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Ein besonderer Kampf um Daniel

Daniel Muniz dos Santos ist ein talentierter 22-Jähriger, der für den Rostocker FC in der Verbandsliga kickt. Wie lange er das tun wird, bleibt jedoch fraglich. Der RFC kämpft um seinen Verbleib und um die Chance auf ein neues Leben für den Brasilianer – wäre da nicht der Bürokratie-Marathon.

Foto: Sebastian Heger | Rostocker FC

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Es ist nicht ungewöhnlich, dass Vereine über den Sommer hinweg um ihre Spieler bangen. Angst davor haben, dass es das eine lukrative Angebot geben wird, das nicht von Spielerseite abgelehnt werden kann. Fernwehschwaden im Inneren der Spieler lebendig werden. Sie nur noch eines wollen: Weg. Wegen der Herausforderung, wegen des Geldes oder aus noch weit mehr im Detail versinkenden Gründen.

Beim Rostocker FC ist es nicht anders. Die Mannschaft ist talentiert, viele Spieler sind jung und könnten in einer anderen Liga etwas Geld verdienen. Sie könnten perspektivisch aufsteigen und wieder anfangen zu träumen. Beim RFC, dem Club aus dem Südwesten der Warnowstadt, dominierte aber ein anderer Fall die Herzen und Gedanken der Verantwortlichen.

Dabei will der Spieler sehnlichst beim Verein bleiben, den er manchmal schon als sein neues Zuhause bezeichnet.

Möchte der Verein doch auch den Spieler halten, der seine Gegenüber stets mit einem Lächeln empfängt und ganz nebenbei einen wunderbaren Ball spielt.

Doch es gibt ein großes Problem. Daniel Muniz dos Santos ist nicht Deutscher, ist auch nicht Europäer.

Nein, Daniel ist Brasilianer. Ein junger Südamerikaner – 22 Jahre alt, um genau zu sein. Er kommt aus einer brasilianischen Großstadt, seinen Vater kennt er nicht. Eines seiner einst drei Geschwister, ein älterer Bruder, wurde vor ein paar Jahren in seiner Heimatstadt Porto Velho erschossen. Er wächst in ärmlichsten Verhältnissen auf – als Ghetto, würden wir Westeuropäer sein Zuhause beschreiben.

Daniel, dessen Blick tiefe braune Augen offenbart, ist der Stolz seiner Familie und der beste Kicker auf in seiner Straße. Viele einstige Mit- und Gegenspieler von der Straße verfolgen Daniels Karriere über Facebook. Das soziale Netzwerk ist sein einziger beständiger Kanal in die Heimat. Zu Mutter, Schwester und Bruder.

Weil seine Familie so stolz ist, sammelte sie vor nicht allzu langer Zeit Geld. Spart unter noch größeren Entbehrungen und legt irgendwann alles zusammen. Das reicht für einen Flug nach Berlin und eine Rückflugkarte von Madrid nach Rio de Janeiro. Das Geld für einen Flug von Berlin hätte nicht gereicht, so orderte Familie Dos Santos den günstigsten Flug von Europa zurück nach Brasilien, vielleicht auch die Weiten Europas unterschätzend. Daniel soll in Europa mit Fußball Geld verdienen, ist ein Stück Hoffnung für seine Mutter und seine verbliebenen Geschwister. Dass er fernab der brasilianischen Alltagskriminalität wohnen kann, ist  für sie ein angenehmer Nebeneffekt.

Daniel lebt zunächst in Berlin bei einem entfernten Cousin. Sie teilen sich eine Einraumwohnung. „Für uns ist das unvorstellbar, wie die beiden zusammen leben mussten.“,  erzählt RFC-Trainer Jan Kistenmachter mit leiser Stimme. Er ist der Grund, warum Daniel in Rostock ist.

Kistenmacher trainierte vorher in Berlin, arbeitete bereits mit dem damals noch viel jüngeren Daniel zusammen. Der bereits einmal  zuvor in Deutschland war, mit Hoffnung und familiären Stolz im Gepäck. Kistenmacher hinterließ seine Kontaktdaten, falls Daniel noch einmal Hilfe bräuchte. An einem Anruf seines Schützlings glaubte er nicht. „Aus dem Nichts bekam ich einen Anruf. Die Nummer war mir unbekannt. Es war Daniel. Er fragte, ob ich eine Mannschaft trainieren würde.  Fragte, ob er willkommen sei. ´Natürlich`, habe ich geantwortet. ´Wir bekommen das schon hin`.“

Daniel kommt und siegt. Er ist technisch versiert und man sieht ihm spätestens auf dem Platz an, dass er die südamerikanische Finesse in seinen Füßen trägt. Auch aufgrund seiner Person spielt der traditionsreichste Rostocker Fußballverein eine famose Rückrunde, ist wie ausgewechselt.

Die Probleme fangen erst danach an. Daniels dreimonatiges Touristenvisum läuft ab, er gilt fortan als „illegal.“ Lange muss der Verein verhandeln, um mit der Ausländerbehörde eine Lösung zu finden. Um Daniels Traum am Leben zu erhalten, ihm und seiner Familie weiter Hoffnung zu spenden. Ihm die Abschiebung zu ersparen.

Er darf zwar ein Jahr bleiben, die Chance zu arbeiten besteht für ihn jedoch nicht. Obwohl ein Unternehmen längst gefunden ist, bleiben die bürokratischen Schranken geschlossen. Ein treuer RFC-Sponsor übernimmt die Krankenversicherung, der Verein beginnt Sach- und Geldspenden zu sammeln. Fast 1000 Euro sind bisher zusammen gekommen. Der Verein selbst kratzt für Daniel jeden Monat den Bafoeg-Satz zusammen, damit er wenigstens etwas zum Leben hat.

Im schmucken Vereinsheim wollten sie Daniel ein Zimmer einrichten. Ihm ein Dach schenken und das Provisorium möglichst heimelig machen. Die WiRo, Eigentümer der RFC-Immobilien, lehnt aus rechtlichen Gründen ab. Kontrolliert in der Folgezeit scharf, ob sich der Klub daran hält. Ein Umstand, der Kistenmacher nicht nur mit Blick auf die WiRo ungläubig zurücklässt: „Mich verärgert allgemein, dass so viel gebremst wird. Es wäre so viel leichter, wenn gesagt werden würde, dass wir gemeinsam schon einen Weg finden. Das ist aber die Seltenheit.“

Gemeinsam arbeitet jedoch der Klub vom Damerower Weg, die Wirtin der Vereinskneipe, Iris Ehlers, überlässt Daniel ein freies Zimmer in ihrem privaten Wohnhaus. Kümmert sich mütterlich um den jungen Mann, der ab Monatsende August an der Volkshochschule die deutsche Sprache erlernen wird. Teamkollegen, zurzeit meist die studierenden Mitglieder des Teams, unternehmen mit ihrem schüchternen Freund häufig etwas in der Stadt, loben ihn dazu auffallend oft auf dem Platz. „Sie halten  auch neben dem Platz zusammen und sind immer für ihn da. Das zu sehen, ist mir eine wahre Freude.“, erzählt Vereinspräsident Nils Greese. Die Stimme klingt norddeutsch wohlig, ein dezentes Lächeln verdrängt die zuvor ernste Mimik aus dem Gesicht.

Es ist aber keine einbahnstraßenähnliche Beziehung zwischen Daniel und seinem Verein. Er spielt leidenschaftlich, rennt vielen Bällen hinterher, trifft regelmäßig. Auf dem Platz wirkt es manchmal fast so, als ob er sich bedanken möchte. Ihm gelingt es beim letzten  Heimspiel gegen Pommern Stralsund perfekt. Muniz trifft doppelt, macht neben dem wichtigen 1:0 das sehenswerte 3:0 per Volley nach einer Freistoßvariante.

„Tore sind für mich die beste Chance, mich bei den Menschen zu bedanken, die so nett zu mir sind.“, berichtet der Offensivspiel im bemühtem Deutsch. Eine andere Sprache, die BLOG-TRIFFT-BALL ihm anbietet, lehnt er ab. „Ich möchte die Sprache lernen. Also bitte weiter auf Deutsch.“, entgegnet der 22-Jährige im leisen Trotz. Er fühle sich wohl und freue sich auf die Schule, erklärt der Brasilianer, dessen Gesicht von jugendlichen Zügen geprägt ist. Viel Zeit zum Reden bleibt nicht, die Mannschaft möchte den 5:1-Sieg gegen Pommern Stralsund feiern. Daniel soll dabei sein und sich beeilen. „Wir warten schon auf dich.“, ruft ein Teamkollege aus der Distanz.

Mit den Mannschaftskameraden feiern, ist ein bekanntes Gefühl für Daniel. Sehr oft hat der RFC zuletzt gewonnen, in vielen Fällen trug Daniel seinen Anteil daran. Doch eines ist heute anders. Die Ordner, in neongelben Westen über den Platz eilend, kommen Daniel mit vielen  Plastikbierbechern entgegen. Was ungewöhnlich ist, schließlich wird auf die RFC-Trinkutensilien ein Pfand in Höhe von zwei Euro erhoben.

Die Becher liegen aber nicht ohne Grund auf dem Rasen. Einem Anhänger kam während der Partie die Idee, die Becher und den dazugehörigen Pfand Daniel zu schenken. Sie nach dem Spiel auf dem Platz zu werfen, als Geste ihre Unterstützung. Eine Idee, inspiriert von „Viva con Aqua“, die auf Konzerten die begehrten Trinkgefäße einsammeln und  den Erlös in die Wasserversorgung von Entwicklungsländern investieren. Der Verein kommt der Idee des Fans nach und tätigt in aller Spontanität entsprechende Vorkehrungen. „Natürlich, mache ich das, wem tut das denn weh?“, fragt ein spendender Fan mit feinfühligem Zungenschlag.

Die Ordner sollten dieses Mal etwas länger zu tun haben. 72 Euro kommen zusammen. Eine gute Quote, bei knapp 170 Zuschauern.

Ein kleiner Schritt für Daniel. Bis zum 30.6.2015 wird er wohl in Deutschland spielen, soll den RFC in einer möglichst starken Saison begleiten. Wichtiger aber: Er soll baldigst mit der deutschen Sprache so vertraut sein, dass an den Besuch einer Berufsschule zu denken ist. Daniels wichtigster Kampf findet längst nicht mehr auf, sondern neben dem Platz statt. Die Hoffnung auf ein Happy End ist ungebrochen, auch wegen den kleinen Dingen der Herzlichkeit.

Daniel möchte nicht  nur befristet in Deutschland bleiben.

Alle anderen, mit denen ich am Rande des Spiels sprach, wollen das auch nicht. Er gehört mittlerweile zu ihnen, ist bereits Teil ihrer Fußballfamilie.

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Damit das gelingen kann, muss Daniel im nächsten Sommer sprachlich so weit sein, damit er eine Berufsausbildung in der Praxis und Theorie bestehen kann. Muss einen Ausbildungsplatz finden, der ansonsten unbesetzt geblieben wäre.

Ihr wollt helfen? Mailt an info@rfc-1895.de

 

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.