Die TSG Neustrelitz fasziniert mich. Warum? Darum!
Hannes Hilbrecht erinnert sich an seine bisherigen Neustrelitz-Reisen und erklärt anhand dieser Beispiele, warum er sich ein bisschen in den Provinzklub verguckt hat.
Ein schales Bier, eine überraschend gute Bratwurst und ein interessantes, intensives Spiel. Der Fußball kann eigentlich so einfach sein. So wie am 30. März, als ich das erste Mal in unterstützender Mission nach Neustrelitz reiste. Einen Klub besuchte, der im Spitzenspiel gegen Magdeburg um Aufstieg und Meisterschaft kämpfte.
Die TSG Neustrelitz, sie fasziniert mich. Sie macht deutlich, wie groß das beschauliche gefühlte Mecklenburg-Vorpommern in Wahrheit ist. Jeder, der einmal von Rostock mit dem Auto nach Neustrelitz reiste, wird wissen, was ich meine. Eine verpasste Autobahnabfahrt und schon ist eine halbe Stunde verloren, die Fahrt durch enge Straßen und verschnörkelte Naturpassagen ist süße und bittere Konsequenz zugleich.
Das Stadion, dem Namen „Parkstadion“ nur allzu gerecht werdend, versprüht den Charme von DDR-Nostalgie und dürfte auch den ein oder anderen Ornithologen mit reichlich Charme verzücken. Das hier eine Mannschaft spielt, die zumindest in der letzten Saison modernen Fußball spielte, Dynamik mit der Muse des Fußballs zu einer seltenen Melange paarte, war kaum vorstellbar.
Es ist die Faszination, die mich mit der TSG Neustrelitz verbinden sollte. Ein Klub, der scheinbar in zweiten Welten lebt. Die eine, das ist beispielsweise Oliver Bornemann. Ein Geschäftsmann, der den Erfolg seit frühesten Kindesbeinen hinterher giert. Ein Hotelier, der selber aus zwei Welten zu bestehen scheint. Zumindest beim ersten Treffen mit BLOG-TRIFFT-BALL. Das lockere Outfit zusammengesetzt aus einem freundlichen Hemd, lockerer Jeans und Chucks, die vor allem mit der linksidealistischen Popkultur um Kurt Cobain ihre weltweite Verbreitung fanden. Kontrastierend dagegen, die schnieke Uhr aus gutem Werk am linken Arm, die akkurat und mit viel Gel gebändigten Haare und ein kaum übersehbarer Ring, der den Charme eines aristokratischen Erbstücks verbreitet.
Eben jener Bornemann, das versteckte sportliche Gesicht der Mannschaft, formte in wenigen Jahren aus einem mittelprächtigen Oberligisten einen Klub, der auf einmal so attraktiv war, dass MDR-Journalisten auf Campingstühlen campierten, um die Spiele des Spitzenreiters live ins öffentliche Fernsehen zu übertragen. Ein Team, mit geringen Mittel ausstaffiert, dass nur knapp an der dritten Liga scheitern sollte. Eine Meisterleistung, die Bornemann in der Regel in der gewohnten Bodenständigkeit kommentiert: „Ich mache nur meinen Job und kann dadurch meine Liebe für den Fußball, ja auch für die Region ausleben.“
Die Gegenwelt, die in Neustrelitz manchmal schizophrene Züge annimmt, ist rauer. Ein Fan, den ich damals im März in ein Gespräch verwickelte, motzte fast ein bisschen stoisch: „Der Fußballosten guckt nach Neustrelitz, sieht dabei ansehnlichen Fußball. Aber wo stehen wir hier, was sehen die Leute von außerhalb noch?“ Der Blick des Anhängers fällt auf den porösen Beton, der als Untergrund für die nervös tippelnden Füße des Referierenden fungiert. Erklärend ergänzt der Anhänger, der mit grauem Bart und weichen Augen das Antlitz eines langjährigen Beobachters erweckt, seine Sicht der Dinge unter dem Ausschluss der Polemik: „Es ist doch schade, dass sich der Rahmen nicht so schnell und gut entwickelt hat wie der Sport an sich.“
Entwicklungen, die aber dennoch zunehmend zu registrieren sind. Neue Flutlicht-Mästen warfen im Mai ihr erstes Licht auf den grünen Teppich, von der perspektivischen Gegentribüne gibt es immerhin visuelle Simulationen. Zudem scheint die Vernetzung zwischen Stadt und Klub besser. Städtische Rasenmäher, die stur auf den Trainingsplatz fahren während die Mannschaft trainiert, gehören wohl der Vergangenheit an.
Es ist das krude Gesicht der Fußball-Bürokratie, die dass rustikale Bild des Neustrelitzer Umfelds schärft und dabei noch dichter an Beulen und Kratzer heranzoomt. Statuten verlangen für Drittligafußball 10.000 Plätze. Plätze, die höchstens gegen Hansa Rostock und Dynamo Dresden gebraucht werden könnten. Ins Parkstadion verloren sich in der vergangenen Saison nur dreimal Highlight-Kulissen. DFB-Pokal gegen Freiburg, vorentscheidendes Meisterschaftsheimspiel gegen Magdeburg und das bittere Relegationsheimspiel gegen den Nachwuchs des FSV Mainz, all das zeigte was möglich ist, vernebelte aber zugleich die Realität. Der normale Ligaalltag, im letztjährigen Jargon bestehend aus Fußballfesten der Haute Couture, lockte verhältnismäßig wenig Publikum an. Eine Euphorie, initiiert von famosen Siegesserien, entstand mehr in den sozialen Netzwerken und in den Stammscharen des TSG-Publikums, spiegelte sich jedoch nicht wirklich in dauerhaft steigenden Zuschauerzahlen wieder.
Gegensätze, die sich bis in die aktuelle Kaderplanung hindurchziehen. Auf einer Reihe von „No-Name Spielern“ und prominenten Abgängen folgen zwei Transfers, die in der ganzen Liga für Aufruhr sorgten. Marcel Schied und Steve Müller, das sind Namen, die mancher in finanzkräftigeren Regionen erwartet hätte.
Das alles macht mich neugierig. Fast schon emotional gespannt. Die TSG Neustrelitz fand ich bereits bei meinem allerersten Besuch in der Residenzstadt sexy. Damals als Fan, ummantelt von einem Hansa-Trikot, den Schal auf den Schultern ruhend, wollte ich eigentlich den FC Hansa jubeln sehen. Am Ende klatschte ich für die TSG, nicht aus Trotz und gewollter Erniedrigung gegenüber der eigenen Mannschaft, sondern aus Respekt.
Respekt, der mit den Monaten gereift ist. Respekt, der aber durchaus einer gewissen Skepsis gewichen ist. Denn die TSG ist mir ans Herz gewachsen, die raue Schönheit, die Ästhetik des Spiels inmitten der von Seen und Wäldern gesäumten Landschaft. Doch wie tarieren sich die Gegensätze aus? Wächst das Projekt weiter, gewinnt es an Kontinuität? Oder verliert es gar den Sexappeal, wenn statt Siegesmeldungen vermehrt Negativschlagzeilen durch die sozialen Medien geistern?
Sind die Ketten der rauen Schönheit Parkstadion zu fest, um sich in den Strukturen gestärkt dem Profifußball noch einmal zu nähern. War das letzte Jahr ein Traum, oder nur der Prolog in die Zukunft? Es sind Fragen, die man anno Juli 2014 noch nicht zu beantworten vermag. Aber Fragen, nach deren Antworten man giert.