunden in der Woche beansprucht?
Das ist denkbar. Meistens geht es ja früh morgens los und und endet selten vor 21 Uhr.
Das müssen Sie jetzt sagen.
Das ist so. Wo Profivereine eine ganze Armada beschäftigen, ist eine U23-Mannschaft eine One-Man-Show.
Tatsächlich?
Na ja, man ist nicht nur für alle Bereiche verantwortlich, sondern für jeden Aufgabenpunkt der das Team betrifft, unmittelbar zuständig.
Was heißt “alle Bereiche”?
Videoanaylse, Trainingsdokumentation, Einzelgespräche und die gesamte Zertifizierung, da steckt sehr viel Arbeit und Zeitaufwand drin.
Was steckt eigentlich hinter diesem immer wieder auftauchenden Begriff “Zertifizierung”?
Ganz einfach erklärt: Der DFB kontrolliert unsere Arbeit und möchte ein paar Prinzipien sehen. Es geht darum, dass man nach einem gewissen Plan arbeitet und das jeweilige Nachwuchsleistungszentrum einen roten Faden verfolgt. Es geht aber auch um die Durchlässigkeit in den Profibereich, um soziale Verantwortungen den Spielern gegenüber, wie ist die Verzahnung Schule und Fußball, es geht da um ganz viele Bereiche.
Was meinten Sie mit “roten Faden”?
Wir spielen alle ein System in allen Jugendmannschaften und dementsprechend wir in allen Teams trainiert. Das kann ein roter Faden im Nachwuchsleistungszentrum sein. Der rote Faden kann aber auch sein, dass jedes Jugendteam ein anderes System spielt um die Spieler variabel auszubilden. Danach lässt man dann trainieren und der DFB prüft das.
Wenn Sie vergleichen: Erwarten die Spieler heute mehr von einem Trainer als vor 20 Jahren?
Logisch. Natürlich.
Ein wortkarger Schleifer an der Linie wäre nicht mehr denkbar?
Ich formuliere es mal so: Im Jugendbereich hast du früher drei, vier Mal die Woche trainiert und bist wieder nach Hause gefahren. Da gab es keine taktischen Theoriestunden oder Einzelgespräche. Heutzutage muss jede Übung eine Erklärung beinhalten. Warum machen wir das, welches Ziel verfolgen wir? Die Spieler haben viel mehr Fragen und erwarten folglich viele mehr Antworten. Sie wollen wissen, warum muss der Ball in diesen Raum gespielt werden. Solche Diskussionen wurden früher nicht geführt.
Wie ist es mit dem Umgang zwischen Trainer und Spieler?
Das schließt das ja alles ein. Ein Trainer von heute ist viel näher dran an den Spielern. Zumindest im NLZ-Bereich. Die ständige Kommunikation mit den Jungs gehört dazu und ist einer der wichtigsten Bausteine.
Mussten Sie Rachid Azzouzi am Ende der Hinrunde erklären, warum erst 19 Punkte auf dem Konto stehen?
Wir reden permanent. Aber als U23-Team lösen wir uns von der Tabelle.
Das ist dann Fußball ohne Wettbewerb. Ist das förderlich?
Wir haben gesagt: Ja, ist es. Weil wir bewusst mit vielen A-Jugend-Spielern in diese Saison gegangen sind und nicht den Anspruch hatten, dass wir jetzt mit 30 Punkten dastehen.
Also ist der Klassenerhalt Ihr Ziel?
Das ist das Entscheidende, ja. Und das wir Spieler entwickeln.
Viele Profiklubs wollen die U23 in die Dritte Liga hieven. Werder, Wolfsburg, selbst der HSV will mittelfristig die Regio Nord verlassen und eine Liga höher spielen. Verlangt Ihr Sportchef wirklich nur Abstiegskampf in Liga 4?
Unsere Ziele müssen mit den Zielen der Profis übereinstimmen beziehungsweise wir müssen uns danach orientieren. Wenn man für das internationale Geschäft, die Bundesligaspitze oder die Champions-League ausbilden muss, dann kann die 3. Liga für die U23-Talente durchaus Sinn machen. Beim FC St. Pauli bilden wir allerdings für die 2. Liga aus und hier im Verein sind alle durchweg der Meinung, dass die Regionalliga Nord die optimale Liga für uns ist.
Welchen Stellenwert nimmt die U23 beim FC St. Pauli ein?
Die U23 ist die wichtigste Mannschaft im Nachwuchsleistungszentrum. Über diese Mannschaft wollen wir Spieler in den Fokus der Profimannschaft bringen. Aktuell sind ja mit Graudenz, Jakubiak und Kulikas drei von uns oben regelmäßig dabei. Das zeigt, die U23 genießt mittlerweile einen höheren Stellenwert, als das vielleicht in der Vergangenheit der Fall war.
Themenschwenk: Etliche Bundesligatrainer waren erst im Jugendbereich tätig, ehe es auf die große Bundesligabühne ging. Ist diese Vorstation als „Trainer-Beginner“ wichtiger denn je, um sich weiterzuentwickeln?
Die Zeiten, wo die Profimannschaft einen Cheftrainer ohne Lizenz bekommt, die sind ja lange vorbei. Es ist nicht mehr möglich, von der aktiven Spielerseite direkt an die Trainerbank durchgeschossen zu werden. Vor sechs, sieben, acht Jahren ging das noch. Jetzt geht das nicht mehr. Der DFB fährt da mittlerweile einen sehr konsequenten Kurs und zwingt die Vereine geradezu, Fußballlehrer auf die entsprechenden Positionen zu setzen. Insofern ist es eine logische Folge, dass viele Trainer ihre Arbeit in den U-Mannschaften beginnen.
>> Trainerausbildung in Deutschland – Quelle: Wikpedia<<
Die Trainerausbildung beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) gliedert sich zurzeit in fünf Stufen:
- Fußballlehrer (für hauptamtliche Aufgaben als DFB- oder Verbandssportlehrer, Aufgaben als Berufsfußballtrainer von den Regional- bis zu den Bundesligen und die Leitung eines Nachwuchszentrums eines Lizenzvereins)
- DFB-Trainer mit A-Lizenz (für Traineraufgaben im höheren Amateurbereich und in der Regionalliga)
- DFB-Trainer mit B-Lizenz (ehemalige Junioren-Trainer-Ausbildung; für Trainingsaufgaben im leistungsorientierten Junioren-Fußball)
- DFB-Trainer mit C-Lizenz (seit 2004 für Trainer, die im Junioren- oder Senioren-Bereich leistungsorientiert arbeiten)
- DFB-Trainer mit C-Lizenz−Breitensport (für Trainer die vorrangig breitensportorientierte Fußballmannschaften aller Altersklassen trainieren)
Ein Nachteil oder Vorteil?
Man wird nun gezwungen, den Beruf Fußballtrainer von der Pieke auf zu lernen. Das ist mit Sicherheit ein Vorteil. Gerade wenn man als junger Trainer wichtige Erfahrungen im NLZ-Bereich holen kann, lässt sich davon profitieren. Andersrum profitieren die jungen Spieler von hochmotivierten und akribischen jungen Trainern, die sich ihre Sporen verdienen wollen.
Herr Meggle, nicht wenige behaupten ja: Früher oder später coachen Sie die Profis.
Ganz ehrlich, ich trainiere die U23 mit einer riesigen Leidenschaft. Das ist ein geiler Job, der total spannend ist. Insofern stellt sich für mich eher die Frage, ob der Profibereich überhaupt in Frage kommt.
Das kauft Ihnen doch keiner ab.
Für mich ist es momentan unglaublich spannend, auszubilden, die Jungs weiterzubringen und nicht unter dem Druck eines anvisierten Tabellenplatzes arbeiten zu müssen. Ich werde daran gemessen, wie ich die Spieler ausbilde. Das ist doch eine großartige Aufgabe. Und ich kenne genügend Trainer, die lieber im NLZ-Bereich als in der Bundesliga arbeiten.