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Die Geschichte eines kleinen Hansa-Märchens

„Hand in Hand für Hansa“ – ist kein einfaches Motto, sondern dank zweier Hansa-Fans längst Realität geworden. BLOG-TRIFFT-BALL war so angetan, dass sich Autor Hannes Hilbrecht mit den beiden Projekt-Startern traf und über die Aktion sprach. Herausgekommen ist ein Report über ein kleines Projekt, das viel größer wurde, als man sich zuvor je erträumt hatte.

Achtzehntausendachthundertachtundvierzig Euro und fünfundfünfzig Cent, sagt Sebastian Rohde, 34, etwas dürr und hoch aufgeschossen in seiner Gestalt, im Rostocker Sportforum, sich anfangs noch ein wenig hinter seiner Kaffeetasse versteckend. Das Stadion ist vielleicht 200 Meter entfernt, durch die ersten Schleier des nahenden Abends kommt einem die Arena verlassen vor. Er blickt kurz hinaus und lächelt  wenig später, als sein Blick aufs Handy fällt. Er hastig eine SMS liest, und dann eine neue Zahl nennt: „19437,85 Euro.“

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„Wir hatten auf fünftausend Euro gehofft. Bei zehntausend dachten wir, wir müssen jetzt aufhören. Jetzt wollen wir die 19.650 knacken“, erzählt der Hansa-Anhänger nun weiter, der an Spieltagen auf der Nordtribüne sitzt. 19437,85 Euro. Das ist die Summe, die bisher in der Aktion „Hand in Hand für Hansa“ zusammengekommen ist. Jenes Projekt, das Rohde mit seiner Mitstreiterin Janine Vaeßen, 28, vor etwa einem Jahr gegründet hat. „Wir hatten uns viele Gedanken gemacht und dann ein Konzept entworfen. Dieses dann Anfang des Jahres umgesetzt“, erzählt er nun.

Rohde und Kumpeline Vaeßen harmonieren. Die Rostock-Anhängerin sagt nämlich später am Telefon dasselbe, wie ihr Kompagnon zuvor im Rostocker Sportler-Treff. Möglichst wenig Details zu den beiden Initiatoren, möglichst viel über die Aktion. Es ginge nur um die Sache, und die solle im Vordergrund stehen, so die junge Frau. In dem Artikel abgebildet zu werden, lehnen beide mit der gleichen Begründung ab. „Es sind so viele Menschen, die sich daran beteiligen, dass es schlicht unfair wäre, wenn wir allein mit der Aktion in Verbindung gebracht werden“, erklärt die 28-Jährige.

Warum beide Initiatoren darauf bestehen, wird beim Blick auf das Prinzip der Aktion klar. Rohde und Vaeßen sammeln über die eigene Homepage und ihrer seit Jahren hochfrequentierten Facebook-Seite „Gestern, Heute, Morgen- Hansa Rostock ein Leben lang“ Spenden in Form von alten Trikots, Schals und anderen Fan-Utensilien ein. Mit den Einsendungen haben sie ein Internet-Auktionshaus für Hansa-Antiquitäten eröffnet. Sämtliche Gewinne gehen nach Aktionsende an den Verein, die beiden handelstreibenden Personen machen durch Versandgebühren sogar noch ein kleines Minus. „Das ist unsere Spende“, erläutert Rohde schulternzuckend. Fließen werden die Summen in verschiedene Ressorts. Besonders in den Jugendbereich und in Fanprojekte. „Wir wollen selber bestimmen, wo es hingeht“, ergänzt Vaeßen ihren Mitstreiter.

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Geld ist reichlich zusammengekommen. Manch antiquiertes Textil rief dabei solch Begehrlichkeiten hervor, dass die beiden Hansa-Unterstützer noch immer darüber staunen müssen. So sei zum Anfang der Aktion beispielsweise eine einfache Ostseestadion-Mütze (damaliger Verkaufspreis acht Euro) für 200,00 Euro weggegangen, eine Mitbieterin, die bei 170 Euro ausgestiegen war, bekam von einem weiteren Fan die identische Mütze für ihr maximales Gebot angepriesen. Sie schlug begeistert zu. Das Spendenkonto wuchs um den nächsten dreistelligen Betrag an.

Unter vielen schönen Geschichten mischen sich gelegentlich bewegende Anekdoten. Einmal, so berichtet Janine Vaeßen, hätte jemand den Schal des verstorbenen Vaters zur Versteigerung angeboten. `Er hätte es so gewollt‘, plädierte der Sohn gegen die Einwände der Projektleitung. Vaeßen postete den Schal samt Geschichte, 89,30 Euro kamen zusammen. Die vier Fans, die um den Schal geboten hatten, machten schnell miteinander aus, ihre Angebote zusammenzulegen. Um dann auf ihren Preis zu verzichten – der Schal kehrte auf diesem Wege in die Familie des einstigen Besitzers zurück. Die Stimme der Vermittelnden, so hört man schwach über die Leitung, bröckelt noch Monate später.

Je mehr Geschichten erzählt werden, desto breiter wird das Spektrum der Spender. Die Mannschaft beteiligt sich stark, alleine Mittelfeldsieler David Blacha versteigerte drei Paar Schuhe. Mit wenigen Ausnahmen haben sich fast alle Akteure im Laufe des letzten Jahres erkenntlich gezeigt. Dazu gesellen sich Ex-Hanseaten, die aus der Ferne Engagement demonstrieren. Mathias Schober spendierte ein altes Trikot, Amir Shapourzadeh warf seine teuren Nikes in den Topf. Musik-Star Marteria ersteigerte als passionierter Fischer eine Angelrute, Tobias Jänicke schickte seinen „halben“ Hansa-Bestand. Und auch Ex-Trainer Andreas Bergmann, der erstaunt war, dass eines seiner Polos immerhin 80 Euro einbrachte, reichte damals gleich noch ein zweites Hemd ein.

80 Euro. Peanuts im Vergleich zu anderen Summen. Der Künstler „The Golden One“ malte ein Bild zur Auktion, nachdem er im Internet auf sie gestoßen war. Der Erlös: stolze 1100 Euro. „Unfassbar!“, schwärmt Rohde noch heute. Die Liste der Unterstützer im Hintergrund ist ebenfalls lang. Der Name Arvid Langschwager vom Fanradio findet sich in vielen anerkennenden Sätzen wieder, die Wismarer Rechtsanwältin Anne Schäfer unterstützt in rechtlichen Belangen.

Melanie Witt, die maßgeblich an der Malstraße im Stadion beteiligt ist, unterhält gemeinsam mit ihrem Ehemann das Konto der Aktion. Sie ist eine Art Schatzmeisterin über die gesammelten Gelder, übermittelt stets die neuen Kontoauszüge. Die in der Regel zeigen, dass auch ohne großes Firmengeflecht im Rücken verlässlich gezahlt wird. „Bis auf zwei, vielleicht drei Ausnahmen, war es wirklich super. Es gab kaum Probleme“, fasst Vaeßen zusammen.

Dabei sind die Kontoauszüge auch ein Stück weit emotionaler Reichtum. Jeder für sich steht wie ein Beleg für den Zusammenhalt der einkaufenden und spendierenden Anhängerschaft. Vor allem aber resultieren sie aus Geschichten mit dem Kitsch zur Fußballromantik, die fast täglich beim etwas anderen Fan-Projekt einlaufen.

All das reicht den Aktionisten noch nicht. Sie betätigten sich auch persönlich, um die Kasse weiter aufzufüllen. So stellten sie einmal zum Beispiel spezielle Fan-Shirts her. 311 Stück für 19,65 Euro verkauften sie, alle Erlöse gingen nach Abzug der Herstellungskosten auf das Spendenkonto. Doch hier mischt sich ein wenig Enttäuschung in die Stimme von Sebastian Rohde, die bis dahin stets geleitende Euphorie schmälert sich merklich ab. „Wir hätten auch 700 verkaufen können. 311 waren nur die Vorbestellungen“, erzählt er. Die Nase rümpft sich.

Über die Probleme bei dieser Idee möchten beide nicht sprechen. Janine Vaeßen, die sich bis zu zehnmal am Tag mit ihren Kumpel über die laufenden Aktionen und mögliche Umstrukturierungen auf der eigenen Homepage austauscht, wird wenig konkret: „Wir sind froh, dass sehr viel geklappt. Da ist es nicht so schlimm, dass eine Sache nicht ganz so funktioniert hat, wie es zuvor geplant war.“ *

Etwas schwerer tut sich noch ihr Pendant. Der hatte durchaus auf Synergien gehofft, sogar schon Devotionalien ins Auge gefasst, die dem Verein ein kleines Vermögen bescheren könnten. „Hier sind überall noch so viele Schätze vergraben. Die Holzbänke aus dem ehemaligen Stadion, alte Trikotbestände. Was man hier alles finden und zu Geld machen könnte“, klärt der 34-Jährige auf. Längst hat sich wieder Schaffensmut in seiner Mimik vereint. Es ist ein zufriedenes Grinsen. Das sich auch ohne eine Gesprächsrunde mit den Hansa-Verantwortlichen sammeln kann.

Vielleicht auch, weil Rohde längst an etwas anderes denkt. Es sind Gedanken an die wohl kultigste Auktion der ganzen „wilden Reise“, wie der gelernte die gemeinsame Unternehmung gerne tituliert.

Denn das Papa-Mobil war gestern – das Petter-Mobil ist die Gegenwart. Gemeint ist das Auto von Hansa-Profi Martin Pett. Besser gesagt sein baldiger Ex-Wagen. Dieser versteigert nämlich seinen Mazda 121 (Baujahr 1991) für die Selfmade-Aktion der Rostocker Anhängerschaft. Der Deal entstand am Rande einer Partie der zweiten Mannschaft, die Pett als Zaungast verfolgte.

Als Rohde den Defensivakteur ansprach und ein Versteigerungsobjekt anfragte, gab sich der 27-Jährige zunächst noch unschlüssig. Als über den etwas blasseren Oldtimer als Objekt der Begierde gewitzt wurde, entwickelte sich aus dem Flachs rasch Realität. Bald können die ersten Angebote abgegeben werden, es soll das eindrucksvolle Ende der Aktion dokumentieren.

Doch nicht nur das. Im Zuge des spektakulären Versteigerungsdeals, der Pett an fünfzig Prozent der Einnahmen beteiligt, meldete sich erneut die Rostocker „Artunique“. Das Angebot: die Künstler machen die Autohaube des etwas abgefahren Schlitten wieder richtig flott. Selbstverständlich im Hansa-Look und ohne Honorar. Gesucht werden aber noch weitere Künstler – der Mazda soll schließlich zum fahrenden Hansa-Schrein umgewandelt werden. (Tipp von BLOG-TRIFFT-BALL: Wie geil wäre die Trikotrückseite einer Hansa-Legende auf dem Dach?)

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Wieder eine Geschichte, die an der jungen Frau kratzt. Die gar nicht mehr aufhören möchte, von „Hand in Hand für Hansa“ zu berichten. „Ich werde es vermissen, wenn es vorbei ist. Ich meine, es ist zwar Stress. Aber toller Stress. Wir bekommen so viel zurück. Man wird sich so richtig bewusst, wie viele großartige Menschen es gibt, die man sonst die kennengelernt hätte.“

Und auch Rohde gerät etwas ins Wanken. „Die 20000 werden wir ja mit Petters Auto schaffen“, erzählt er. Um dann ein wenig zu überlegen.

„Wieso nicht weitermachen?“, fragt seine Kumpanin später.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.