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Fußballlehrer mit Zukunftssorgen

Dietmar Hirsch, in seiner langen Profikarriere auch Rostocker und Lübecker, spricht im großen BLOG-TRIFFT-BALL Interview über die Sorgen junger Trainer, die Arbeitslosigkeit von Profis und Fußballlehrer.

Foto: calcio-culinaria.de

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

 

Hallo Herr Hirsch, Sie weilen ja zurzeit im Trainingslager der Vereinigung  der Vertragsspieler. Wie muss man sich die Stimmung in so einer Truppe vorstellen. Schließlich geht es ja bei fast allen um die berufliche Existenz: Ist es mehr Klassenfahrt oder Selbsthilfegruppe?
Es ist schon anders als bei einem normalen Verein. Im Training sieht man es daran, dass zum Beispiel kaum taktische Dinge vermittelt werden. Es geht hauptsächlich darum, die Spieler in einen guten konditionellen Zustand zu bringen. Für die Akteure selbst ist das unwahrscheinlich wichtig, damit sie wieder innerhalb einer Mannschaft trainieren. Sie kommen ja quasi aus dem Wald- und Einzeltraining. Ebenso ist es psychologisch eine besondere Herausforderung. Die Spieler sind  sehr in Gedanken, immerhin geht es um deren Perspektive. Gerade die jüngeren Spieler, die noch auf keine lange Profikarriere zurückblicken können und demnach finanziell nicht abgesichert sind, brauchen den Zuspruch der  Trainer. Insgesamt geht es ja darum, die Jungs sportlich und mental fit für den Profi-Sport zu halten. Am besten sind sie nicht allzu lange bei uns, sondern finden schnell einen neuen Klub.

Sie sprechen etwas Wichtiges an. Spieler, die momentan vertragslos sind, können jederzeit wechseln. Für die Trainer ist der Markt aber in der Regel zu. Wie bleibt man da optimistisch?
Eben durch solche Camps. Es ist eine schwierige Situation, das will ich gar nicht verneinen. Niemand ist gerne arbeitslos und jeder, der es einmal war, kann dies nachvollziehen. Das Trainingslager des VDV ermöglicht ja nicht nur den Spieler ein gewisses Trainingspensum, sondern auch uns  Trainern an der Seitenlinie. Der Austausch mit Kollegen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, sowie die reine Praxis als Trainer tuen gut. Auch für uns kann es ja jederzeit wieder spannend werden, wenn es bei Vereinen mit dem Saisonstart nicht wirklich laufen will.

Auch wenn es „verwerflich“ klingt: Hofft man nicht auf das Pech der Kollegen?
Nein, das würde ich nicht so sagen.  Es ist doch so: Überall wo Erfolg ist, ist der der Misserfolg nicht fern. In einer Liga gibt es immer Zufriedenheit und Unzufriedenheit. Demnach werden auch immer wieder Jobs frei. Deshalb wünsche ich keinen Kollegen etwas Schlechtes, sondern hoffe einfach darauf, dass im Fall der Fälle das gute Los auf mich fällt. Anderseits möchte ich nicht beschreiben, dass man durchaus darauf schaut, wo Bewegung drin sein könnte. Nicht weil man auf die nächste Niederlage gierig lauern würde, sondern einfach, weil jede Trainerstation eine gewisse Vorbereitungszeit benötigt.

Dass Sie überhaupt vertraglos sind, lag ja auch am bitteren Saisonverlauf Ihrer ehemaligen Elversberger. Woran lag es am Ende?
Das ist eine sehr komplexe Geschichte. Zunächst einmal ist es natürlich bitter, dass der Klub am Ende absteigen musste. Wir sind sehr gut gestartet und haben die Impulse, die ein Trainerwechsel mit sich bringt, sehr schnell zu Erfolg verarbeitet. Ab dem Zeitpunkt, wo es nicht mehr lief, brach die große Unruhe aus. Unruhe im Verein, egal zwischen welchen Institutionen sie auftritt, ist nie förderlich für die Entwicklung einer Mannschaft. Zudem kam die mangelnde Qualität im Kader, die chronische Auswärtsschwäche und das Wegfallen meines wichtigsten Spielers, Kapitän Timo Wenzel, dazu.
Sie klingen dennoch nicht wirklich unzufrieden?
Ja, weil ich auch nicht unzufrieden bin. Wir waren Abstiegskandidat Nummer 1, haben aber Punkte geholt, die in den vergangen Jahren zum Klassenerhalt gereicht hätten. Vielleicht haben wir die Klasse der Mannschaft in der guten Phase auch überschätzt, dadurch überhöhte Erwartungen und Hoffnungen geweckt. Im Endeffekt, und das ist für mich das Wichtigste, kann ich, ohne mich zu schämen, in den Spiegel schauen.

Welche Rolle spielte die Distanz zu Ihrer Lübecker Heimat?
Die besaß Vor- und Nachteile. Die Bedingungen waren nämlich für die Arbeit fast ideal. Der reine Fokus auf die Mannschaft, der durch keine Ablenkungen geprägt war, und dazu das ruhige Umfeld. Die Medien waren schließlich sehr Saarbrücken fokussiert. Auf der anderen Seite sind Familie und  Freundeskreis durch nichts zu ersetzen. Durch die große Distanz war ich neben den Winterferien nur zweimal dort, das schlaucht schon. Anderseits war die Arbeit eine gute und sinnvolle Ablenkung.

Aufgrund der mangelnden Kontinuität auf den Trainerstühlen, die ja häufig mit schnellen Entlassungen verbunden ist, ziehen viele Trainer mittlerweile das Hotel vor. Sie auch?
Nein, ich ganz und gar nicht. Ich bin kein Hotelmensch, sondern mag es viel lieber, wenn man in den eigenen vier Wänden lebt. Ich finde es gehört zum Beruf auch dazu, sich mit privatem Einsatz auf die Aufgabe einzulassen. Das schließt auch die Identifikation mit dem Arbeitsort ein. Aber das ist denke eine Frage, die jeder Trainer gesondert beantworten muss. Was mir zu Gute kommt ist jedoch, dass ich als Ex-Profi den häufigen Wohnortswechsel gewohnt war. Dennoch denke ich darüber nach, den Lebensmittelpunkt von Lübeck an einen zentraleren Ort zu verlegen. Das verringert die Distanzen und macht dadurch mobiler.  Von Frankfurt oder Köln aus ist man im Endeffekt dichter am Geschehen dran.

Ist das mittlerweile das Pflichtprogramm für Trainer?
Ja, davon bin ich überzeugt. Wer sich für diesen Berufswunsch entscheidet, muss einfach das nötige Maß an Flexibilität mitbringen.

Eine weitere interessante Entwicklung ist ja, dass sich immer mehr Fußballlehrer vor dem eigentlichen Vertragsende aus Eigeninitiative von ihren Klubs verabschieden, weil es lukrativere Angebote gibt. Haben Sie Verständnis?
Ich denke, das ist immer von der Kommunikation abhängig. Wenn ein Trainer ein Angebot erhält, das einem deutlichen Sprung nach oben gleicht, dann kann man durchaus das Verständnis für diesen Schritt aufbringen. In diesem Geschäft gibt es nicht viele Möglichkeiten. Deshalb bin ich persönlich der Meinung, dass man diese dann auch ergreifen muss. Anderseits hängt es von dem Umgang mit dem Klub ab. Wenn man als Trainer oder Spieler zu unlauteren Methoden greift, um aus den Vertrag zu kommen, den man ja im vollem Bewusstsein  über die positiven und negativen Konsequenzen unterschrieben hat, dann ist es wieder eine andere Geschichte. Dann sehe ich es sehr kritisch. Mein Ansatz ist aber: Wenn man sich bei einem unterklassigen Klub die Chance erarbeitet,  beruflich aufzusteigen, dann hat in der Regel  auch der abgebende Verein  profitiert. Pflegt man untereinander  ein vertrauensvolles und gutes Verhältnis, dann gibt es mit Sicherheit immer eine Lösung.

Kommen wir zu einen anderen interessanten Thema. Dem Weg zum Trainer. In den letzten Jahren fällt auf, dass immer mehr Trainer auf den Markt strömen. Zwar beenden erfahrene Kollegen ihre Karrieren, doch bleibt das Ungleichgeweicht. Müsste schärfer reguliert werden? Heißt, sollten weniger Trainer zu Zugängen zugelassen werden?
Die Auffassung, dass das Angebot an Trainern größer wird, teile ich. Es kann natürlich ein größeres Problem werden, das ist ganz klar. Anderseits denke ich, dass ja jeder sich selbst aussucht, wo es am Ende beruflich hingeht. Wer in der heutigen Zeit Trainer werden will, muss wissen, dass es eher schwerer denn leichter werden wird, ein entsprechendes Job-Angebot zu bekommen.

Der Ruf des deutschen Fußballs ist gestiegen. Vermehrt strömen Trainer ins Ausland. Auch eine Option für Ihre Person?
Mit Sicherheit. Ich trage ja auch die Verantwortung für meine Familie, Geld verdienen zu dürfen. Deshalb ist es meine Pflicht, mich mit allen Offerten auseinanderzusetzen. Demnach wäre auch das Ausland denkbar. Mein primäres Ziel, mich durch Einsatz und Leistung in die Bundesliga zu arbeiten, bleibt aber nach wie vor bestehen.

Wie muss man sich eigentlich die Stimmung in so einem Lehrgang vorstellen? Immerhin sitzt man ja direkt neben der künftigen Konkurrenz.
Die ändert sich mit der Zeit ein bisschen. Zum Anfang arbeitet man viel zusammen, erstellt in Gruppen Konzepte und Ideen, die zum Schluss auch gemeinsam präsentiert werden. In den zehn Monaten, die die Ausbildung dauert, lernt man sich schon recht intensiv kennen. Daraus können auch Freundschaften entstehen. Sobald es aber in die finale Phase geht und es an den Arbeitsmarkt geht, wird sich jeder bewusst, dass viele von uns das gleiche Ziel verfolgen werden und Konkurrenzsituationen durchaus vorprogrammiert sind. Es ist bei den gebildeten Freundschaften wichtig, Berufliches und Privates zu trennen. Es kann ja jederzeit passieren, dass du von einem Freund beerbst wirst, oder du selbst die Nachfolge antrittst. Das darf dann kein Hindernis sein.

Herr Hirsch, Sie machen ja kein Geheimnis daraus, dass Sie in die Bundesliga wollen. Gibt es eine Frist, bis zu welchem Zeitpunkt das Ziel erreicht sein soll.
Die habe ich mir nicht gesetzt. Erst einmal besteht ja das Ziel, sich nach oben zu arbeiten. Der Weg wird lang und sicherlich steinig, aber das macht ein Ziel nun einmal aus. Fakt ist, ich möchte mit dem Fußballsport so lange wie möglich verbunden bleiben. Wenn es am Ende nicht die Bundesliga wird, wäre ich mir nicht zu schade, mit viel Leidenschaft in der Regionalliga zu trainieren.

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Was, wenn selbst das nicht klappt? Gibt es Alternativen?
Alternativen gibt es immer. Aber es ist längst nicht so leicht, wie man sich das vorstellt. Ich habe zwar Sportmanagement per Fernstudium studiert und den Fachwirt gemacht, dazu eine Ausbildung im Verwaltungswesen genossen, doch ist der Sprung vom Fußball in die normale Berufswelt komplex. Man steckt nicht in dem Beruf, hat sich jahrelang auf andere Punkte konzentriert. Demzufolge würden Umschulungen zum Alltag werden. Letztendlich war die Trainerlizenz ja auch ein Investment, das sich lohnen sollte.

Sie haben ja immerhin das Glück, durch eine lange Karriere abgesichert zu sein.
Auch da gibt es denke ich einen Irrglauben. Erst letztens war zu lesen, dass nur 10 Prozent der Fußballprofis ausgesorgt haben. Damals waren die Zeiten zudem noch anders, da wurde nicht so bezahlt wie heute. Deshalb ist eine Profikarriere nicht automatisch mit einem sonnigen und geruhsamen Lebensabend gleichzusetzen.

Es gibt ja immer wieder Gerüchte darüber, wie viele Trainer sich auf Jobs schriftlich bewerben. Ist dem wirklich so?
Vor meiner Zeit in Elversberg habe ich das auch gemacht. Aus mehreren Gründen. Erfahrungen sammeln, schauen wie das Geschäft auf dieser Ebene so funktioniert. Letztendlich habe ich festgestellt, dass es ohne Berater nicht funktioniert. Im Endeffekt läuft vieles über Vitamin B und Mund zu Mund-Propaganda. Da müssen wir uns keine Illusionen machen. Bei höherklassigen Klubs, die eh bevorzugt auf erfahrene Trainer bauen, oder auf eigene Nachwuchskräfte, machen Bewerbungen einfach keinen Sinn. Auch wenn es abgedroschen klingt: Das Glück gehört – insbesondere in diesem Geschäft – einfach dazu.

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Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.