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Genug der Schadenfreude

Fast eine Woche ist es nun her, dass wir mal wieder ein  Diskussionsthema hatten, das eigentlich gar kein Thema war. Der Gaucho-Tanz, vollführt von einer jubeltrunkenen Spielertraube unserer Weltmeister, erregte die Feuilletons der großen Medienhäuser. Selbst konservative Adressen wie die hochtrabende FAZ, die eigentlich zu deutlich mehr Selbstbewusstsein aufrufen, übten sich  teilweise in harscher Kritik.

Der deutsche Boulevard, angeführt von den Klatsch-Patronen der „BILD“, druckte in großen Lettern, wie „fast“ immer sprachlich unprätentiös, das Gegenprogramm. Als neutraler Beobachter war das schon ein kleines Spaßprogramm, das für ausreichend Erheiterung sorgte.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Neutral war ich aus einfachem Grund. Ich selber fand den „Gaucho-Tanz“ schon beim ersten Blick weder lustig noch erheiternd, eher etwas deplatziert. Anderseits konnte ich die kruden und teilweisen bigotten Resonanzen der deutschen Medienelite nicht wirklich nachvollziehen. Ich mag es einfach nicht, wenn Lappalien bis zur Unkenntlichkeit aufgeblasen werden. Wenn viel mehr daraus gemacht wird, als es eigentlich ist.

Wer von uns hat noch nie, schwimmend  in der Welle der Euphorie, auf Hohn und Spott zurückgegriffen. Ich weiß noch ganz genau, als wir in der Schule nach dem niederländischen Quali-Aus, im Herbst des Jahres 2001, den Klassiker „Ohne Holland, fahren wir zur WM“ schmetterten.

Demnach nahm ich den Gaucho-Tanz mit einer Melange aus Fremdschämen und Verständnis auf. Es gibt schlimmeres. Punkt. Doch am heutigen Vormittag schauderte es mir kurz. In meiner Facebook-Timeline tauchte auf einmal ein Post auf, der ziemlich nah dran war, mir die Fassung zu rauben. Ein Mitglied meines Freunde-Ensembles teilte den Link der Facebook-Seite „Pro Gaucho-Tanz unserer Nationalmannschaft.“  Interessiert an der Polemik eben dieser staunte ich nicht schlecht, als ich sah, dass sich bereits über 79000 Menschen dieser Seite angeschlossen hatten.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Dass abertausende Beiträge teilten, die längst nach dem Feierrausch entstanden waren. Die nicht mehr mit Jubelrausch und Restalkoholbeständen erklärbar waren. Die in Zukunft weitere Unsportlichkeiten fordern. Genau dass ist das, was mich am meisten erbost. Ja, es regt mich wirklich auf. Es ist nicht die eine unüberlegte und im Rauschzustand  geborene Unachtsamkeit der sonst stets fairen Nationalspieler, die sich auch in den Minuten des größten Erfolges um den Trost für die Gegner sorgten.

Nein, es ist die zunehmende Arroganz, die sich seit Jahren unter den Schland-Fans breit macht. Während wir in von der Vorrunde bis zum Viertelfinale noch unsere eigenen Spieler feierten, Müller, Klose, Neuer und Hummels gedankengeschmiedete Denkmäler errichteten, regierte ab dem Halbfinale der Spott. Spott gegenüber dem kopflosen Brasilien, den wackeren Argentiniern und den ganzen anderen „grande Nations“, die bereits nach wenigen WM-Wochen die Heimreise buchten. Auf unzähligen Bildern und anderen Persiflagen machten wir andere Nationen nieder, verspotteten sie mit mehr oder weniger kreativen Photoshop-Kreationen. Viele, bestimmt nicht alle, übten sich in einer neu geborenen Arroganz.

Es mag von mir auch engstirnig sein, vielleicht bin ich wirklich ein wenig Biedermeier und mache zu sehr einen auf Gutmensch. Aber diese scheinwitzige Kultur, die mit jedem eigenen Erfolg gewachsen ist und hauptsächlich darauf abzielt, sich in Schadenfreude zu schmiegen, die nervt mich.

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Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.