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Auf der Suche nach Aufmunterung: Bei der A-Jugend des FCHs

Back to the Roots, dachte sich BTB-Autor Hannes Hilbrecht. Nur mit Lederjacke dem Rostocker Regen trotzend, führte ihm die Gier nach ansehnlichen Hansa-Fußball zur A-Jugend. Was es gab? Aufmunterung.

Information: *Charles Bukowski, Trinker, Buchautor, gestorben 1994. Blutkrebs. Wolfgang Herrndorf, Schriftsteller, Sprachästheht gestorben 2013. Selbstmord – bevor es der HIrntumor tun konnte.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Herrndorf oder Bukowski? * Ich wusste es am Freitagnachmittag wirklich nicht. Aber ich wusste in diesem Moment etwas anderes ganz genau. Das ich mal wieder Lust auf richtigen Hansa-Fußball hatte. Präziser formuliert – sich Lust auf die Hansa A-Jugend in mir formierte. So stand ich da, mit „Pulp“ von Bukowski in der linken, mit „In Plüschgewittern“ von Herrndorf in der rechten Hand, führte beide Werke in einer Hand zusammen und klimperte in mein Smartphone die Daten: Hansa, A-Jugend, Spielplan. Sah, dass am Samstagmittag ein Heimspiel gegen Hertha II anstand. Passt ja, dachte ich, und schmiedete gedanklich versunken den entsprechenden Plan: Morgen um Zwölf, mal wieder Hansa-Fußball in Rostock.

Warum ich in einer Buchhandlung darauf kam? Ich weiß es nicht. Ich habe wirklich keine Ahnung, kann aber vielleicht mutmaßen. Im Nachhinein erinnerte ich mich nämlich daran, im letzten Sommer meinen ersten Bukowski gekauft zu haben. In der Woche, in der die Hansa A-Jugend auf einmal für das Junioren Bundesliga-Finale qualifiziert war. Wo sich Menschenschlangen mit dem Ziel Hansa-Fan-Shop in der Breiten Straße bildeten. Die nichts anderes als Karten wollten. Karten für ein Finale in Rostock. Mit Hansa Rostock.

Es waren damals sehr schlechte Wochen. Hansa hatte gegen Neustrelitz Prügel bezogen, den DFB-Pokal verpasst. Existenzängste vermischten sich mal wieder mit der fast üblichen Hansa-Sommer-Depression – die sich nicht allzu sehr von der momentanen Stimmung unterscheidet.

Also passte es doch ganz gut, Bukowski, der selber einmal davon sprach, die Hässlichkeit um sich herum zu portraitieren, und der FC Hansa, endgültig wieder angekommen im Abstiegskampf. In der dritten Liga. Es bedurfte also Aufmunterung, und diese gab es ja des letzte Mal auch bei der A-Jugend. Ich hatte mich festgelegt.

Am Samstagmorgen war der Himmel in Rostock so wolkenverhangen, dass ich kurz daran dachte, im leichten Durst des Vorabends die Jalousien heruntergelassen zu haben, denn das einfallende Licht wirkte gedämpft. Der Blick über den Balkon erklärte diesen Eindruck mit Nieselregen. Schmuddelwetter, wie manche sagen. Hanseatisch, wie ich es deutlich wohlgesonnener für mich nehme.

Ich ging aber trotzdem, ganz ohne Regenschirm übrigens, und wollte Fußball sehen. Mal wieder ein Hansa-Spiel unter Spannung, aber ohne Sorgen sehen. Ein Fußballspiel in Blau-Weiß-Rot genießen. Vielleicht mich auch einfach nur ablenken.

Die A-Jugend empfing am besagten Samstagmittag die Mannschaft von Hertha BSC. Und ich staunte nicht schlecht, als ich sah, dass doch mehr Zuschauer da waren, als ich mehr vermutet als erwartet hatte. Längst nicht so viele, wie die Jungs eigentlich verdient haben. Aber weit mehr, als dass ich sie problemlos schätzen konnte.

Das Spiel läuft dabei zunächst denkbar mies. Die Hertha, das sieht auch mein Stehnachbar so, ist im Besitz der deutlich besseren Kicker. Die Pässe sind schärfer und präziser als die Abspiele der Unseren, bei Ballannahmen kleben die Bälle bei den in Dunkelblau aufgelaufenen Berlinern enger am Fuß. Oft kommen die gut postierten Rostocker zu spät, lassen sich immer wieder austanzen. Kloppen, wenn sie den Ball mal von den Hauptstädtern geschenkt bekommen, nicht selten ins Seitenaus.

Wirklich gut sieht das, was die Rostocker im für mich noch immer befremdlichen Gelb machen, in der Tat nicht aus. Obwohl die Handschrift von Trainer Roland Kroos klare Konturen aufzeigt. Ohne die trainergegebende Marschoute, der Disziplin, die man dem Rostocker Spiel mühelos entnehmen kann, könnte man sich durchaus häufiger die jubelnde Hertha-Traube vorstellen. Taktik, konstruktive Elemente – all das hatte ich zuletzt in der großen Manege, auf sauberen Boden und weicher Plastikbestuhlung, vermisst. Trotz guter Einzelspieler, die der Profi-Kader sein Eigen nennt.

Es fällt mir übrigens schwer, eben jene herausragende Spieler aus dem Kollektiv  der Kroos-Elf heraus zu sondieren. Vielleicht den Torhüter, der einige Bälle gut pariert, mit verbaler Präsenz einen passablen Eindruck hinterlässt, aber dann doch zu hektisch wirkt. Eine Frage, nach den einen überragenden Spieler, sie kann mir keiner wirklich beantworten. „Alle machen einen guten Job. Aber den einen, der ganz oben kicken kann, wie im letzten Jahr Max, den sehe ich nicht“, übt sich ein anderer, in diesem Fall graubärtiger Zuschauer, in Diplomatie. Max Christiansen, Robin Krauße, Nils Quaschner – sie sind alle ganz weit weg. Selbstverständlich physisch, aber auch irgendwo gefühlt.

Dabei gibt es sogar einen Spieler, an dem ich mit fortlaufender Spielzeit Gefallen finde. Zuerst sind es seine Haare, die meine Aufmerksamkeit auf ihn vereint. Ein bisschen Emmanuel Petit, der bei der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich als Eckenschütze  brillierte. Hanseatischer gedacht wohl eher ein Slawosmir Chalaskiewicz (fast ohne Google-Hilfe), was seine Haarpracht betrifft. Aber auch abseits der blonden, in einem Zopf gebündelten Haaren, ein gefälliger Auftritt. Einfach gestrickt, aber robust.

Das sind auch die Mittel, die der Hansa-Jugend den Weg zurück ins Spiel geleiten. Bereits vor einem ruhenden Ball sammelt sich Applaus. Tatsächlich liegt der Ball nur Sekunden später im Netz, der Ausgleich ist hergestellt. Ich kann beruhigt gehen. Es wartet Arbeit. Und irgendwie freue ich mich so, als ob Hansa getroffen hätte. Das Glück möchte ich mitnehmen, ich erwartet  ja eigentlich eine Niederlage.

 

FCH vs Hertha

Talentetreffen in Rostock: Der FCH im Spiel gegen Hertha BSC Berlin

Ich schlendere in Anbetracht des am Nachmittag anstehenden Auftragsportfolios also nach Hause, bleibe aber noch einmal kurz stehen. Der erste große Applaus, vor schlecht geschätzten fünf Minuten gerade erst verschwommen, brandet wieder auf. Wie ich vermute – und später lese – das 2:1 für den FC Hansa.

Am Ende geht es 2:2 aus. Aber das Ergebnis, gerade gegen diesen Gegner, es stimmt mich trotzdem positiv. Es geht doch. Auch in Rostock. Und das auch ohne Fußballgott.

Wenn ich positiv gestimmt bin, dreißig Minuten finde, dann lese ich in der Regel Herrndorf. Frohen Mutes wirken die Zeilen noch lebendiger,  interessanter. Dass ich nach Fußballspielen ein Buch zur Hand nehme, ist dabei bewusst angewöhnt. Es beruhigt mich, entschleunigt den Puls. Gerade nach aufregenden Abendspielen ist so etwas von gehobener Bedeutung. Es macht die Zigarette abkömmlich, die früher einmal Bestandteil eines jeden Fußballnachmittags war.

► 11 GRÜNDE FÜR DIE JOBFACTORY

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Am Sonntag, es ist 16 Uhr,  und vom Himmel prasselt es wie aus Kübeln, bin ich wütend. Ich lese Bukowski. Dieser alte Lump mit seiner vulgären Sprache, die gefühlt aus jedem seiner Buchstaben tropft, er baut auch auf. Seltsamerweise besonders nach Hansa-Niederlagen. Nur schade, dass mir nach „Pulp“, oder Bielefeld, wie man’s nimmt,  wohl langsam die Seiten ausgehen.

Ich schaue wieder auf den Spielplan der A-Jugend. Mache mir eine Notiz auf der letzten Bukowski-Seite von „Pulp“. 4. Oktober, 13 Uhr. Gegen den HSV. Passt ja, denke ich, mal wieder. Ich bin dabei, und ihr?

PS: Ihr besucht alle Spiele der A-Jugend? Verfolgt regelmäßig den Jugendbereich? BLOG-TRIFFT-BALL sucht Euch für eine Recherche. Mail an: redaktion@blog-trifft-ball.de

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.