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Der „12. Mann“: Nicht perfekt, aber großartig

WM 2006. Deutschland verliert im Halbfinale, und seine Freundin bekommt einen Heulkrampf. Weil Poldi tot ist. Von Schweini nicht mehr akzeptiert, leblos im Käfig rumliegt. Nur das Poldi ein Kaninchen ist, und Schweini, wie könnte man diesen Gedanken nur verfehlen, seinen Auftritt als Meerschweinchen hat. Als der Erzähler Poldi beerdigt hat, und ihm dabei klar wird, gerade ein Kaninchen zur Grabe zu tragen, heult Freundin Ute gleich nochmal. Weil Schluss ist.

Solche kruden Geschichten schreibt dass Sammelwerk der „12. Mann“. Von Fans, für Fans. 52 Anhänger beteiligten sich an diesem Projekt, selbst aus Saarbücken ist eine Perle dabei.

Claudia Roth würde es jedenfalls gefallen. Der Inhalt müsste bestimmt um die Gunst kämpfen, die Präsentation wäre aber ganz gewiss nach dem Geschmack der elegant gekleideten Politikerin. Das gute Stück ist nämlich grün, und zwar komplett grün, nur die paar üblichen Notizen drängeln sich in weißer Farbe auf den Rahmen. Es erinnert mit seinem Mantel an den Rasen, der für tausende Fußballfans die Welt bedeutet, gekreidet mit Autorennamen, Buchtitel und Verlag.

Der Clou: es fühlt sich ein wenig wie Moos an, das Material des Bezuges gibt bei Berührung nach, ist für Buchverhältnisse fast schon flauschig. Ungewöhnlich, und ehrlich ganz ehrlich gemeint, ist es nett wie originell, aber für das Vorzeige-Regal optisch schon einmal ziemlich ungeeignet.

Dennoch macht es neugierig. Was steht drin, im sogenannten 12. Mann? Oder besser gesagt: Wer ist dieser verdammte Kerl überhaupt, den man von Freiburg bis Kiel in hunderttausendfacher Ausprägung auf den Rängen antrifft?

Das schöne an diesem Sammelwerk – auch nach zahlreichen Kurzgeschichten und unfassbar lustigen Cartoons – ist dabei ganz klar, dass man diese Fragen am Ende gar so nicht beantworten kann, wie man es vielleicht vor dem Lesen erhofft hatte.

Die Geschichten reichen von hervorragend bis „nun ja“, sie dokumentieren wichtige politische Themen und reihen direkt dahinter manch lapidare Anekdote, die auch am Reißbrett von Mario Barth endstanden sein könnte. So wirken gerade die bemüht lustigen Geschichten an einigen Stellen arg konstruiert, während sich bei anderen Autoren ein ähnliches Lesegefühl wie bei den alten Storys des Dirty Old Men Charles Bukowski entfaltet. Momente, wo man kurz das Buch zuklappen möchte um einfach laut aufzulachen. Sie versprühen Heiterkeit, machen glücklich, ohne sich groß an der literarischen Kunst zu bedienen. Auch Momente dieser ganz besonderen Art beherbergt dieser Band im Öko-Verschlag.

Die Geschichten, die zu großen Teilen das Buch ausmachen und von den Anhängern der 52 beteiligten Vereine zusammengetragen wurden, sind aber nur eine Facette des Inhalts. Wobei sich insbesondere die Geschichte eines Nürnberg-Fans auf Osteuropatour auszeichnet, weil sie so herrlich unschuldig wie aktuell daherkommt. Vielleicht auch deshalb eine besonders authentische Wirkung erzielt. Auf dem gleichen Niveau schwingt sich die Geschichte eines jungen Leverkusen-Fans, der per Kartenmissverständnis vereinsamt im Kölner Block landet. Witzig, spannend, nicht darauf bedacht unglaublich lustig zu sein, sondern den Humor aus der bloßen Situation ziehend.

Warum das Buch trotz einiger Schwächen dennoch ein absolutes Muss ist? Wegen der Cartoons, die zwischen Kurzgeschichten für Farbe und stumme Erheiterung sorgen. Manch Werk ist in seiner meist spartanischen Machart so herrlich lustig geworden, sodass es durchaus vorkommen kann, dass man sich nach den ersten drei Werken bis zur letzten Abbildung durchblättert.

Auch hier gibt es Unterschiede im Niveau – allerdings nur von gut bis wirklich großartig.

Nicht zu verschmähen ist dabei, dass durchaus politische Akzente gesetzt werden. In Text und Bild. Wer mindestens auf Seite 15 war, wird dem nur beipflichten können. Zündet ausnahmsweise ein Cartoon nicht, sondern befremdet eher – dann findet sich die Erklärung auf der Seite daneben eindrucksvoll. Der Cartoon und die Kurzgeschichte über Homophobie unter Fußballzuschauern wirken zusammen bestens eingespielt.

Insgesamt ist der 12. Mann alles andere als perfekt. Nur ab und an kommt er wirklich großartig daher, meistens klingt er gut und gelegentlich summt er auch deutlich weniger berauschend. Er bleibt aber durchgehend sympathisch, und steht sinnbildlich für die hohe Pluralität in den Kurven. Von einfach gestrickten, dafür meist glücklicheren Fußballliebhabern, bis querdenkenden Fans erhält ein breites Spektrum das Wort.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Das macht den 12. Mann aus. Es gibt tausende von ihnen, sodass es gar nicht Anspruch und Ziel des Werkes sein konnte, eine feste Charakterisierung über eine der Sagengestalten der deutschen Stadienwelt zu definieren. Das Buch gibt keine Linie vor, versucht nicht zu ködern oder von etwas bestimmten zu überzeugen – er ist lediglich ein Spiegel verschiedener Fanseelen und somit beste Werbung für die Vielfalt in den Kreisen der Fußballfans.

Wobei anzumerken ist, dass sich der „12. Mann“ nie komplett in den Reihen der Ultras verliert, sondern einen breiten Querschnitt bietet. Den 12. Mann kann jeder, wenn er seinen Verein liebt. Unabhängig von Lautstärke, Vereins-Tattoos oder manchmal auch Primatengehabe.

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Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.