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Steven Ruprecht: Der Rostocker, der von Chicago träumt

Steven Ruprechts Karriere ist von Höhenflügen und Abstürzen gekennzeichnet. Wie auch in der laufenden Saison, die nach einer starken Ruprecht-Leistung in Mainz jedoch wieder an Aufwind gewinnt. Wir trafen ihn und er erzählt brav über die Wechselhaftigkeit des Fußballerlebens, eine besondere SMS an Andreas Bergmann, dem Ruhepuls vom Zimmerkumpanen und über eine echte Hansa-Legende, die ab und an in der Kabine vorbeischaut.

 

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Steven Ruprecht ist USA-Fan. Keine allzu spektakuläre journalistische Errungenschaft, aber ein interessanter Einstieg in das Gespräch. Erfragen musste ich die dezente US-Passion derweil nicht. Das „Stars & Stripes“ T-Shirt und die trendig über den Kopf gezogene Chicago-Bulls-Kappe sprachen bereits bei der Ankunft des Abwehrreckens eine deutliche Sprache.

„Natürlich wäre es mal ein Traum in die Staaten zu gehen, bestenfalls dann auch in der MLS zu spielen“, verrät Ruprecht gleich zu Beginn der Unterredung. Das Land, der Unternehmungsmut der Menschen und auch zunehmend der US-Sport gefallen dem baumlangen Schlacks aus der Rostocker Defensive, der sich sein kleines Stückchen Amerika mit der traditionellen Einverleibung des Superbowls, ausnahmsweise mit Burger und Popcorn, einmal im Jahr in die Heimat holt.

Doch spricht der gebürtige Berliner nicht wie jemand, der seinen Träumen in einer wahren Hast hinterher giert, sich durch den permanenten Willen der Traumerfüllung stressen lässt. Ruprecht trinkt statt Kaffee lässig Maracuja-Saft auf Eis, ist sichtlich entspannt, nimmt sich Zeit beim Erzählen. Ein Eindruck, der umgehend auch verbal bestätigt wird: „Ja, ich bin mit der Zeit etwas ruhiger geworden. Meine Frau hat mir nähergebracht, auch mal zufrieden zu sein. Sachen zu schätzen, die man erreichen konnte. Daraus die Kraft für neue Aufgabe zu ziehen. Das hat mir lange Zeit gefehlt.“

Zeiten, in denen die Karriere des heute 27-Jährigen stark ins Trudeln geriet. Als hoffnungsvoller Innenverteidiger bei Union Berlin ausgebildet, feierte Ruprecht nach kurzer und erfolgloser Zwischenstation in Aalen beim 1. FC Ingolstadt seine größten sportlichen Erfolge. Unter Michael Wiesinger auf Anhieb Stammspieler, bringt auch ein Mittelfußbruch Ruprecht nicht ins Schlingern, er kämpft sich zurück und ist entscheidend daran beteiligt, dass die Bayern den Relegationsplatz in der Dritten Liga belegen, sich auf diesem Wege die Chance für den Aufstieg offenhalten. Eine Chance, die sich ausgerechnet gegen Hansa Rostock bieten sollte. Die Ruprecht, die der 1. FC Ingolstadt ergreift.

„Es war schon ein komisches Gefühl, dass erste Mal als Rostocker an der Stelle meines größten Erfolges aufzulaufen“, erzählt Ruprecht, der sich neben der rauschenden Party vor allem an den von Narben übersäten Rasen erinnert, der damals die Manege für das erste kolossale Hansa-Drama liefert.

Von Niederschlägen vernarbt, sollte aber nicht nur das damalige Rostocker Grün gezeichnet sein, sondern auch das nächste Karrierejahr des kopfballstarken Defensivspielers. Als Stammkraft vorgesehen und in den ersten beiden Spielen von Beginn an auflaufend, verliert er seinen Platz in der Startelf, muss nach zwei 1:4-Pleiten sogar auf der Tribüne Platz nehmen, nachdem Ingolstadt prominent nachjustierte und Marvin Matip als Ersatz verpflichtete. Für den damaligen Jungspund, in seinem Wesen noch hitzköpfig veranlagt, die bis dato schwerste Phase in seiner Karriere.

Rückblickend sieht Ruprecht seine damalige Katharsis jedoch betont selbstkritisch: „Wenn ich meine Leistung damals gebracht hätte, dann wäre niemand nachverpflichtet worden. Ich war damals zu selbstbewusst, wollte mich um andere kümmern und Verantwortung übernehmen. Ich habe den Fokus auf meine eigene Leistung verloren, nicht mein Bestes abgerufen.“

Das Beste kann der gelegentliche Hitzkopf nach einer weiteren persönlichen Durststrecke in Oberhausen erst wieder in Halle zeigen. Wird Stammkraft, steigt als Schlüsselspieler zurück in den drittklassigen Profifußball auf. Bleibt wichtiger Bestandteil und gehört zu den Stützen des fabulösen Saisonstarts des HFCs. Das Verhältnis zu Trainer Sven Köhler bleibt jedoch, wie während seiner gesamten Zeit in Sachsen-Anhalt, angespannt. Erst recht, als Köhler die von der sportlichen Leitung forcierte Vertragsverlängerung blockiert, sein Veto gegen ihn ausspricht – ihm das Vertrauen entzieht.

Eine Szenerie, die in Managerkreisen schnell die Runde macht. Ruprecht, von Verletzungssorgen geplagt und über den nahenden Abschied enttäuscht, bekommt noch am selben Tag einen Anruf von seinem Berater.

Ein Anruf von Uwe Vester und das damit verbundene Interesse von Hansa Rostock sind die kurzen Rohdaten, die der Ex-Unioner in einem kurzen Gespräch im fast stenografischen Stil empfängt. Ein kurzes Telefonat, das ausreicht, um die Zukunft des Wahl-Mecklenburgers entscheidend vorzuzeichnen, wie dieser nach gut eineinhalb Jahre nach dem ersten Kontakt bekennt: „Als Hansa anrief, war für mich klar, dass ich dahin wollte. Weil der FC Hansa noch immer ein Klub ist, zu dem man als Spieler aufschaut. Viel mehr geht nicht. Besonders in der dritten Liga. Ich habe mir danach nicht wirklich etwas anderes angehört, war sofort auf Hansa versteift.“

Spricht er jedoch über seine erste Saison in Rostock, legt sich die Stirn des Hünen zusehends in Falten, die Augen kneifen sich nur geringfügig – aber dennoch sichtbar zusammen. Die Stimme klingt gedämpfter, als Ruprecht über die Fehlschläge des vergangenen Spieljahres referiert: „Es war ein schwieriges Jahr. Die Rückserie war katastrophal, belastete uns alle. Niemand hat gerne über einen so langen Zeitraum Misserfolg.“

Eine Zeit, die Auswirkungen haben sollte. Beispielsweise die desaströse Pokal-Blamage gegen Neubrandenburg, die Andreas Bergmann den Job kosten sollte. Ein emotionaler Abend für den Innenverteidiger, der zu den Spielern zählte, die ihrem Ex-Trainer noch am selbigen Abend per SMS um Verzeihung für ihre schlechte Leistung baten. „Ich war sicherlich nicht immer damit zufrieden, wie Andreas Bergmann im Training und im Spiel aufgestellt hat. Dennoch war und ist er ein feinfühliger, großartiger Mensch. Da stand es für mich außer Frage, mich für meine schwache Leistung zu entschuldigen“, lässt die Rostocker Stammkraft wissen. Die Worte klingen aufrichtig, nicht gekünstelt. Echt.

Die Saison bleibt hart. Auch nach dem Trainerwechsel. Der Klassenerhalt wirkt zwar erleichternd, die Stimmung hellt sich aber nur geringfügig auf. Ruprecht, in Rostock zentrumsnah lebend, lässt in der Sommerpause komplett die Füße vom Ball. Absolviert lediglich seine Läufe und Übungen, die ihm vom neuen Trainer aufgetragen wurden, berichtet ein langjähriger Freund des Abwehrspielers.

Die Freude kehrt erst beim Trainingsstart zurück. Auf der Heimfahrt nach dem Auftaktprogramm empfindet der schlaksige Manndecker erstmals wieder Vorfreude auf die nächste Einheit. Obwohl vor allem Konditionsläufe und Sprints auf dem Trainingsplan stehen. Es ist die Rückkehr in die Mannschaft und die motivierende Art von Peter Vollmann, die den neuen Mut entfacht. „Ich weiß nicht genau, wie der Trainer das gemacht hat, aber die Flamme war sofort wieder da. Auf einmal konnte man es kaum erwarten, dass es endlich wieder losgeht“, erzählt der Hüne, im Repertoire seiner Erinnerungen kramend. Worte, die längst nicht mehr nachdenklich ummantelt klingen, sondern viel mehr optimistisch durch die Luft schweben.

Noch optimistischer werden die Ausführungen des 27-Jährigen, als das Gespräch auf das Thema Christian Stuff, dem neuen Kapitän der Hansa-Kogge, fällt. Beide kennen sich seit eisernen Zeiten bei Union Berlin in Köpenick, kamen bereits damals gut aus und teilen sich nun ein Zimmer auf Auswärtsfahren. Nicht die bequemste Variante, wie Ruprecht breit grinsend aufklärt: „Naja, jedes Mal, bevor wir das Hotelzimmer betreten, hoffen wir auf ein großes Bett. Meistens erfolgslos – die Beine sind zu lang und der Wendekreis bleibt eingeschränkt.“

Was sich nach reinen Flachs anhört, ist auch als Wertschätzung gegenüber Stuff zu verstehen. Dabei schwärmt nicht nur der Zimmerkumpane über die ruhige Art des neuen Spielführers, auch andere Spieler sind voll des Lobes. Als eine Art älteren Bruder, der ohne Attitüden mit reichlich Ruhe seine Aufgaben erfüllt, beschreiben ihn viele Teamkollegen. „Wenn Stuffi bei einem Puls von 75 ist, wird es für ihn und alle umstehenden Personen gefährlich. Aber damit er so aus der Ruhe gerät, muss schon einiges passieren“, scherzt der zweite Teil der „Berliner Mauer“ in bestätigender Manier.

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Doch ist der renommierteste Neuerwerb des Sommers nicht der einzige Spieler in Rostock, den der gut aufgelegte Ruprecht als Vorbildfigur wahrnimmt. Eine Zeit lang wunderte sich der damalige Neu-Rostocker über den grau melierten Mann, der ab und an nach Trainingseinheiten in der Kabine nach dem Rechten sah. Registrierte, dass sich gerade die gebürtigen Rostocker während der Visite erstaunlich ehrfürchtig verhielten. Als Mann, der nicht viel zu reden brauchte, um sympathisch zu sein, skizziert Ruprecht ein vages, aber sehr respektvolles Bild des seltenen Kabinengast. Gemeint ist Hansa-Legende Hilmar Weilandt, eine der Ikonen des Vereins. Der Stadt. Vielleicht nicht der Jordan, aber der Pippen von der Warnow.

Weilandt, Warnemünde und die Ostsee sind längst die Themen, die die Unterhaltung dominieren. „Es ist wirklich schön in Rostock. Hier kann man sesshaft werden“, lässt Ruprecht zum Abschluss mit einer kleinen Portion Pathos wissen, als sein Blick über die von Touristen gesäumte „Kröpi“ schweift. Amerika ist auf einmal ganz weit weg. Trotz des längst aufgesetzten Bulls-Cap. Wohl doch „Kröpi“ (schicke Flaniermeile in HRO), statt Chicagos berühmtem Navy Pear.

 

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.