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Das sehr große Joe-Zinnbauer-Interview

Das ist schon harter Tobak, den der Herr Zinnbauer da mit den U23’ern des HSV abzieht. Acht Siege aus acht Spielen, torhungrig, defensivstark – passt alles derzeit. Und da wir vor gut zwei Monaten eine Analyse nach dem Saisonstart ankündigten, haben wir den Coach mal zum Rapport bestellt.

 

Herr Zinnbauer, machen wir es norddeutsch: Et löppt?
Ja, das kann man wohl sagen.

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Nach der Entlassung von Oliver Kreuzer, der Sie ja mitgebracht hat, hätte das Kapitel HSV für Sie allerdings auch frühzeitig wieder beendet sein können. Es ist ja nichts Neues, dass neue Leute dann wieder den nächsten Clan mitbringen. Sie durften bleiben. Aber hatten Sie Bammel?
Das hat mich sicherlich beschäftigt. Er hat mich ja nach Hamburg geholt. Wir hatten alles besprochen, wie es hier laufen kann und dann kommt der Paukenschlag. Und dann stehst du da, Herr Peters und Herr Beiersdorfer kommen und ich kenne keinen.

Also sind Sie doch nicht so cool?
Das ist doch menschlich, dass sich ein Trainer dann fragt, wie es weitergeht und ob man noch gewollt ist. Michael Schröder hat uns aber gegenüber den Verantwortlichen eine ordentliche Arbeit bescheinigt. Die Mannschaft hat in der Vorbereitung ja gute Ergebnisse erzielt und man hat gesehen, dass die Mannschaft ein Plan ausgearbeitet hat.

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WoikeZinne

Jetzt also acht HSV-Siege in Serie. Klingt schon komisch für den fußballinteressierten Hamburger.
Wenn man die Vorbereitungsphase sieht, mit wie wenig Spielern wir gestartet sind und wie viele Probespieler wir durchgeschleust haben, hätte das alles auch andersrum gehen können. Vereine wie Goslar, Oldenburg und Wolfsburg jammern heute noch, dass sie sechs, sieben neue Spieler integrieren müssen. Wir haben 15 oder 16 Neuzugänge, einen neuen Trainer und zig neue Gesichter im Verein. Und das geht auch. Aber im Endeffekt muss ich festhalten: Es sind nicht die einzelnen Spielern, sondern die Mannschaft als Ganzes hat richtig Qualität.

Aber wir wollen unseren Lesern ja mehr als ein Schulterklopfer-Gespräch bieten. Und wir fragen uns alle da draußen, was macht der Zinnbauer da?
Wir wollen offensiven, dominanten Fußball spielen. Von Verwalten halten wir nichts, wir wollen unser Spiel dem Gegner aufdrücken. Du kannst junge Spieler doch nur ausbilden, wenn du sie Fußball spielen lässt. Das System ist eben, dass wir hoch auf Ballbesitz spielen und attackieren. Dafür brauchen wir eine Menge Luft und wir haben dafür eine gesunde Mischung aus hungrigen, wissbegierigen Spielern, die Erfolg wollen. Das will ich auch und somit leben alle die gleiche Einstellung vor. Dahingehend hatten wir sicherlich auch ein gutes Händchen die richtigen Spieler gefunden zu haben, die zu unserem System passen. Dafür haben wir aber auch lange gesucht. Die Geduld, die wir bei der Kaderzusammenstellung brauchten, zahlt sich nun aus, weil wir mit dem Potenzial nun unser System am Ende durchkriegen. Jeder Spieler musste sitzen, dafür sind wir bis hierhin belohnt worden.

Sie haben Ihrem System opfernd gute Spieler wieder weggeschickt?
Ja, das war in der Tat so. Es sind gute Fußballer weggeschickt worden, wo wir gesagt haben: Die hätten Perspektive bei uns zu spielen, aber der Junge passt nicht ins System. Das muss ein Spieler dann verstehen. Und meine Mannschaft musste das auch kapieren. Es waren viele Spieler dabei, wo die Mannschaft gesagt hat: Ja, aber der ist doch gut? Aber es liegt nicht an der Qualität des Spielers, sondern an der Philosophie des Vereins. Wir wollten unbedingt ein ganz neues Teamgefühl.

Ihr Stil, geprägt von hoher Intensität und Laufbereitschaft, ist unverkennbar. Von wem wurden Sie geformt?
Ich war ja nun kein guter Fußballer, aber ich hatte, bis ich mit 26 Jahren aufgehört habe, 21 Trainer. Einundzwanzig! Diese Erfahrungen prägen Dich sicherlich.

Haben Sie das Gefühl, die U23 des HSV wird auswärts anders wahrgenommen? Normalerweise … ach, Sie wissen ja, was die Liga und die Fans von U23-Teams halten.
Ja, total. Wir sind der HSV und waren in den letzten beiden Jahren nicht so erfolgreich, aber jetzt werden wir anders wahrgenommen. Das merkt man auch bei Fragen von Journalisten, wo nun andere Fragen kommen. Wir werden als Favorit dargestellt. Vor ein paar Wochen haben die Teams vielleicht gesagt, dass sie uns schlagen müssen, heute sagen sie: Wir versuchen es, oder wollen zumindest nicht verlieren. Das ist ein schönes Gefühl, dass die Spiele nicht vorher entschieden sind.

…was die Brust enorm wachsen lässt.
Na klar. Und die schieben wir auch nicht weg. Aber in dieser ausgeglichenen Liga ist doch wirklich jedes Wochenende, jedes Spiel, alles möglich. Deshalb warnen wir immer wieder. Der Charakter stimmt derzeit jedoch total. Aber auch das kann sich schnell ändern, deswegen verliert keiner den Kopf. Wir sind ganz eng an der Mannschaft dran und wissen, was Spieler negativ belasten könnte und sortieren sowas gleich aus. Höhenflüge könnten uns ziemlich wehtun.

Statt Stagnation ist immer noch wöchentliche Verbesserung erkennbar.
Absolut. Der Spielfluss, die Dominanz – wir haben von Spiel zu Spiel eine Steigerung. Die Abläufe werden klarer. Die Tore, die wir schießen, werden deutlicher und spiegeln die Trainingsinhalte wieder. Auch gegen den Ball wird alles klarer. In Bremen, den bisher stärksten Gegner, haben wir gesehen, wie gut wir das phasenweise machen. Die Mannschaft ist trotzdem weiter gewillt nach Perfektion.

Wann rechnen Sie mit einem Einbruch?
Gut, dass Sie die Frage stellen. Andere fragen nach der 3. Liga und wer uns nun noch schlagen soll. Aber jeder Gegner kann uns wehtun. Momentan haben wir einen Lauf und versuchen diesen längst möglich durchzuziehen, aber niemand weiß, wie lange dieser noch anhält. Und dann wird es interessant, ob das Team diese Dominanz beibehalten kann. Das ist für eine junge Mannschaft ganz schwierig. Auch andere Komponenten werden interessant. Wie gehen wir mit Verletzungen um? Mit Gelbsperren? Es kommen Spiele, die wir verlieren oder wo wir uns vielleicht benachteiligt fühlen. Was passiert, wenn Spieler von oben kommen und du eigentlich gar nicht mehr deinen eigentlichen Kader hast? Wie werden wir aus der Winterpause kommen? Da wird sicherlich ein Einbruch irgendwann kommen, aber da sehen wir dann auch, ob wir wirklich eine geile Mannschaft haben.

Wir haben den starken Sieg gegen Weiche Flensburg gesehen. Ein Gegner, der mehr für Regionalliga steht als viele andere. Das sind holsteinische Eichen die kicken und kämpfen können. Und ihr Team hat dagegen gehalten. Wie haben Sie diese Aggressivität in den Kader bekommen?
Das mag verwunderlich sein, weil wir vielen körperlich unterlegen sind, zeigt aber unsere Handschrift. Aggressiv kann man immer sein. Wir gleichen dies mit unserer Spielweise aus. Wir schieben das provokativ an und einige Spieler haben damit auch noch Probleme, aber alle kommen Schritte nach vorne. Man muss das verbal einfordern und im Training forcieren.

Warum funktioniert gerade alles?
Weil die Charaktermischung passt. Ich bin egoistisch in meiner Denkweise, allerdings auf die Truppe bezogen. Ein „Enfant terrible“ brauche ich nicht. Ich löse das immer im Hinblick auf die Mannschaft. Wir dürfen persönliche Probleme nämlich nicht in die Mannschaft tragen. Darauf müssen wir achten. Gerade bei Spielern, die auf der Bank sitzen. Ich kenne das, weil ich selber oft genug auf der Bank gesessen habe. Da musst du als Spieler für die Mannschaft denken und dein Ego zu Hause lassen. Das ist meine oberste Devise: Persönliche Probleme dürfen nicht in die Mannschaft kommen.

Thema ältere Spieler: St. Paulis Christian Rahn meinte kürzlich, er täte St. Paulis U23-Mannschaft gut. Sie hingegen verzichten auf Haudegen komplett.
In Bremen hätte ich so einen Ruhepol gerne gehabt, weil meine Jungs alle nach vorne preschen, wenn wir führen. Da hätte ich gerne etwas mehr Ruhe. Grundsätzlich hätte ich große Lust auf einen erfahrenen Spieler und wir haben händeringend nach so einem Mann gesucht, da Morena unbestimmt ausfällt. Und „Owo“ hätte ich gerne gehabt, aber das ist beruflich bei ihm und unseren Vorstellungen schwierig, sodass wir uns nicht für ihn entschieden haben. Aber momentan funktioniert es auch so. Hätten wir sieben Mal verloren, hätte ich gesagt, dass sie uns fehlen.

Ist ein „Alter“ auf der Agenda für winterliche Transferaktivitäten?
Prinzipiell schauen wir uns immer um. Aber eher nach jungen Spielern. Sollte allerdings jemand auf dem Markt sein, sehen wir, was das Budget hergibt. Ein Trainer ist da nie abgeneigt.

Notfalls rutschen sicherlich auch bald Profis von oben in Ihr Team. Graut es Ihnen davor?
Nein, überhaupt nicht. Das habe ich in Karlsruhe auch gut hinbekommen. Die Mannschaft hat sich immer drauf gefreut, wenn erfahrene Spieler ins Team kamen. Aber Voraussetzung ist natürlich, dass die Jungs dann auch heiß darauf sind. Spieler, die keine Lust haben und rumstehen, bringen uns nichts. Aber Mirko Slomka hat da ein gutes Händchen für.

Apropos Profis, Bundesliga, Slomka. Wären Sie bereit für den heißen Bundesligastuhl? Thomas Meggle hat’s auf der anderen Seite ja auch gerade vorgemacht. Aus der U23 zu den Profis.
Wir haben einen geilen Lauf und es macht wahnsinnig Spaß mit der Truppe zu arbeiten. Den Fußballlehrer macht man aber nicht, um in einer U23 sein Ende zu finden. Natürlich möchte ich irgendwann im Profibereich Cheftrainer werden. Beim HSV ist das aber für mich derzeit kein Thema. Ich drücke Mirko die Daumen, dass er viele Punkte holt, weil wir ein gutes Verhältnis haben.

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Augenscheinlich bleibt dennoch, dass der Start gegen zwei Aufsteiger verkorkst wurde. Kann so eine kleine „Miniminimini-Krise“ es Ihren jungen Spielern erleichtern oben als Alternative wahrgenommen zu werden?
Wir können sie darauf nur vorbereiten. Und wir suchen ja auch Spieler aus, die die Perspektive für oben haben. Aber letztlich wird das dann von Mirko entschieden. Ich sage zu meinen Spielern immer: Wenn ihr besser seid als die Spieler, die oben sind, dann wird man nicht an euch vorbei kommen. Ihr müsst nur Leistung bringen. Wir müssen Durchlässigkeit vermitteln. Das muss das Ziel vom Verein sein. Und: Für uns in der U23 ist es gut, wenn es oben läuft, weil meine Jungs dann noch mehr geben müssen. Bisher waren fünf, sechs Spieler oben dabei und Mirko sieht im Training, wer ihm in Zukunft vielleicht mal helfen kann.

Eine Frage müssen wir dann doch stellen, mit dem Wissen, dass es zwar sportlich ganz weit weg ist, aber dennoch nachfragbar. Wann wird die 3. Liga intern diskutiert?
Keine Ahnung. Wenn es so weiter geht, dann wird der Verein sich Gedanken machen müssen. Also ich stelle mir die Frage derzeit nicht, der Verein auch nicht. Wenn man darüber spricht, muss man aber auch immer noch die Relegation sehen. Mein persönliches Ziel sind aber nach wie vor die 40 Punkte.

Zum Schluss: Haben Sie Hamburg mittlerweile besser kennengelernt?
Also zumindest war ich nun schon ein paar mal in der Innenstadt. Und wir wohnen jetzt in Eimsbüttel, wo es traumhaft schön ist. Es wird immer lebendiger und wir fühlen uns pudelwohl. Allerdings haben wir einen 19 Monate alten Sohn und noch keinen Babysitter gefunden, daher konnten wir die Restaurants vor der Tür noch nicht wirklich in Angriff nehmen.

Harry Jurkschat

Seit Gründung mit auf dem brennenden BTB-Rasen. Im Gegensatz zu Semmler ist Jurkschat smart. Eine Mischung aus Mehmet Scholl und Günter Netzer. Der ewig 31-Jährige Insiderexperte harmoniert sich von Meppen bis Kiel, ist der Ausbügler und Staubsauger in der 2. Reihe. Dazu kommt aufgrund internationaler Fussball-Erfahrung (6 Länderspiele für Deutschland) Know-How im Wesentlichen. Manko: Bisweilen zu symphatisch und häufig mit den Sekretärinnen beschäftigt.