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Höhenluft im HSV-Unterbau

Die U23 des HSV startete in der Regionalliga Nord einfach mal besser als alle anderen 17 Vereine in die Saison und brachte uns zur Frage: Wie kann das sein?  

Foto: hammoniaview.de

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Die Stimmung beim HSV ist prächtig. Zugegeben: Das sind komische Worte, vor allem in Anbetracht des letzten Jahres. Wenn man reüssiert, wie trist es um den Traditionsverein aus Stellingen noch im vergangenen Mai stand. Wenn man bedenkt, dass der HSV schon zwei Pflichtspiele absolviert haben könnte, wenn dem Fürther Stürmer Azemi im entscheidenden Relegationsrückspiel nicht kläglich der Ball abspenstig geworden wäre. Die Neuverpflichtungen klingen weit mehr als interessant, die boulevardesken Schlagzeilen werden gefühlt fast minutiös milder. Beim HSV tut sich etwas. Das registriert man längst über die Grenzen der Elbstadt hinaus.

Längst etwas getan hat sich auch im Unterbau der Hamburger. Zugegeben mehr, als der kühnste Optimist im Vorhinein erwartet hatte. Vor allem, als der Spielplan vorgestellt wurde. Goslar, Norderstedt und Oldenburg hießen die ersten drei Kontrahenten, die zusätzlich erschwerend in zwei Auswärtsspielen mündeten. Wer lediglich einen Punkte prognostizierte, eventuell auch einen duseligen Sieg gegen Norderstedt, der galt nicht als Pessimist, sondern wurde viel mehr als bodenständiger Realist wahrgenommen. Jemand, der trotz Trainerwechsel nicht sonderlich viel auf die Hamburger U23 baute. Erst recht gegen diese Gegner.

Drei Wochen später steht die HSV U23 bei neun Punkten aus drei Spielen. Sie führt die Tabellenspitze an, blieb über die gesamten 270 Minuten gegentorlos. Gegen Goslar, Norderstedt und Oldenburg. Nur einmal zu Wiederholung. Zum Verständnis. Mit 9:0 Toren.

Das bekannteste Gesicht des Erfolges trägt keine Rückennummer, keine Stutzen und auch die knallrote kurze rote Hose gehört nicht zur Garderobe. Das Gesicht des Erfolges, zumindest nach außen, ist Josef „Joe“ Zinnbauer. Der Trainer, einer der wenigen, aber häufig in der allgemeinen Polemik untergehenden guten Schachzüge von Oliver Kreuzer.

„Wir sind zufrieden, aber nicht sehr zufrieden.“, sagt Zinnbauer in der aktuellen Analyse mit BLOG-TRIFFT-BALL. Es ist zwar nicht zu sehen, aber dennoch dringt ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht. „Wir müssen weiter arbeiten, konstanter werden. Einfach noch besser spielen.“, erklärt der Karlsruhe-Import das fehlende „sehr“ vor seiner Zufriedenheit. Was abstrus, ja gar grotesk bei der Begutachtung des Liga-Tableaus klingen mag, findet Erklärung in den Äußerungen seiner Protagonisten.

Sven Mende zum Beispiel, gemeinsam mit Zinnbauer aus Karlsruhe an die Alster gewechselt und die Erfahrung an eine Nachwuchs-Weltmeisterschaft besitzend, berichtet nämlich anerkennend über den Chef: „Ehrgeizig ist er. Sehr ehrgeizig. Er will jedes Spiel gewinnen, bereitet Freundschaftsspiele wie Pflichtspiele vor. Das steckt einfach an, das motiviert uns einfach als Mannschaft. Ein super Trainer.“ Nicht ansatzweise so anbiedernd, wie es sich lesen mag, sondern einfach nur euphorisch klingt die Stimme des zentralen Mittelfeldmanns. Die erklärt, warum beim Trainer noch das „sehr“ fehlt. Es ginge halt eigentlich noch besser.

Doch was macht den 44-Jährigen aus, über den fast alle ehemaligen Weggefährten in großer Freundlichkeit sprechen? Seine Person mit Oden der Belobigung beschreiben.

„Er ist zu jedem Spieler fair, behandelt alle gleich. Man fühlt sich gut, nachdem man mit ihm gesprochen hat. Auch weil man darum weiß, dass er jedem Spieler alle Chancen einräumt“, berichtet beispielsweise Ronny Marcos. Der junge Deutsch-Mosambikaner, bei Hansa-Rostock schon in den Profifußball reinschnuppernd, ist ein Beispiel für die positiven Veränderungen bei den Hansestädtern.

In seinen ersten Monaten noch unsicher, teilweise auch unglücklich, ist der Linksverteidiger einer der Gewinner der Post-Cardozo-Ära. Spielt robust, traf sogar zuletzt in Oldenburg das zweite Mal im Herrenbereich. Spielte alle 270 Minuten durch und wird die 280 Einsatzminuten aus der vergangenen Rückrunde bereits nach vier Spieltagen überflogen haben. Er sei besser durch Zinnbauer geworden, würdigt Marcos. Der ausführlich die gute Laune beschwört: „Nach drei Siegen aus drei Spielen und keinem Gegentor sind wir natürlich super drauf. Aber schon vor dem ersten Spiel hatten wir alle Freude beim Training oder bei den Tests. Der Trainer strahlt einfach etwas Positives aus, weiß genau, wie er uns heiß macht.“

Dabei steht die Personalie Marcos sinnbildlich für den gesamten Kader. Große Star-Neuzugänge gab es nicht, anders als andere zweite Mannschaften kommt die blutjunge Truppe fast gänzlich ohne die Erfahrung langjähriger Profispieler aus. Von den acht externen Neuzugängen ist keiner über 21, bis auf Tolcay Cigerci und Ahmet Arslan ist niemand namentlich größer bekannt. Was bei besagten Neuzugängen auch eher am bestens bekannten Nachnamen, als an der eigenen Vita liegt. Vom Personal her keine Spitzenmannschaft, vor allem im Vergleich zu Wolfsburg und Bremen.

„Wir sind mit dem Saisonziel „möglichst schnell weg von der Abstiegszone“ in die Saison gegangen.“, erläutert Zinnbauer gesprächsfreudig. „Das es jetzt so losgegangen ist, ist natürlich ein großer Erfolg. Aber es ist auch nur eine Momentaufnahme.“

Was sich beschwichtigend, gar bremsend anhört, ist der Realismus, den Zinnbauer beschwört. Das Verlieren von Spielen, das Lernen aus Niederlagen, ist als Lernprozess eingeplant. Auch, weil sich hinter den nächsten vier Gegnern drei mit Avancen auf das obere Tabellendrittel befinden.

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Umso glücklicher ist man in Hamburg über die bisherige Punktausbeute. Der Saisonstart hätte in Anbetracht des höchstanspruchsvollen Auftakts-Programms kritisch enden können, wie Zinnbauer deutlich macht: „Wir hätten nach sieben Spielen richtig Probleme haben können. Tabellarisch und mental. Eben, weil wir gegen die besten Teams der Liga zum Anfang spielen. Besonders glücklich waren wir bei der Bekanntgabe des Spielplans sicherlich nicht.“

Demzufolge überrascht der Optimismus in den Reihen der Hamburger wenig. Mirko Slomka, Dietmar Beiersdorfer und Bernhard Peters haben die U23 genau im Blick, gratulierten ihrem neuen Mann im Nachwuchsbereich zum perfekten Saisonstart. Fast täglich finden Korrespondenzen statt, Strukturen zwischen Profimannschaft und den unteren Abteilungen werden gefestigt. Was früher abfällig als „Gemengelage“ bezeichnet werden konnte, klingt nun erfolgsversprechend.

Und auch die larmoyante Stimmung alter Tage scheint bei der zweiten Mannschaft restlos verblichen zu sein. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.