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Kettcar-Frontmann Wiebusch über Homophpobie im Fußball

Marcus Wiebusch ist Hamburger, Fan des FC St. Pauli und Familienvater. Zusätzlich setzt sich der Frontmann von Kettcar, der einst seine Liebe zu Hamburg mit den „Landungsbrücken“ besang, für die Rechte Homosexueller ein. Sein Song „Der Tag wird kommen“ setzt sich intensiv mit dem Thema Homophpobie im Fußball auseinander. Wir sprachen nach der „ZEIT“ und „Eurosport“ ebenfalls mit dem Hamburger Lokalmatador.

 

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Hallo Herr Wiebusch, Sie haben momentan ja reichlich zu tun und müssen viele Mediengespräche absolvieren. Auch die ZEIT war schon dabei – erfüllt Sie das mit Freude, dass Ihr Song bei Sportjournalisten so gut ankommt?
Es ist für mich schon etwas Ungewöhnliches. Sportjournalisten zählten in meiner bisherigen Musiker-Karriere nicht unbedingt zu den Multiplikatoren, die unsere Arbeit in so einem großen Ausmaß positiv aufnehmen und teilen. Darüber freue ich mich sehr. Allerdings bedeutet mir das Feedback, das ich über Blogs oder Gespräche mit schwul-lesbischen Gruppen aufnehme, noch etwas mehr. Das liegt einfach daran, dass das ja die Gruppe ist, die sich mit dem Song am meisten konfrontiert fühlt.

Es ist ja ein etwas längeres Stück und erfordert viel Aufmerksamkeit beim Hören. Für das deutsche Radio scheint es nicht wirklich bestimmt zu sein. Macht Sie das traurig?
Es war mir schon vor der Veröffentlichung klar, dass dieser Song nicht die Playlisten der Radiostationen dominieren würde. Selbst unser größte Song mit Kettcar, „Landungsbrücken raus“, war mit fünf Minuten Spielzeit für Radioverhältnisse zu lang und konnte sich bis auf lokale Ausnahmen nicht dauerhaft durchsetzen. Aber darum ging es uns auch nicht, ich persönlich wollte nie für das Radio zurechtgebügelte Musik machen. Außerdem ist es ja nicht so, dass wir gar nicht gespielt werden. Einige Kultursender spielen uns in den Abendstunden oft und gerne, gerade weil das Thema  „Homophobie“ leider noch genügend Stoff zum Berichten liefert.

Ein großer Vorteil des Internets ist ja, dass Sie viele Reaktionen auf das Lied direkt aufnehmen können. Sitzen Sie abends am Laptop und scrollen die YouTube-Kommentare durch?
Bei YouTube habe ich schon seit einigen Wochen nicht mehr intensiv reingeschaut, einfach aus dem Grund, da in der Anonymität jeder seinen blanken Hass ablassen kann. Das konterkariert die vielen positiven Reaktionen.

„Der Tag wird kommen“

Was war die schönste Reaktion, die Sie bisher erhalten haben? Gab es vielleicht sogar eine Nachricht von einem Betroffenen, der sich bedankt hat?
Ein professionell aktiver Fußballer hat sich noch nicht bei mir gemeldet, aber ich glaube, selbst dann wären die Worte meines Bruders in meiner Wahrnehmung gewichtiger. Mein Bruder ist nämlich homosexuell und ein großer Fußballfan. Als ich ihm den Song das erste Mal vorgespielt habe, sagte er mir, wie klasse er den Song finden würde. Das hat mich natürlich sehr stolz gemacht.

Welche Rolle spielte ihr Bruder bei der Entstehung des Liedes?
Er hat es mitinitialisiert. Wir sitzen bei Pauli-Spielen sehr oft nebeneinander, und als bei Pauli wiederholt eine Aktion gegen Homophobie durchgeführt wurde, und diese bei den Fans rundherum gut ankam, sprachen wir ausführlich über dieses Thema. Wir waren uns einig, dass die Tendenz ja absolut positiv ist und dass wir schon weit gekommen sind. Dass der Tag also kommen wird, an dem sich Spieler ohne Probleme zu ihrem wahren Leben öffentlich bekennen können. Dann gab es noch den Kontakt mit einem Sportjournalisten, der sehr gut in der Fußballwelt vernetzt ist. Dieser berichtete mir über das Höllenleben, das viele Aktive während ihres Versteckspiels führen müssen – das bestärkte mich natürlich in dem Vorhaben, einen Song dazu zu schreiben.

Sie sprachen die Rolle des FC St. Pauli an. Ist die Chance am Millerntor einfach größer, dass sich dort jemand zum ersten Schritt ermutigt fühlt?
Ich würde schon sagen, dass wir weiter als viele anderen sind. Das hat aber auch seinen Grund, es ist ja nun wahrlich nicht so, dass hier alles zufällig entstanden ist. Entscheidende Figuren in der Fanszene haben sich damals dafür entschieden, die Fanszene auf Respekt und Toleranz basieren zu lassen. Dieser Weg wurde konsequent fortgeführt und ermöglicht uns bis heute dieses gute Klima. Ich selber habe schon fast alle Stadionecken besucht, vom Fanblock, über die Gegengerade bis hin zu Meckerecke, und habe dabei nie etwas  von homophobischen Tendenzen mitbekommen. Es sei aber auch ganz klar betont, dass Pauli kein Alleinstellungsmerkmal darstellt. Ich bin Anfang Mai in Bremen gewesen und habe da sofort – zugegeben etwas überrascht- festgestellt, dass die Fans und das Umfeld bei Werder sehr weit vorangekommen sind. Dort haben wir auch erste Bilder für ein Videoprojekt aufgenommen.

Was für ein Videoprojekt?
Wir wollen mit Bildern von Fans unterschiedlicher Vereine, die sich klar und deutlich gegen Homophobie aussprechen, das Lied visuell unterlegen. Zahlreiche angeschriebene Vereine, unter anderem Schalke, Dortmund, Nürnberg und Bremen, unterstützen diese Idee. Natürlich gibt es auch Adressaten, die sich nicht dazu äußern. Letztendlich überwiegen jedoch die vielen positiven Reaktionen.

Was stimmt Sie optimistisch für die Zukunft?
Die jüngsten Entwicklungen. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass sich das alles so positiv entwickelt. Wir hatten einen schwulen Außenminister, der Deutschland in Ländern vertreten hat, in denen jeder normale Homosexuelle um sein Leben fürchten muss. Wir haben und hatten schwule Bürgermeister in Berlin und Hamburg. Es findet fernab der dummen Menschen, deren Blödheit sich unter anderem in Rassismus und Homophobie äußert, schon lange ein Umdenken statt. Anderseits macht es mir Hoffnung, dass wir ja auch den Rassismus aus den Stadien verbannt haben. Früher war es der hässliche Bestandteil eines Fußallnachmittages, dass dunkelhäutige Spieler mit Bananen und Affengeräuschen diffamiert wurden. Beim HSV, 1991 gegen Wattenscheid, habe ich es hautnah miterlebt. Ich habe mich geschämt und viele HSVler, die ich noch heute zu meinem Freundeskreis zähle, schämten sich auch. Fakt ist aber: Der Fortschritt wird auch hier siegen. Wir haben den Rassismus aus den deutschen Stadien gedrängt und werden das auch mit der Homophobie schaffen. Der Tag wird kommen. Vor allem auch deshalb, weil es kein einziges,  stichhaltiges Argument für Homophobie gibt. Homophobie entspringt in eigentlich allen Fällen der nackten, rohen Dummheit.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Bei all den positiven Tendenzen – würden Sie einen Spieler raten den Schritt zu machen?
Ich möchte nicht, dass der Song als Referat zum Outing verstanden wird. Das muss jeder betroffene Spieler für sich entscheiden, da darf auch niemand reinreden. Mir ist nur wichtig: Das wir ein Umfeld schaffen, das jedem ermöglicht, diesen Schritt ohne Risiken zu gehen. Da sehe ich uns auf einen guten Weg.

Auf deutschen Tribünen hört man manch Tirade der Kategorie „Schwules…. ….“ in Richtung Gegner und Schiedsrichter. Das rufen mit Sicherheit nicht nur Erz-Konservative und Rechte, sondern manchmal auch vermeintlich liberale Grünen- oder SPD-Wähler. Sind diese Worthülsen in Richtung Platz schon streng homophob oder hat sich einfach schon so ein Sprech eingebürgert?
Ich bin ja auch ein Typ, der bei Fehlentscheidungen schnell mal die Sitzschale verlässt und sich ziemlich direkt zum Schiedsrichter äußert. Da fallen sicherlich Begriffe wie „Blinder“ oder „Arschloch“. Dagegen ist meiner Meinung nach in der Emotion auch nichts einzuwenden. Aber wieso muss man Sachen rufen, die Personen in deinem unmittelbaren Umfeld erheblich beleidigen könnten? Wieso muss vor dem Arschloch das Adjektiv „schwul“ stehen?

Herr Wiebusch, zum Abschluss. Ärgert Sie es ein wenig, dass große musikalische Instanzen mit großer Fußballverbindung, man denke nur an Die Toten Hosen, dieses Thema außer Acht lassen?
Ich denke, die Hosen, und auch die Ärzte, haben ihre Popularität immer dafür genutzt, nichtakzeptierbare Probleme wie Fremdenhass und Rechtsextremismus anzuprangern. Sie leisten auch heute noch ihren großen Beitrag dazu. Und das sie bei diesem Thema auf der richtigen Seite stehen ist auch jedem klar. Ich bin nicht eitel genug, um aus diesem Song eine größere Sache zu machen, als er letztendlich ist. Ich würde niemals erwarten, dass die größten Bands auf einmal darauf eingehen und den Weg fortsetzen. Das Lied war in aller erster mir wichtig, damit ich meine Gedanken dazu ausdrücken konnte. Mit umso mehr Freude erfüllt es mich, dass diese Gedanken vielen gefallen.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.