Top

Hilbrecht bloggt: „Enjoy every Sandwich“

Hannes Hilbrecht schmollte zwei Tage wegen des beschaubaren Hansa-Auftritts am Wochenende. Dann bilanziert er trocken: Dieses vorzeitige, depressive Geplärre ist schrecklich. Vor allem nach vier absolvierten Spielen. Seinen neuen Mut möchte er jetzt teilen. Ganz nebenbei: Eine Hommage an Warren Zevon.

Foto: noveski.com

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

„Genieße jedes Sandwich.“, sagte sich Warren Zevon, als ihm sein Arzt die Aussichtslosigkeit seiner Lungenkrebserkrankung vor Augen führte. Für einen Kettenraucher wie Zevon, der selbst während seiner unzähligen Konzerte gerne einmal beherzt paffte, ein fast schon logisches wie tragisches Todesurteil.

Sein sarkastisches Lebensmotto wurde wenige Monate nach seinem Ableben vor zehn Jahren auf Vinyl gepresst. Ein Sammelsurium der besten Zevon-Nummern, postum eingespielt von guten Freunden. Als „Enjoy every Sandwich“ kam die musikalische Verneigung vieler großer Künstler am Ende auf den Markt.

Was das mit dem FC Hansa zu tun hat? Eher weniger. Eigentlich gar nichts. Aber ich hörte die Platte, als ich am letzten Sonntag nach den Interviews in der Mixed-Zone nach Hause karriolte. Nicht wirklich zielstrebig, sondern ziemlich unnütze Umwege schlendernd.

Die Musik Zevons, meistens ähnlich sarkastisch und schwarzhumorig wie der Albumtitel, erschien mir als passende Ummantelung für meine Hansa-Gedanken. Und ja, „Genieße jedes Sandwich“ war für mich zumindest am vergangenen Sonntag auf „Genieße jedes Hansa-Spiel“ übertragbar.

Ja, so apokalyptisch dachte ich wirklich. Und hey: Das nach vier läppischen Spielen.

Es war aber auch eine miese Hansa-Woche. Drei sehr schwache Leistungen mit einer „okayen“ Halbzeit gegen Wiesbaden. Viel Stückwerk, kaum Plan und wenig Esprit. Ähnlich wie in den Rückrunden der letzten beiden Spielzeiten. Andere Spieler, anderer Trainer doch die Leier blieb gleich.

So dachte ich den ganzen Abend, irgendwann fertigkarriolt und auf dem Balkon Glenvilet auf Eis schlürfend.

Zwei Tage, geprägt von vielen vorbeigondelnden Gedanken, benötigte ich, um neuen Hansa-Mut zu fassen. Zwei Tage, so viel sei erklärt, sind da schon eine ganz schön große Zeitspanne. Normalerweise hält die Hansa-Depression maximal zwei Stunden in meinem zum Optimismus neigenden Denkapparat aus.

Aber diese Phase des dunklen Gedankennebels war ausdauernd. Schon im Stadion  registrierte man dies an den Reaktionen des Publikums. Das Meckern und Zetern auf den guten Plätzen begann früh, das anfangs noch verbleibende Niveau der Tiraden nahm rasch ab. Zorn richtete sich nicht nur gegen den Gegner, sondern auch die eigenen Spielen durften sich einiges anhören. Die Zuschauer waren nach neunzig Minuten nicht enttäuscht, sondern wütend. Sauerwütend oder tieftraurig. Oder beides. Das ist dann ein besonders klägliches Gefühl. Traurigwütend oder Wütendtraurig. Hört sich beides scheiße an. Ist es  letztendlich auch.

Wer mochte es ihnen auch verdenken. Nicht, dass die Leistung besonders schwach gewesen wäre. Da gab es schon miesere Aufritte, gegen Darmstadt und Duisburg zum Beispiel. Auch wenn das Ergebnis am Ende das gleiche war. 0:1. Das fünfte 0:1 im Heimspieljahr 2014. Heidenheim, Darmstadt, Duisburg, Leipzig und  jetzt auch noch Wiesbaden. Fünfmal nullzueins in elf Heimspielen, dass muss man erst einmal schaffen.

Eben das machte mich so nachdenklich. Der Fußball war bemüht, Ansätze waren erkennbar- kaufen konnte man  sich davon am Ende wenig. Und ja, Wiesbaden war nicht einmal deutlich besser. Wenn sie das überhaupt waren.  Aber eine Spitzenmannschaft gewinnt halt solche Spiele. Wie Darmstadt, wie Heidenheim oder Leipzig im letzten Jahr. Wie wir, als wir Erfurt und Elversberg  bemüht, aber glücklich mit dem knappsten aller Ergebnisse schlugen. Was ich sagen möchte: Wir sind noch lange keine Spitzenmannschaft, auch wenn uns das 4:3 in Münster eben jenes vorgaukeln wollte. Und das, zumindest in meinem Fall, auch erfolgreich.

Jetzt aber, und  nun werde ich langsam positiver in meinem Gemüt, kommt der übliche Rostocker Trott. Wenn es mal nicht läuft, senken sich die Köpfe rapide ab. Nicht auf der Trainerbank und nicht auf dem Platz, sondern viel mehr im Drumherum. Der Glaube an die Wende, daran das alles schon irgendwie gut ausgehen wird, der ist nicht mehr existent. Wenn, dann auch nur in einer flüssigen Konsistenz, die im Unglücksfall allzu schnell verrinnt. Bei einigen auch schon nach vier Spielen.

Seit Jahren entlässt der Verein Trainer um Trainer, wenn es eine  Weile mies läuft. Es besteht das Gefühl, dass Trainer nur eine wirkliche Chance besitzen. Wird sie verpasst, heißt es mehr oder minder skrupellos „Auf Wiedersehen“. Der Fußball wird dann monoton skizziert. Geht es erst einmal bergab, ist ohne Trainerentlassung kein bergauf mehr möglich. So klingt sie, die einfache wie strunzdoofe Denke.

Trendwende durch „Über“-Aktionismus, wäre eine passende Strategiebeschreibung.

Der Glaube daran, sich selbst zu befreien, dass schon irgendwie alles gut wird, der fehlt. Alles ist zu schnell zu negativ, zwei Niederlagen in der Startphase und schon ist die Saison gefühlt begraben. Nach dem Motto:  Die letzten zehn Jahre waren mies, also wird es auch mies bleiben. Außer wir fangen genau JETZT an zu gewinnen.

Das steckt alle an. Ist Gift für die Psyche, eine kompetitive Hemmung für den notwendigen Optimismus. Ohne Optimismus sinkt der Mut und wenn dieser erstmal  gänzlich fehlt, hilft nur noch Glück. Glück darauf, dass sich jemand mit noch weniger Mut findet. Mit noch weniger Fortune. Oder auch bekannt als Wacker Burghausen in der vergangenen Spielzeit.

Es war nicht immer so, wie ich mich vage erinnern kann. Immer wenn ich tränenreich Hansa-Niederlagen beweinte – zu Bundesligazeiten ja nicht allzu unüblich – hieß es norddeutsch stoisch: Am Ende wird’s schon reichen. Und ja, am Ende reichte es oft. Sehr oft.  Eigentlich fast immer.

Von diesen Gedanken ist man weit entfernt. Zumindest, wenn man im Stadion auf den besser betuchten Plätzen lauscht oder  Foren und soziale Netzwerke nach Meinungen durchforstet.

Dabei ist der Fußball nicht so simpel, wie wir ihn gerne sehen. Mannschaften werden nicht immer  wie im  Jahr 2010 siegreich zusammengestellt, sondern meistens über lange oder kurze Zeit geformt. Jürgen Klopp brauchte zwei Jahre, um aus einer guten Mannschaft eine absolute Spitzentruppe zu formen. Markus Weinzierl in Augsburg eine ganze Hinrunde. Darmstadt und Karlsruhe in ihren Drittliga-Aufstiegsspielzeiten einige Spiele.

Neben der Euphorie, die einem vom ersten bis zum letzten Spieltag trägt, gibt es eine zweite Variante. Die, in der man aus Fehlern lernt. Niederlagen zu Beginn, so abstrus es sich anhören mag, können sich als wertvoller als mancher Sieg erweisen.

Siege und Tore können teils diverse grobe Fehlentwicklungen überlagern. So lange, bis es zu spät ist. Marc Fascher bewies es, Andreas Bergmann  in dezenterer Form ebenso. Während Niederlagen schonungslos Missstände offenlegen, übertünchen Siege die Symptomatik mancher Krankheit im Spiel. Während man sich an knappen, hart erkämpften Siegen beschwipst (was Andreas Bergmann nie tat und dafür jedoch kritisiert wurde, nicht wahr liebe Bild“zeitung“?) kann die Geschwulst im Spiel unbemerkt wachsen. Wenn es bitter läuft, vom Ausgangsherd in andere Bereich hinein.

Nimmt man diese nicht wahr, kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem die Saison wirklich vorbei ist. Wie beim HSV im letzten Jahr oder beim 1. FC Nürnberg, der viel mehr als der HSV ein Paradebeispiel dafür darstellte. Oder wie bei Warren Zevon, dem der röchelnde Atem  im glücklich verlebten Liedermacher-Dasein viel zu spät auffiel.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Aus Fehlern lernt man immer. Auch in Rostock. Die Frage: Lernt man richtig, oder lernt man falsch? Peter Vollmann, der eine gute Truppe beisammen hat, ist nun gefragt. Ihm ist es zuzutrauen, die richtige medikamentöse Dosierung zu finden. Gelingt es ihm, werden wir bald wieder viele Sandwiches in Form von Hansa-Spielen genießen können. Und anders als der gute Warren, nicht mit einem zusehends leerwerdenden Kühlschrank vor Augen.

Und trotzdem dachte er stets positiv.

Dieses Denken können wir gerne übernehmen.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.