Göttling über „religiöse Dinge“ in der Kabine
Im kommenden Jahr steht für Victorias Trainer Lutz Göttling das 15. Jahr als Fußballtrainer an. Er ist es gewohnt, Reportern nach einem Fußballspiel die Antworten zu liefern, die selten überraschen. Im Gespräch mit BLOG-TRIFFT-BALL wollten wir das Gespräch deshalb auf andere Themen lenken: sein Verhältnis zu den Spielern, unterschiedliche Religionen in der Fußballkabine und den Luxus der Ex-Profis.
Foto: noveski.com
Lutz, wie viel muss ein Trainer über seine Jungs wissen?
Man muss informiert sein. Ich benutze betont das Wort „muss“, weil es einfach wichtig ist und eine Grundvoraussetzung für meine Arbeit darstellt. Du musst ja wissen, wie du deine Jungs greifen kannst.
Hast Du ein Beispiel?
Die meisten meiner Spiele sind sehr jung, haben noch nicht allzu viel erlebt – aber sie kommen in ein Alter, wo auf einmal viele Dinge belastend sein können. Das sind manchmal Geldsorgen, manchmal ist aber auch die erste richtige Freundin weggelaufen.
Und das interessiert Dich?
Ja. Das kann sich doch alles im Training zeigen. Wenn der Kopf meiner Jungs woanders ist, nur nicht beim Fußball, dann wird im Training darauf reagiert. Zeitweise lautstark.
Du würdest das abhängig von der privaten Situation Deines Spielers machen?
Wieso denn nicht? Ich meine, da hat ein Junge ernsthafte Sorgen – dann ist es doch verständlich, dass ihm öfter Mal etwas misslingt, weil er den Kopf dafür nicht frei hat. Wenn ich weiß, da steckt mehr dahinter als mangelnde Konzentration oder bisweilen auch Hochmut, dann packe ich ihn anders an. Dann kann er vielleicht mehr Zuspruch als eine deutliche Ansage gebrauchen.
Spricht man denn ganz offen über diese privaten Themen?
Da sind Spielertypen unterschiedlich. Es gibt einige, die quatschen sich das direkt von der Seele. Dann gibt es aber auch andere, die wollen gar nicht, dass der Trainer das erfährt. Sofern der Fall gegeben ist, wird es natürlich schwierig. Dann hilft es nur, dass man den Jungen schon eine ganze Weile kennt und man dadurch sensibel genug ist, um selber seine Schlüsse zu ziehen.
Oder man hat einen Co-Trainer, der in der Mannschaft mitkickt.
Ich finde das Modell des Spieler-Trainers als Assistent ja nicht verkehrt. Im Gegenteil sogar. Ich habe ja schon öfter so gearbeitet. In Meiendorf mit Helge Mau und hier bei Vicky mit Roger Stilz. Es geht dabei aber nicht darum zwei Ohren in der Kabine zu haben.
Wäre doch logisch, es so zu praktizieren.
Nein, wäre es nicht. Mir ist wichtig, dass die Jungs ihre Kabine haben. Das ist ein Raum für die Jungs, wo sie offen miteinander sprechen können. Da darf man sich auch mal über das Training auslassen oder über den Alten meckern. Ansonsten könnte ich mich ja auch gleich bei ihnen mit zusammen vorbereiten. Es hat schon einen Grund, warum es eine extra Trainerkabine gibt.
Und der Co petzt dann nicht?
Das ist ja die Qualität, die er haben muss. Loyal gegenüber seinem Trainerpartner – aber genauso fair gegenüber den Mitspielern. Wenn dieser Balance-Akt misslingt und die Jungs genau wissen, da ist einer, der nicht mit offenen Karten spielt und gleich zum Coach rennt, dann hast du schnell böses Blut in der Kabine. Bisher habe ich aber nur gute Erfahrungen mit diesem Modell gemacht.
Wie mündig sollen Deine Spieler denn sein?
So mündig, dass sie sich trauen, mich offen anzusprechen. Wobei mündig ein ganz blöder Ausdruck ist.
Wie meinst Du das mit dem „ansprechen“?
In meiner Mannschaft sind unglaublich viele intelligente Jungs. Sie haben Abitur, studieren oder absolvieren eine anspruchsvolle Ausbildung. Sie machen sich Gedanken und schnappen vieles auf. Hinterfragen auch manchmal Dinge. Und wenn ihnen etwas auffällt, was vielleicht nützlich für uns sein kann, wieso sollen sie es dann nicht sagen?
Das ist ja alles viel zu nett. Was war bisher Deine extremste Situation als Cheftrainer?
Schwierig war es einmal, als in der Kabine etwas zu aggressiv diskutiert wurde.
Worum ging es?
Es ging um religiöse Dinge. Ich wusste aber erst nicht wirklich, worüber genau gestritten wurde. Ich meine, ich weiß, dass es einige Weltreligionen gibt. Und unterschiedliche Glaubensmodelle in den jeweiligen Konfessionen. Aber im Detail hörte es schon auf.
Wie ging es weiter? Hat man sich dann damit beschäftigt?
Ja, ich persönlich fand es kritisch, mich da überhaupt nicht auszukennen. Und wenn ich nicht weiß worum es genau geht, ist es auch deutlich schwieriger mit den Jungs darüber zu sprechen. Also habe ich angefangen zu lesen. Jetzt nicht die dicken Wälzer, aber man hat sich halt schlaugemacht, worüber eigentlich gerade in der Kabine gesprochen wurde.
Einmal warst Du doch sogar in der Moschee.
Ich wurde von einem ehemaligen Spieler eingeladen, den ich nach den Trainingseinheiten oft mit dem Auto mitgenommen habe. Damals wurde in Bergedorf eine Moschee eröffnet. Mein Mitfahrer fragte einfach, ob ich Interesse hätte diese Veranstaltung zu besuchen. Ich bin dann mit meiner Frau zur Eröffnung gefahren und habe dort alles auf mich wirken lassen.
Das klingt besonders.
Es sollte eigentlich nicht besonders sein, denn ich finde es wichtig zu wissen, mit wem man in diesem Land zusammenlebt. So offen und fair sollte man in jedem Fall sein. Und Menschen kennenzulernen, ist ja auch wahnsinnig spannend. Gerade, wenn sich Kulturen unterscheiden.
Müssen eigentlich alle Deiner Spieler Deutsch sprechen können?
Mir ist das wichtig. Alleine wegen des Kommunikationsverhaltens in der Mannschaft. Wenn Spieler wirklich erst frisch in Deutschland sind, gibt’s natürlich Ausnahmen. Aber dann sollten sie sich bemüht zeigen die Sprache zu lernen. Nicht nur, damit sie meinen Anweisungen folgen können, sondern auch am Mannschaftsleben richtig beteiligt werden können und sich nicht isoliert fühlen, weil sie einfach nicht alles verstehen.
Was geht für Dich gar nicht in der Kabine?
Extremisten würden sofort fliegen. Egal aus welcher Ecke sie kommen.
Ein letztes Themen-Gebiet zum Thema Kabine. Wie läuft es mit Marius Ebbers?
Bestens, wieso auch nicht?
Gibt’s da keinen Neid, wenn ein wohlhabender und ausgesorgter Fußballer in eine Mannschaft voller Studierender und Auszubildenden kommt?
Nein, gar nicht. Marius verhält sich so, wie man es sich von einem erfahrenen Spieler wünscht. Er ist für die Jungs da, weiß oft zu helfen und steht jedem mit Rat zur Verfügung.
Angst davor gehabt, dass ein Porsche neben den Fahrrädern parken könnte?
Was soll mich am Porsche stören? Wer soll denn die teuren Autos fahren, wenn nicht diejenigen, die es sich verdient haben.
Aber es würde ja schon ein wenig blöd kommen.
Es könnte ja auch total super ankommen. Die anderen Jungs sehen doch dann, was möglich ist, wenn man alles gibt und für seine Ziele kämpft.
Lutz, vielen Dank für das gute Gespräch. Das sollten wir im neuen Jahr irgendwann fortführen.