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Die wohl fairste Mannschaft Norddeutschlands

Der TSV Buchholz 08 ist Rekordmeister in der Hamburger Fairplay-Wertung und hat über den von der Sparda-Bank ausgelobten → „freundlich & fair“-Preis mittlerweile ein kleines Vermögen eingenommen. Trainer Thomas Titze erklärt, wie das fairste Team Norddeutschlands funktioniert.

Foto: noveski.com

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Der Freitagabend hatte es für die Oberliga-Fußballer vom TSV Buchholz in sich. Beim unbequemen Aufsteiger Süderelbe reichte es zu einem 1:0-Auswärtserfolg, mit allem, was ein dramaturgisch hochwertiges Spiel ausmacht. Arne Gillich schloss unmittelbar vor der Halbzeitpause sehenswert mit einem direkten Freistoß ab, kurz zuvor hatte Keeper Hendrik Titze noch einen Elfmeter der Gastgeber pariert. Für genug Spektakel war also trotz des torarmen Endergebnisses gesorgt.

Der neue Tabellensiebte hatte allerdings nicht nur aufgrund des Erfolges allen Grund zur Freude, auch finanziell haben sich die Buchholzer  – wieder  einmal – eine Prämie verdient. 3.000 Euro wurden am Freitagabend von der Sparda-Bank als Preisgeld für den Titel „fairste Mannschaft der Oberliga“, mittlerweile zum 12. Mal in den letzten 14 Jahren, überreicht. „Wir freuen uns sehr darüber, auch wenn für uns der faire Sport selbstverständlich ist. Das Geld nehmen wir aber trotzdem gerne mit“, so der langjährige Cheftrainer Thomas Titze, dessen Team mittlerweile 36.000 Euro in den vergangenen Spielzeiten eingenommen hat.

Ein Blick auf die aktuellen Statistiken bestätigt: Die Auszeichnung trifft die Richtigen. Im Schnitt kassieren die Kicker aus dem Landkreis Harburg nur 0,64 Mal pro Partie den Gelben Karton – und das in einem Spielklassenbereich, in dem bekanntlich nicht mit harten Einlagen gespart wird. Zum Vergleich: Selbst die fairste Mannschaft der Bundesliga in Form des FC Bayern kommt, was das Vermeiden von Gelben Karten betrifft, nicht hinterher. Spieler von Werder Bremen und dem HSV sehen gar fast viermal so häufig die ungeliebte Verwarnung.

Ein Zufallsprodukt ist diese beträchtliche Summe aber keinesfalls, wie Torwart Henrik Titze verrät: “Natürlich befassen wir uns regelmäßig mit unserem Kartenverbrauch. Im Grunde kontrollieren wir nach jedem Spiel, wie es kartenmäßig für uns lief.”

Vom Trainer gibt’s jedoch kein Patentrezept an die Taktiktafel geschrieben, und trainiert wird der faire Umgang auch nicht. Auch disziplinierende Strafenkataloge sucht man am Stadtrand von Hamburg vergebens – selbst das „Zuspätkommen“ beim Training wird in der Regel nicht geahndet. „Wir achten bei der Auswahl der Spieler darauf, dass nur gute Jungs kommen. Die können zwar alle einen schönen Ball spielen, fast wichtiger ist aber, dass sie sich gut gegenüber anderen Spielern und den Schiris benehmen. Wer das nicht kann, hat bei uns keine Chance.“

Gerade deshalb gilt der Sprung in die ligaweit beliebte Mannschaft als besonders schwierig. Das Mannschaftsgefüge steht seit Jahren, wer neu hinzukommt, müsse sich hinter den arrivierten Kräften anstellen, sagt Titze. Viele Spieler, so erklärt er weiter, habe er mit einem weinenden Auge wieder weggeschickt, weil sie trotz ihrer individuellen Klasse nicht in die Truppe passten. Denn der Mannschaftsgedanke überlagert alles in der niedersächsischen Gemeinde. „Wir schauen dabei noch nicht einmal auf diese Wertung, sondern auf den sportlichen Erfolg. Und der stellt sich eben nur ein, wenn eine Mannschaft über die gesamte Spielzeit funktioniert, und nicht nur über 5 bis 10 Spiele“, so Titze.

Auch in der laufenden Saison zeigt sich zum wiederholten Male, wie probat das Mittel in der Mannschaftszusammenstellung weiterhin greift. Als Siebter liegt die Mannschaft voll im Soll, der Sprung unter die Top 6 liegt erneut in einem machbaren Korridor. In der Sünderkartei trifft man Buchholz-Spieler jedoch erst auf den hinteren Plätzen an. Dabei unterliegen gelbe Karten beileibe keinem Verbot beim TSV: „Fußball ist ein Kontaktsport, da passieren nun einmal Foulspiele. Wichtig ist mir, dass alles anständig bleibt. Kein Spucken, Beleidigen oder Treten“, bekennt der Routinier.

Seine Mannschaft setzt das um – auch aus eigenem Interesse, wie der Hamburger Trainer des Jahres 2011 ergänzt: „Ich stelle mich nicht vor meine Mannschaft und sage: Heute habt ihr hundertprozentig fair zu spielen. Das muss ich gar nicht, meine Spieler leben diese Einstellung auch ohne mein Diktat.“

Doch warum ist den Buchholzern diese Einstellung so wichtig? Titze findet eine ausführliche Antwort: „Wir wollen Spaß haben. Fußball ist für uns Freizeitvergnügen. Und dazu gehören Gegner und Schiedsrichter. Ohne sie würde es den Sport für uns nicht geben. Also bemühen wir darum, das alles so friedlich wie möglich von unserer Seite aus zu gestalten.“

Das Geld, das die Mannschaft seit Jahren durch ihr annähend kartenloses Spiel verdient, fließt übrigens nicht nur an den Verein und in die Mannschaftskasse, sondern auch in soziale Einrichtungen. Zum Beispiel an eine Kindertagesstädte in Buchholz. Der Trainer, der im Sommer nach jahrelanger Amtszeit ausscheiden will, gibt sich hier aber schmallippig: „Ich denke, das sind Dinge, die wir nicht an die große Glocken hängen wollen. Wir machen es, weil wir es für richtig halten.“

Sorgen muss sich Tietze um sein Erbe, das er im Sommer nach 23 Dienstjahren für den TSV an Nachfolger Thorsten Schneider überlassen wird, nicht machen. Der Zollbeamte Schneider sagte nämlich vor ein paar Wochen dem → BTB-Tagesticker: „Mir ist dieser Fair-Play Gedanke wichtig. Es läge komplett in meinem Interesse, wenn wir das so fortführen könnten.“

Anforderungen dieser Art stellt Titze nicht. Auch mit Aussagen zum designierten Amtsübernehmer Schneider möchte er sich zurückhalten, es sei unfair, auch nur irgendetwas zwischen den Zeilen zu fordern, begründet die Buchholzer Vereinsikone. Dennoch hat der erfahrene Mann an der Seitenlinie einen Herzenswunsch: „Ich möchte, dass es in der Liga weitergeht wie bisher. Auch wenn nicht alle Trainer die gleichen Meinungen haben, und es normal ist, im Spielverlauf zu streiten, finde ich es klasse, wie gut alle miteinander umgehen.“

Er habe ja schließlich noch vor, ein paar Spiele in der Oberliga zu sehen, legt Titze nach.

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Dabei verrät ein Blick auf die Tabelle aber auch eine andere, für die Gegner durchaus unsympathische Seite der Buchholz-Kicker. Denn bei allem Fairplay – als gastfreundlichste Mannschaft präsentieren sich die Titze-Jungs wahrlich nicht.

Schließlich rangiert mit Barmek-Uhlenhorst nur ein Team vor dem TSV in der Auswärtstabelle. Mit 20 Punkten verhalten sich die „Darlings“ der Oberliga-Hamburg also reichlich ungeniert auf Auswärtsreisen.

Natürlich nur, was das Sportliche betrifft.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.