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Wo Kiel besser dasteht

Meinung // In diesen 5 Punkten sehen wir Holstein Kiel besser als Hansa Rostock. Aber was meint Ihr, liegen wir weit daneben oder goldrichtig mit unserer Beobachtung Schreibt uns: redaktion@blog-trifft-ball.de.

Der Trainerverschleiß

Wer argumentiert, die Situation zwischen dem FC Hansa Rostock und Holstein Kiel wäre kaum vergleichbar, der irrt. In den letzten fünf Jahren blieben beide Teams zeitweise hinter ihren Möglichkeiten und eigenen Ansprüchen. Hansa erlebte und erlebt noch immer den Verfall zum Abstiegskandidaten im dritten Geschoss, Holstein Kiel mühte sich lange mit dem Projekt „Aufstieg in die dritte Liga“. Zwar wog Rostocks Sturz deutlich schwerer, die Unterschiede im Trainerverschleiß sind dennoch so exorbitant, dass sie selbst mit sportlichen Ausnahmesituationen kaum erklärbar sind. In Zahlen ausgedrückt: Kiel „verbrauchte“ in den letzten fünf Jahren gerade einmal zwei Fußballlehrer. Wobei noch angefügt werden muss, dass Thorsten Gutzeit, Aufstiegstrainer in der Spielzeit 2012/13, nach dem erfolgreichen Abschluss der Saison sogar freiwillig seinen Abschied nahm.

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An der Warnow waren alleine sieben Trainer in dieser Zeitspanne dazu beordert, den Klub in ruhiges Fahrwasser zu führen. Die Interimstrainer sind dabei sogar noch ausgeklammert. Ein langes Jahr im Tabellenkeller, mit Niederlagenserien und der permanenten Abstiegsangst im Rücken, ohne die Beurlaubung eines Coaches, scheint undenkbar. Immerhin: bisher hält der Klub immer noch an seinen aktuellen Cheftrainer fest. Trotz einer desolaten Hinrunde. Das retuschiert auch etwas die Trainerquote von Hansa-Boss Dahlmann. Dieser hat bereits Marc Fascher (Vertrags-Option wurde nicht gezogen, Wunsch von Uwe Vester), Andreas Bergmann und Dirk Lottner überlebt.

Die klare Rollenverteilung im Verein

„Ich habe doch gar nicht die Kompetenzen vom Fußball, um mich mit dem Trainer auf einen Niveau zu unterhalten“, das sagt Wolfgang Schwenke, als er zu erklären versuchte, warum ein sportlicher Leiter für das Projekt-Kiel unerlässlich ist. Auch wenn dieser noch nicht gefunden ist, sportliche Entscheidungen sind an der Förde den Verantwortlichen mit gefestigter Fußballexpertise überlassen. Heißt auch: den Typus Michael Dahlmann sucht man in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt vergebens. Schwenke, obwohl mit dem Selbstvertrauen eines einstigen Handballers vom gehobenen Format ausgestattet, weiß seine Rolle in Kiel eng zu definieren. Meinungen und Ideen fürs Sportliche geben, Entscheidungen finanzieller Natur abwägen. Ansonsten zählt der kaufmännische Bereich. Bevor Andreas Bornemann im Sommer ging, um eine Offerte aus Fürth anzunehmen und später wieder abzusagen, gab es in Kiel eine klare Rollenstruktur die zwischen den beiden Gewalten teilte. Jenes Konstrukt ebnete nicht nur den Weg für ein abgeklärtes Verhalten im letzten Jahr, sondern wahrt auch in kritischen Situationen den Zusammenhalt zwischen den entscheidenden Protagonisten.

In Rostock sah die Situation im vergangenen Jahr komplett gegensätzlich aus. Die Chemie zwischen Chef Dahlmann und dem sportlichen Ressort war rasch säuerlich aufgereizt, was auch darin mündete, dass der Hansa-Boss bereits in der Hinrunde der vergangenen Spielzeit mit dem Gedanken kokettierte, das Projekt-Bergmann vorzeitig zu beenden – und den Gedanken daran nie vollständig verwarf. Vollzug meldete er im Frühjahr – gegen den Widerstand von Vorstand-Sport Uwe Vester. Dieser saß nach dem peinlichen Landespokal-Aus in der Trainerkabine um sich mit dem Duo an der Seitenlinie für kommende Aufgaben einzuschwören, als Dahlmann die Entscheidung in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat traf, und diesen später als Konsens mit Uwe Vester verkündete. Ebenso motiviert zeigte sich Dahlmann bei der Trainereinstellung. Medial flankiert von der BILD-Zeitung setzte Dahlmann Peter Vollmann gegen einzelne Widerstände im Verein als Cheftrainer ein. Der den hohen Erwartungen bisher jedoch nicht gerecht wurde, zuletzt aber einen wichtigen Sieg gegen Stuttgart feierte, den er mit richtigen Personalentscheidungen maßgeblich beeinflusste.

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Die Personalplanung

Wenn Schwenke beim Gesprächstermin mit BLOG-TRIFFT-BALL ein Wort besonders häufig für seine Erläuterungen verwendete, dann war es das simple Substantiv „Beine“. „Wir investieren nicht nur in Beine, sondern vor allem in Strukturen“, manifestierte er in seinem Büro in Kiel-Projensdorf.

Wer sich einmal das Gelände anschauen sollte, ausführlich beschrieben in der Reportage Holstein Kiel- die neue Nummer 1 an der Ostsee?, der wird diesem Satz nur beipflichten können. Wer behauptet, das liege alleine am breiten Sponsorenpool im Hintergrund, der wandelt jedoch auf einem Irrweg. Trotz ähnlichen Etats verzichtete die KSV Holstein in der letzten Transferperiode auf die ganz großen personellen Sprünge. Mit Patrick Kohlmann, Kenneth Kronholm und Maik Kegel wurden nur drei größere Verstärkungen getätigt. Ansonsten wird der Kader noch immer von Aufstiegshelden geprägt, stehen mit Fabian Wetter, Manuel Hartmann, Marcel Gebers, Patrick Hermann, Tim Siedschlag, Raphael Kazior, Marc Heider und Marlon Krause doch noch acht einstige Regionalliga-Akteure im Kader, die im Dunstkreis der regelmäßigen Startelf-Anwärter logieren. Summiert man die eigenen Nachwuchskräfte und einige verbliebene Ergänzungsspieler hinzu, kommt die Entwicklung einem kontinuierlich gewachsenen 18-Mann-Kader ziemlich nahe. Der wird zwar auch in Kiel  ordentlich bezahlt und ist mit einigen 2. Liga-Spielern besetzt, doch bietet er rund 180 Bundesiga-Spiele (1. und 2. Liga) weniger auf als der Rostocker Nachbar.

Das ist jedoch keinen Hexenwerk, sondern eine kausale Folge der Kontinuität auf der Trainerposition. So wird das Problem vermieden, was in Rostock immer wieder einen langfristigen Aufbau erschwert.

Zum Beispiel in diesem Sommer. Dadurch, dass erneut ein neuer Mann als Kapitän angeheuert hatte, wurde die Kaderplanung aus dem Vorjahr in ihrer Systematik komplett umgekrempelt. Mit Bickel, Schwertfeger, Stuff, Ziemer und letztlich auch Stevanovic verstärkte sich Rostock prominent. Insbesondere die ersten drei waren heiß begehrt, im Werben um die Akteure stich die Hansa-Kogge unter anderem Dynamo Dresden aus. Das gelang nicht nur mit der Verlockung der Ostseeküste.

Transfers, die in nur einem Fall rundum glückten. Aleksandar Stevanovic, bei Werder Bremen immerhin Bundesliga-Luft schnuppernd, erinnert an einen ähnlichen spätsommerlichen Glücksgriff wie einst Björn Ziegenbein und ist der wichtige Verdienst Vollmanns. Akteure wie Bickel und Ziemer brillieren punktuell, aber lassen oft die nötige Konstanz vermissen, orientieren sich an der Mannschaftsform. Kai Schwertfeger und Christian Stuff sind – mit dem Hang zur Morbidität formuliert – momentan nicht viel mehr als finanziell schwerwiegende Kaderleichen. Insgesamt stand die Mannschaft weit vor der Stevanovic-Akquise auf vielen Zetteln was eine Führungsposition in der Liga anging, Holstein-Trainer Karsten Neitzel adelte die Truppe jüngst als „attraktiv wie interessant.“ Komplett konträr dagegen ist das Tabellenbild. Probleme in der Kaderzusammenstellung – kein neues Schicksal in Rostock. In der Konsequenz jedoch aus dem horrenden Trainerverschleiß folgend.

Im Nachwuchs auf der Überholspur

2010 deutscher A-Jugend-Meister. 2013 euphorisch umjubelter Finalist. Talente wie Toni und Felix Kroos, Kevin Pannewitz oder zurzeit Max Christiansen. Lange Zeit spielte Hansa was die Jugend anbelangte in einer anderen Liga, gehörte zum Establishment der gehobenen Klasse. War richtig in Mode, wenn man sich über erfolgreiche Jugendarbeit in Deutschland unterhielt.

In einer unterschiedlichen Liga spielen im Vergleich zwischen Holstein und Hansa nur noch die B-Jugendlichen. Die Hansa U17 in der zweitklassigen Regionalliga, der gleichaltrige Jahrgang in Kiel spielt Bundesliga. Trotz eines renommierten Jugendtrainers wie Roland Kroos sind auch die Unterschiede im U19-Bereich allenfalls marginaler Natur. Beide Mannschaften stecken nämlich im Abstiegskampf. Es scheint so, als ob in Rostock die letzte Jugendblüte gereift ist. Robin Krauße, Dennis Srbeny und Max Christiansen. Wobei sich in Kiel ein ähnliches Bild zeigt, wo mit Hauke Wahl ein edles Pendant zu Christiansen reift.

In den Strukturen sind die Kieler mittlerweile davongeeilt. Mehr Trainingsplätze auf einer Anlage, dazu Psychotricks. Eltern werden mit einem nagelneuen Cafeteria-Bereich umschmeichelt, die Jugend mit Detailliebe. Ein Beispiel: erst ab der U15 geht’s in den großen Kabinentrakt, wo sich auch die Profis zu den Einheiten umziehen. Dieser Bereich grüßt vom Ende eines langen Ganges. Doch ist diese Zone nicht das einzige Ziel: der Kabinenkomfort steigt von Jugendmannschaft zu Jugendmannschaft. Eigene Spinde und ein separater Duschbereich, den es ab der U-19 gibt, sind andere Teilstationen auf dem Weg zum Herrenfußball. Sondiert wird dabei aber knallhart, wie Schwenke sagt: „Wenn wir sehen, dass es nicht reicht, dann schicken wir die Jungs zu ihren Heimatvereinen. Das ist gut für die Klubs, besser für die Jungs und schafft uns Raum.“

Bald gibt es den Raum auch im herkömmlichen Sinn. Ein Jugendinternat ist in der Planung. Heißt insgesamt soviel wie: das Geld, welches in Rostock gezwungenermaßen auf der Bank sitzt, fließt in Kiel in den Nachwuchs.

Das Umfeld

Als die KSV Holstein im letzten Frühjahr bis zum letzten Spieltag um Klassenerhalt und Perspektive zitterte, blieben Sturmböen aus dem Aufsichtsrat des Vereins aus. Zumindest wurden in der Öffentlichkeit keine größeren Scharmützel ausgetragen. Das Dreiergebilde im operativen Geschäft, zu dem neben der sportlichen Leitung und Geschäftsführung auch Cheftrainer Neitzel gezählt wird, blieb unangetastet. Das bestätigt auch Schwenke: „Wir können in aller Ruhe arbeiten und unsere Jobs verrichten.“

Das ist auch möglich, weil mit Roland Reime als Präsident ein wichtiges Bindeglied im Verein besteht. Dieser gehört zum Präsidium, hat ein kleines Büro in unmittelbarer Nähe zu Schwenke bezogen, doch werden seine Kernaufgaben vor allem als repräsentative, beratende Instanz definiert und tatsächlich auch so verstanden.

In der Hansestadt Rostock hingegen ist der Aufsichtsrat für vieles bekannt, nur nicht für die unbedingte Ruhe. Im letzten Herbst wurde bereits öffentlich um Andreas Bergmann gezankt, sämtliche Details der möglichen Lösung gelangten druckfrisch an die Presse.

Auch in der aktuellen Spielzeit ist das Bild wandelbar. So beschrieb Aufsichtsrat-Chef Ahrens erst Peter Vollmann als Trainer, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger gut trainieren würde. Zwei Monate später folgte das öffentliche Anzählen in der Ostsee-Zeitung. Dabei wird Ahrens noch als fachlich führende Kompetenz im Gremium beschrieben.

Einen wichtigen Vorteil zieht sich dazu die KSV Holstein über den fehlenden sportlichen Erfolg in den vergangenen Jahrzehnten. Der Verein wird vom medialen Umfeld fast wattiert, das Medienaufkommen ist eher gering. Der Boulevard ist für Fußballverhältnisse überschaubar, die wichtigste Tageszeitung ist Medienpartner.

In Rostock ist es anders. Zwei große Zeitungen streiten um die Gunst der Sport-Interessierten, zudem hat der NDR sein weises Auge auf den Verein gerichtet und arbeitet kritisch, dazu kommt der Boulevard der BILD. //

Die Meinung des Autors: „Hilbrecht, bist du übergelaufen“, fragte mich ein Kumpel neulich beim Freitagabend-M&O. Gemeint war der große Hintergrundartikel über Holstein Kiel. Der sich nun im letzten Teil unseres Monats-Titel fortsetzt. Ich sagte „Nein“ und bereits vorher hatte mir das Lachen meines Kumpels verraten, dass er das „Nein“ auch gar nicht benötigen sollte, um die Frage für sich selber verneinen zu können. Hansa wird immer meine Nummer Eins bleiben. Auch in der Verbandsliga. Ich bin damit aufgewachsen und wie mit meiner alten Tante von der Partei, werde ich nicht den Rückzug antreten, wenn es dämmert. Im Gegenteil.

Die Reihe um und über Holstein Kiel soll dem am fast Boden liegenden Verein nicht zusätzlich malträtieren. Ich finde viel mehr, dass es ein kleines Lehrstück sein sollte. Die klare Rollenverteilung, die Kiel in den vergangenen Jahren vorgelebt wurde, imponierte. Ebenso die Ehrlichkeit, mit der Wolfgang Schwenke über seinen „begrenzten Fachverstand“ im Fußball spricht. Der sich einordnet, anderen vertraut und seinen Teil der Aufgabe erledigt. Ich finde diese Definition eines kaufmännischen Geschäftsführers vorbildlich, nachahmenswert. Ist das auch Kritik am wichtigen wie kompetenten Finanzexperten Michael Dahlmann? Selbstverständlich.

BLOG-TRIFFT-BALL ist ein Meinungsblog. Ihr möchtet eine Gegendarstellung schreiben? Gerne. Wir wollen die Frage: „Braucht Rostock das Kieler Modell?“ diskutieren. Werden bei entsprechenden Einsendungen ein „Pro“ und ein „Kontra“ veröffentlichen. Definitiv nicht gedruckt werden unsachliche Beiträge und Wortmeldungen, die im Boulevard-Jargon  abgefasst wurden.

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Mail an redaktion@blog-trifft-ball.de

Zudem unsere Antwort auf eine User-Frage: Haben wir aus Kiel Bestechungsgelder angenommen? Natürlich, was denkt ihr denn? Tütenweise. 

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Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.