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»Du, das Beste habe ich eben ganz vergessen«

Tony Fuchs verließ im Sommer die vertraute Umgebung in Neustrelitz und ging nach Berlin, um mit 24 Jahren das erste Mal im Unterbau einer Bundesligamannschaft zu spielen. Eine Geschichte über Berliner Alltagsprobleme, Ziele und Perspektiven. Und vom Erwachsenwerden.

Viel hat er zu erzählen. So viel, dass er sich  kurz nach Beendigung des ersten Gespräches gleich noch einmal meldet, und hastig mit dem Erzählen beginnt: „Du, das Beste habe ich eben ganz vergessen. Ich habe ja auch einmal bei den Profis mittrainiert. Da saß ich in der Kabine dann auf einmal neben Johnny Heitinga. Das war echt genial.“

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Er, das ist Tony Fuchs. 24 Jahre alt, im Süden Mecklenburg-Vorpommerns aufgewachsen, bekannt geworden durch seine Zeit bei der TSG Neustrelitz, als er sich in die Herzen des Publikums spielte, zum Zuschauerliebling avancierte.

Nun spielt er bei Hertha BSC. Natürlich nicht in der Bundesliga, sondern bei der U23-Mannschaft. In der Regionalliga Nord-Ost. In der Spielklasse, wo auch sein Ex-Verein aus Neustrelitz antritt.

Dennoch hat Tony Fuchs viel Neues zu berichten. Denn für Fuchs ist es das erste Mal, dass er sich im unmittelbaren Dunstkreis eines Bundesligisten befindet. Fuchs, obwohl gebürtiger Mecklenburger und mittlerweile als einer der talentiertesten Spieler des Bundeslandes angesehen, durchlief nicht die Talenteschmiede des FC Hansa Rostock, sondern wurde in seiner Heimatstadt Neubrandenburg ausgebildet. Nicht die schlechteste Adresse, aber Profifußball klingt eben anders.

Nun also Berlin. Weg von Zuhause, rein in eine der aufregendsten Städte Deutschlands. Hinein in die Bundesligaluft. Und da erlebt er so einiges, wie Fuchs schon zu Beginn der ersten Unterhaltung verspricht.

Zeit zum Plaudern hat er genug, momentan macht er sich nach individuellem Winterfahrplan auf Joggingrunden fit, der Trainingsbeginn der Herthaner U23 ist erst zum 17. Januar terminiert. Fünf Wochen sind es dann noch zum Saisonstart.

„Berlin“, sagt Fuchs leise, sei zu Beginn ein „echter Kulturschock gewesen.“ Gemeint ist damit nicht die Fußballwelt an der Spree, sondern die Probleme, die jeder Berufsalltag mitbringt. Zum Beispiel der Anfahrtsweg zur Arbeit. Und wenn Fuchs Anfahrtsweg sagt, dann pustet er zunächst einmal durch. Und legt dann los. „In der ersten Woche bin ich bestimmt zweimal zu spät gekommen. Das ist eigentlich gar nicht meine Art. Aber wenn man eineinhalb Stunden auf der Autobahn steht, dann kann das halt passieren“, so der Mittelfeldspieler mit humorvollem Unterton.

Bedeutete für den kleingewachsenen Rechtsfuß: Schleichwege suchen und kennenlernen, das richtige Timing für den Verkehrsfluss finden. Mittlerweile, so berichtet er stolz, seien es nur noch zehn bis fünfzehn Minuten, die er von seiner Wohngemeinschaft in der Nähe vom Flughafen Tegel zum Trainingsgelände benötigt.

So ein Verkehrsaufkommen kannte der 24-Jährige aus seiner provinziellen Heimatstadt Neubrandenburg nicht. Dort, wo man auch relativ zügig eine Wohnung findet, wenn Eile geboten ist.

Doch auch hier stieß Fuchs bei der Vorbereitung seines Berlin-Projekts auf Schwierigkeiten. Nach frustrierenden Wohnungsbesichtigungen, die bereits an meterlangen Warteschlangen vor den jeweiligen Wunschobjekten scheiterten, fand Fuchs schließlich doch noch eine Bleibe. Beim Ex-Kollegen Rene Pütt, der nach wie vor in Neustrelitz kickt, eigentlich aber in Berlin lebt. „Wir haben aus meiner Not heraus eine WG gegründet. Das passt so wunderbar, dass wir es einfach fortführen“, heißt es vom Zuzügler.

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Dann aber reicht es zu Berlin, findet der Jungspund, der in seiner Mannschaft mittlerweile zum Kreis der älteren Spieler gehört. Endlich soll über Fußball gesprochen werden. Denn in diesem Bereich läuft es nach seiner Aussage so gut, dass man auch langsam darüber ein paar Worte verlieren könnte.

Besonders die Trainingsbedingungen gefallen dem „Fugger“, wie er seit seiner Jugend genannt wird, richtig gut. Ein eigener Trainingsplatz, der sein Grün meist im besten Zustand präsentiert, liegt in Sichtweite der Profianlage. Im Kabinentrakt sitzt man genau unter der Kabine der Erstligastars. Im besten Sinne Bundesligaluft, die man fast riechen kann.

Die Hinrunde lief dabei für den Exil-Mecklenburger ordentlich, für die Mannschaft, die nach der Hinrunde Platz neun belegt, aber eher durchwachsen. Fuchs spielte dabei insgesamt elfmal von Beginn an, schoss ein Tor und bereitete zwei weitere Treffer vor. In Berlin, so hört man auf Nachfragen, gefällt aber vor allem der Einsatz und Wille des vermeintlich kleinen Kämpfers. Für Fuchs keine unbekannten Aussagen. Schon zu Neustrelitzer Zeiten schärfte diese Leistungsbereitschaft, die oftmals mit vielen Kilometern an der Seitenlinie einherging, die Stellung des quirligen Außenspielers bei Mitspielern und Anhang.

Auch deshalb war die Enttäuschung in der Residenzstadt besonders groß, als auch Fuchs im Sommer neben vielen anderen Leistungsträgern ging. Der Neu-Berliner war der Lokal-Hero aus der Nachbarstadt, ein TSGler durch und durch. Und er war der Spieler, der beim letztlich entscheidenden Sieg zur Meisterschaft gegen Magdeburg kurz vor Schluss den Siegtreffer erzielte.

Warum er trotz Meisterschaft und Euphorie ging? Für Fuchs keine Frage, bei er sonderlich lange überlegen muss: „Als diese Chance kam, wollte ich sie einfach nutzen. Ich wollte noch etwas lernen, neue Reize bekommen. Und genau das bekomme ich hier in der Hauptstadt. Auch wenn es damals nicht leicht war – bereut habe ich diesen Schritt nie.“

Gelernt hat der Mecklenburger in der Zeit nicht nur vom neuen Trainer Ante Covic, sondern auch von Profispielern, die ab und an in die zweite Reihe rücken um dort Trainingspraxis zu sammeln, und dann vom Profisein und Bundesligafußball erzählen. Für den zweitältesten Spieler im Kader, dessen Vertrag noch 18 Monate läuft, wichtiger als das Anschauen der großen Autos auf dem gemeinsamen Parkplatz. Es mache einfach Spaß da zuzuhören, bekennt er recht offenherzig.

Ende November gab dann sogar das erste Mal mehr als diese Parkplatzgespräche. Einige Profis waren auf Länderspielreise, Fuchs und ein drei andere Kollegen durften auf die Trainingsanlage der Großen wechseln um die Mannschaften für ein Trainingsspiel auffüllen. Auf einmal saß rechts in der Kabine Johnny Heitinga, der langjährige niederländische Nationalspieler. Auf dem Platz ging es ins direkte Duell mit Änis Ben-Hatira.

Kommt da nicht die Lust auf das Profisein? Fuchs überlegt kurz, bevor er nur allzu verständliche Worte wählt: „Lust bekommt man doch schon, wenn man wie gegen Dortmund mit 70.000 anderen im Stadion sitzt.“

Profifußball. Das ist ein Thema, wo die meisten Augen von Nachwuchsspielern zu leuchten beginnen, Träume allein mit Blicken erzählt werden. Bei Fuchs ist das nicht der Fall. Er holt dieses Mal für seine Antwort länger aus:

„Ich gehe ganz entspannt an die Sache. Mir wurde als junger Spieler nie eingeredet, dass ich mal ein Großer werden würde. Ich bin jetzt so weit oben, wie ich es noch nie in meiner Karriere war. Ich will Fußball spielen, mich verbessern. Und mir ist klar, dass die Wahrscheinlichkeit nicht sonderlich hoch ist, dass es bei mir mal mit dem Bundesligafußball in den höchsten beiden Ligen klappen wird.“

Etwas wahrscheinlicher erschien  dieser Weg noch im vergangenem Sommer. Als Sieger der Nord/Ost-Staffel schnupperte die TSG bis zu den Relegationspleiten gegen Mainz am Aufstieg in die Dritte Liga, mit überragenden Resultaten wurde die Spielklasse von vorne bis hinten dominiert. Die Chance auf den Sprung ins Profigeschäft? Mitnichten. Trotz souveräner Meisterschaft gelang keinem Spieler aus dem Neustrelitzer Meisterschaftskader der Sprung in die Dritte Liga.

Persönlich getroffen hat dass Fuchs nicht, wie er betont. Er habe einfach weitergemacht, und nebenbei ein Fernstudium des Sportmanagement aufgenommen. Ein zweites Standbein schaffen, vielleicht damit irgendwann nach Mecklenburg-Vorpommern in die Heimat zurückehren, berichtet er.

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Eine Geschichte möchte er dann aber noch erzählen. Die soll nicht noch einmal vergessen werden. Als er beim 3:0 der Hertha gegen den HSV im Olympiastadion saß, fiel ihm ein Spieler der Hamburger auf. Der ihm bekannt vorkam, den er nicht nur vom Fernsehbildschirm kannte.

„Ashton Götz“, erinnert sich der Mecklenburger schließlich.

Ein Rechtsverteidiger des Hamburger Sportvereins, der Wochen zuvor noch zum Kader der Regionalliga-Mannschaft zählte. Im Sommer hatte die U23-Mannschaft von Hertha gegen jenes Team ein Testspiel bestritten, mit dem direkten Duell Götz gegen Fuchs. „So schnell kann’s manchmal gehen“, schmunzelt dieser nun doch ein wenig vom Profifußball träumend.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.