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Ein Desaster für Peter Vollmann

Wir hatten es ja fast ein wenig beschworen. Der Worst-Case, eine Niederlage gegen Großaspach, kam dennoch überraschend. Besonders bitter: Es war nicht nur ein verlorenes Spiel, sondern eine Demütigung. Spieler und Trainer müssen sich nun kritische Fragen gefallen lassen.

 

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Foto: noveski.com

Dieses Gesicht sprach Bände. Zehn Minuten waren gespielt, als ein Fan sich aus seiner blauen Sitzschale erhob, den Schal langsam um den Hals wickelte und mit tiefen, von Besorgnis zeugenden Falten, den Gang richtig Stadionausgang hinausstapfte. Fast rhythmisch wankte der Kopf, die Mundwinkel hingen schlaff. Eigentlich sah der Mann so aus, als ob er genug hätte. Er kam aber wieder, mit drei Bieren in einem Trägen gesammelt. Abgegeben hat der Mann keines davon.

Es war eine symbolträchtige Szene, eine, die wohl nicht nur im Block 6 der Nordtribüne dargeboten wurde. Der FC Hansa war um 19.10 Uhr mausetot. Vorgeführt von der SG Sonnenhof-Großaspach, dem provinziellen Regionalligaaufsteiger. Es waren zehn groteske Minuten. Denn aus der positiven Stimmung, aus der freudigen Erwartungshaltung auf einen vermeintlich schlagbaren Gegner, wurde eine eiskalte Dusche.

Geduscht hat sich der FC Hansa, ganz im Zeichen des momentanen Internet-Trends, dabei fast im Alleingang. Selten zuvor erlebte man in Rostock ein Chaos dieser Größenordnung, das sich mannschaftlich und individuell in neunzig teilweise kläglichen Minuten äußerte. Minuten, in denen Hansa dominiert wurde. Von besser organisierten Gegnern, die gedanklich und taktisch in einer anderen Sphäre spielten.

Es war vor allem ein Desaster für Peter Vollmann. Der Cheftrainer, im Frühjahr zum Preis von Uwe Vester als großer Hoffnungstrainer akquiriert, erlebte ein persönliches Debakel. Und das, obwohl Denis Weidlich gegenüber der Ostsee-Zeitung ein Schuldeingeständnis im Namen der gesamten Mannschaft offenbarte: „Es war ja nicht so, dass es ein Schlagabtausch war. Wir haben versagt und sind bitter enttäuscht.“

Dass die Mannschaft einen schlechten Tag hatte, individuell patzte, war die eine Seite. Vielmehr führte jedoch die SG Sonnenhof-Großaspach vor Augen, wie schlecht es um die Ordnung und Systematik im Rostocker Spiel bestellt ist. Während sich die Gäste, natürlich angetrieben von der frühen Führung, flüssig kombinierten und einen Reißbrettangriff nach dem anderen fuhren, wirkte Rostock in der Vorwärtsbewegung bis auf wenige Ausnahmen eher provisorisch.

Aus dem nur selten direktem Spiel und fast schon ziellosen Bewegungen ohne Ball resultierte eine wahre Armut an vertikalen Passoptionen. Die Folge: Fehlpässe en masse, viel horizontales Ballgeschiebe und immer wieder Jörg Hahnel, der von einfallslosen Vorderleuten angespielt wurde.

Großaspachs Akteure hingegen, die längst nicht die individuelle Klasse der Rostocker besitzen, schienen bereits bei der Ballannahme genau zu wissen, wo das Spielgerät als nächstes hingehörte. Knallhart formuliert empfing am Dienstagabend eine Mannschaft ohne Plan einen Kontrahenten mit dickem Konzept. Dass die Niederlage nur mit 1:3 ausging, war noch die beste Nachricht aus hanseatischer Sicht. Oder auf die Trainer vereinfacht: Ein klarer Punktsieg für Rüdiger Rehm.

Heißt in Punkten ausgedrückt: Fünf Punkte aus sechs Spielen, davon ein im Endeffekt glücklich erzitterter Sieg in Münster und zwei Last-Minute Remis. Der Klub steckt in der Krise, was auch Peter Vollmann zugab und von einem „wirklich schlechten Saisonstart“ sprach.

Dabei wurde diese Krise nicht gegen Großaspach geboren, sondern schlug ihre Wurzeln schon früher. Die Mannschaft, so scheint es, hat seit dem furiosen Auftakt keine Weiterentwicklung genommen. Während anfangs schwächelnde Teams sich immer besser konstituieren, ihre Spielidee forcieren, scheint Rostock spielerisch nackt dazustehen.

Obwohl die Hansa-Elf in der ersten englischen Woche noch starke Mannschaften bespielen musste, dabei immerhin phasenweise defensiv relativ sicher stand und wenig generische Chancen zuließ, haben sich nun in beiden Lagern tiefe Risse gebildet.

Die Offensive lebt von Einzelaktionen und Standards, besitzt kaum konstruktive Merkmale. Peter Vollmann ist es noch nicht gelungen, sein Repertoire an hochveranlagten Spielern in ein vielversprechendes Muster zu kleiden. Nach torlosen Spielen gegen Kiel und Wiesbaden, schoss Hansa gegen Regensburg zunächst hervorragend aus der Distanz, profitierte dann von kapitalen Abwehr- und Torwartfehlern und konnte letztendlich ausgleichen, da Regensburg einem gravierenden Kontrollverlust nach einem Zaubertor von Ziemer unterlag.

Zaubertore und Kontrollverluste sind dabei zwei weitere Stichworte, die es zu betrachten gilt. Denn der FC Hansa schoss bisher bereits drei absolute Traumtore – gefühlt mehr, als in der ganzen letzten Saison. Ein Beleg der individuellen Klasse, die in der Respektive wohl auch unsortierte und hektische Münsteraner erdolchte.

Einen Kontrollverlust erlebten die Rostocke jüngst zum dritten Mal. Nach dem kurzeitigen, dann aber gestoppten Aufhollauf der Preußen, gerieten die Hanseaten in den letzten beiden Spielen innerhalb weniger Momente komplett aus der Spur, fingen sich in Regensburg nur dank ähnlich unstrukturierter Bayern in letzter Sekunde.

Das sind klare Symptome für die Fragilität im Rostocker Spiel. Eine Schwäche, die Großaspach noch einmal in bester Manier eines Indikators mit klaren Konturen offenlegte. Diese brauchten nämlich nur drei Minuten, um ihre kurzzeitige Nervosität nach dem glücklichen Rostocker Anschluss abzustellen, während die Hansa-Elf nie zu einem akzeptablen Maß an Souveränität fand. Ein Umstand, der bei allem Gerede über individuelle Patzer auch auf den Trainer zurückgeführt werden muss.

Nicht umsonst konstituierte sich die „Bild“-Zeitung, in Medienkreisen der größte Vollmann-Fürsprecher, in ihrer Mittwochsausgabe als trainerschützende Instanz. Als den „armen Peter Vollmann“ (Zitat aus der „Bild“-Rostock) verteidigte das Boulevardblatt mit zweifelhaften Mitteln „seinen“ Trainer. In einer Kaskade von Schimpfwörtern beleidigte die „Zeitung“ dagegen die Mannschaft als „Abwehr-Penner“, „Stümper“ und „armseligen Haufen.“ Der Zweck, durch die durchgängige Bewertung der vier zentralen Spieler mit einer „Sechs“ zusätzlich untermauernd, war dabei ein Einfacher: Die komplette Schuld auf einzelne Spieler abwälzen und diese unter dem Gebrauch von wenig niveauvollem Vokabular zuätzlich in Diskredit zu bringen.

Zudem war diese auch bei der Bewertung der Spielerleistungen fachlich unterirdisch. Ein Christian Stuff, der mehrmals mit wichtigen Bewegungen Löcher stopfte, gebührte sicherlich Kritik, aber keine polemische Herabsetzung auf die schlechteste Note. Eine Reaktion der Bild, die insbesondere in ihrer Sprache heftig und einseitig ausfiel.

Aber auch eine, die für sich sprach. Trotz vieler positiver Punkte Peter Vollmanns, unter anderem der höchst positive Umgang mit Spielern, die Zusammenstellung einer interessanten Mannschaft und seiner Agilität an der Seitenlinie, ist die Bilanz bisher ernüchternd. Nicht nur in der Punkteausbeute, sondern vor allem auf dem Rasen.

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Das Positive kann man jedoch auch dieser Situation entnehmen. Immerhin scheint eine wiederholt vorzeitige Entlassung in Rostock ausgeschlossen, dem Cheftrainer winkt wohl unabhängig von den nächsten Resultaten die Zeit, die er verdient hat.

Der einfache Grund: Anders als noch Andreas Bergmann gilt Vollmann als uneingeschränkter Wunschkandidat des Vereinschefes und der federführenden Personen in der Aufsichtsratetage. Und auch aus den „Bild“-Räumen ist keine spitze Pieckenhagen-Kolumne zu erwarten.

Und selbst Thorsten, der Mann mit dem Bier, ist, was den Trainer anbelangt noch ganz locker: „Das pack’n wir schon.“

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.