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Die Akte Vollmann – Kalkuliertes Risiko

Der FC Hansa wird aller Voraussicht nach Peter Vollmann ins Traineramt beim FC Hansa Rostock zurückholen. Lediglich die offizielle Bestätigung des Vereins steht noch aus. Trotz großer menschlicher Sympathie zu Vollmann, ist BTB-Autor Hannes Hilbrecht alles andere als glücklich. Er meint: Der Aufsichtsrat vergleicht Äpfel mit Birnen. Eine Analyse.

 

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Er wird es also doch! Peter Vollmann, umjubelter Aufstiegstrainer aus der Saison 2010/11, übernimmt nochmals das Traineramt auf der Kogge. Viele Fans sind erfreut, schließlich ist die Personalie Vollmann durch den damaligen sportlichen Erfolg sehr positiv konnotiert. Es war eine wahre Achterbahnfahrt in der Trainerfrage, bis die „BILD“ detailliert das Zustandekommen des neuen Arbeitsverhältnisses dokumentierte. Dabei war es eine mehr als zähe Entscheidung. Im vergangenen Oktober war Vollmann, gerade erst in Wiesbaden beurlaubt, bereits das erste Mal mit einer nahenden Rückkehr in Verbindung gebracht worden, der positive Bergmann-Trend ließ dann jedoch die „handelseinigen Parteien“ aus Aufsichtsrat und Kandidaten auseinanderdividieren.  Als Vollmann wenige Tage nach dem Bergmann-Rausschmiss (im meisten Sinne des Wortes) ebenfalls als Nachfolger medial ausgerufen wurde, schien sich Sportvorstand Uwe Vester erfolgreich gegen dieses Schritt behauptet zu haben, denn der ehemalige Gelsenkirchener verfolgte offenkundig andere Ziele in der Trainerakquise.

Nun aber, konnte sich der Rostocker Sportvorstand nicht mehr gegen die Wunschpersonalie der Aufsichtsräte und des Vorstandsvorsitzenden durchsetzen. Was das für die Rolle Vesters bedeutet, der übrigens von eben jenen „Aufsichtsrat“ aus dem Hut gezaubert wurde, ist noch nicht völlig absehbar. Ein Autoritätsverlust, sollte aber in jedem Fall entstanden sein.

Dabei waren trotz des menschlichen Gewinns, den der sozial engagierte Peter Vollmann in jedem Falle darstellt, die Zweifel mehr als angebracht. Denn es gibtso einiges, das gegen Peter Vollmann spricht.

Wie positiv die Erinnerungen an das rauschende Aufstiegsjahr auch sein mögen, die Vorzeichen sind heute nämlich ganz andere als damals. Anders als vor vier Jahren, als die erste Vollmann-Mission an der Ostseeküste begann, gibt es nicht nur einen entscheidenden Unterschied, sondern gleich mehrere erhebliche Abweichungen.

Im Sommer 2010 profitierte der FC Hansa vor allem von der mit viel Geschick vorgenommenen Kaderzusammenstellung. Diese war zum einen jedoch nur möglich, da nach dem ersten 2. Bundesliga-Abstieg lediglich ein erlesener Kreis von Spielern mit in die 3. Liga ging und somit viel Platz für ein ganz persönliches Personalroulette blieb, zum anderen spielte auch die andere Reputation des FC Hansa eine positive Rolle in der Personalakquise. Schließlich stellte der Klub von der Warnow im Sommer 2010 noch ein ganz anderes Kaliber als zum heutigen Zeitpunkt dar. Die Marke „FC Hansa“, hat seitdem jedoch stark an Wert verloren. Für Vollmann, der zu seinen einstigen Akteuren stets ein gutes Netzwerk pflegt, wird es sich deutlich schwieriger gestalten, seine guten Kontakte für den FC Hansa zu nutzen.

Doch sind die Bedenken in der Kaderzusammenstellung noch die kleinsten verschwommenen Variablen, schließlich hat Vollmann auch Wehen-Wiesbaden personell so gut aufgestellt, dass sein Nachfolger Marc Kienle mit den Hessen zielsicher den wichtigen 4. Platz ansteuert. Allerdings ist der Kader der Hessen höher budgetiert, das macht die Transferarbeit deutlich leichter als im klammen Rostock.

Vielmehr Sorgen bereitet derweil die Monotonie, die sich unter der Rigide des gebürtigen Nordrheinwestfalen in der sportlichen Entwicklung der Küstenkicker damals abzeichnete. Denn nach famosen Leistungen in der Hinrunde der Aufstiegssaison verlor die Mannschaft, trotzt eines nicht von Verletzungen geplagten Mannschaftsstamm, stark an Substanz, die Dominanz schwand und selbst deutlich klingende Erfolge, beispielsweise gegen Bremens U23 (2:0) und Babelsberg (3:0), wurden mehr über die Genialität einzelner Akteure, als über die gesamte Mannschaft errungen.
Ein Trend, der sich in der 2. Bundesliga unverzüglich fortsetze. Die Mär von der Chancenlosigkeit des Kaders, auch von Vollmann selbst im BTB-Interview geteilt: „Meiner Meinung nach hatte die Mannschaft damals nicht die nötige Qualität für die 2. Liga.“, ist vielleicht zu schnell erzählt.

Denn zu Saisonbeginn der damaligen 2.Liga-Saison konnte die Mannschaft mithalten, scheiterte eher an sich selbst. Siege gegen Dresden, Bochum und Aachen wurden leichtfertig verschenkt. Der Trend unter Vollmann nahm jedoch Woche für Woche katastrophalere Formen an, auch weil die Personalpolitik eher phlegmatisch geführt wurde. Festzuhalten ist: Die Mannschaft, die zu Saisonbeginn noch auf Augenhöhe mit den Kontrahenten agierte, zeigte keine Weiterentwicklung, sondern regressive Aggregatszustände. Eine deutlich verschärfte Parallele zur Rückrunde in der Aufstiegssaison, die bereits erste stagnierende Prozesse offenlegte. Ähnliches war bereits bei früheren Stationen von Peter Vollmann nachweißlich zu erkennen. Nach einem famosen Start, den Vollmann auch in Münster (zweite Amtszeit) und Braunschweig vollzog und dabei durch seine gute Athletik-Arbeit punktete, scheiterte der charismatische Fußballlehrer an den wachsenden Aufgaben.

Doch viel wichtiger als die Vergangenheit, ist selbstredend die Gegenwart, die interessante Fragen parat haben wird. Wie zum Beispiel die Frage nach seinem früheren Protegé, Sebastian Pelzer. Der Kapitän, der in dieser Saison auf einem ähnlichen Niveau für Steven Ruprecht praktizierte, ist seit vier Jahren die moralische und mannschaftsführende Instanz in der Mannschaft. Jedoch eine, die durch die abbauenden persönlichen Leistungen an Legitimation verliert. Eine gefährliche Mischung, die im kommenden Jahr noch weit mehr Schärfe verspricht. Die Chancen auf eine Öffnung der Hierarchie innerhalb der Mannschaft sind mit der Entscheidung für Peter Vollmann, den Anschein nach erheblich gesunken, denn es ist davon auszugehen, dass der zwischenzeitlich von Bergmann als Stammkraft demontierte Kapitän zumindest kurzfristig der größte Profiteur des Trainerwechsels sein wird. Es ist ein generelles Problem, dass es dem Verein in den letzten Jahren nicht gelang, den Kader mit Führungsspielern zu staffieren, die charakterliche Vorzüge (wie der aktuelle Kapitän sie besitzt) mit großer individueller Klasse zu kombinieren wissen. Einen Spieler, der auf den Platz spielerisch vorangeht und nicht nur verbal. Dabei gibt es mindestens einen Spieler dieses Kalibers im Rostocker Kader. Denis Danso Weidlich wäre mit Sicherheit ein potenzieller Führungsspieler von großer Qualität.

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Einen Punkt, den Vollmann-Kritiker gerne anbringen und dabei auch polemisch zu Werke gehen, ist seine Rolle in der Jugendarbeit. Eine Thematik, die nur dezidiert betrachtet erörtert werden kann. Denn zum einen setzte Vollmann auf junge Akteure wie Stephan Gusche, Tobias Jänicke und Kevin Pannewitz, traf riskante Entscheidungen zum Wohle der Jugend, wie zum Beispiel die Proklamation Kevin Müllers zur Nummer 1. Anderseits scheiterte er jedoch an Kevin Pannewitz (wobei dieser vor allem an sich selbst scheiterte), dem vielleicht besten Hansa-Kicker der letzten Jahre. Auch wenn die Probleme hauptsächlich beim Spieler zu suchen waren und Vollmann menschlich sogar ganz gut mit ihm auskam, wie er einmal selbst verriet, schien er durch seinen medialen Läuterungskurs den „Verfall“ des Talentes zu beschleunigen. Aus dem Umfeld des Spielers wurde nicht selten geunkt, dass der Problemspieler im Herbst der Vollmann-Ära als Alibi fungierte. Mit der Suspendierung des jungen Berliners, mit dem Hansa letztendlich bei 17 Startelfeinsätzen 20 Punkte holte, leitete Vollmann sein eigenes Ende ein. Ob ein anderer Trainer Pannewitz in diesem Stadium der Karriere gezähmt hätte, ist zwar äußerst fragwürdig, kann aber eben nicht ausgeschlossen werden.

Doch bei all den negativen Punkten, die durchaus vorhandene Zweifel suggerieren, darf nicht vergessen werden, dass bereits der erste Vollmann-Aufstieg aus dem „Nichts“ kam. Ohne jeden Zweifel ist der Grauschopf ein Trainer mit der Gabe, eine Mannschaft nahe der Perfektion (selbstverständlich im Rahmen der Möglichkeiten) zu konstruieren. Ob sich diese Gabe ein zweites Mal zeigt, bleibt zumindest offen. Die Trainerhistorie spricht jedenfalls schon einmal für Vollmann. Ob Frank Pagelsforf oder Andreas Zachhuber-  zumindest in der ersten Halbzeit ihrer Rückkehr ging der nicht ungefährliche Plan auf.

Der große Gewinner in der Trainerfrage, die von Außen einen Blick in die Vereinspolitik gewähren ließ, sind die Protagonisten aus Aufsichtsrat und den sportfernen Bereichen des Vorstands. Die haben nicht nur ihren Wunschkandidaten installiert, sondern auch Macht demonstriert. Doch vor allem gingen sie mal wieder auf risikofreies Terrain. Denn eine so naheliegende Lösung wie diese Rückholaktion, die von weiten Teilen der Anhängerschaft ebenso präferiert wurde, verschafft den führenden Köpfen bei einem Scheitern ihres ganz eigenen Trainer-Projektes Sicherheit. Denn sie haben schließlich das getan, was andere auch getan hätten. Dabei ist das die Entscheidung, an die sich das bunt zusammengewürfelte Gremium endgültig messen lassen muss.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.