Aufstieg? Und welcher Spieler fehlt? Die Antworten!
Der jüngste Sieg über Dynamo Dresden öffnet die Pforte zum Aufstiegsrennen. Die Kiel-Kenner Norwin Heister und Hannes Hilbrecht befassten sich nach der Partie mit den fünf großen Fragen und fanden – schaut mal her – satte zehn Antworten.
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War das 1:0 gegen Dresden die beste Saisonleistung?
Norwin Heister: Ja, denn die Kieler standen sehr kompakt und ließen das Dresdner Offensivspiel gar nicht erst zur Entfaltung kommen. Man nahm den Gästen aus Sachsen mit gewohnter Störche-Aggressivität und der guten Arbeit gegen den Ball jeglichen Spielspaß und sorgte so dafür, dass Dresden nur zwei wirklich gefährliche Chancen entwickeln konnte. Die beste Abwehr der Liga hat ihre Hausaufgaben gemacht: Gegenspieler wurden frühzeitig aufgenommen, verlorene Bälle wurden durch direktes Pressing wieder in die eigenen Reihen geholt und auch Torwart Kronholm wusste zum wiederholten Male mit starken Reflexen zu begeistern. Insgesamt gefallen die Kieler in der Rückrunde deutlich besser, wissen durch gefährliche Standardsituationen auch in spielerisch schlechten Minuten gute Chancen zu kreieren. Das gefällt. Auch im Spiel gegen Dresden war eine Ecke der berühmte Dosenöffner für die Neitzel-Kicker. Man hat sich, gerade was Standardsituationen angeht, enorm verbessert, ist gefährlicher geworden. Gleichzeitig hat man die starken Defensivleistungen aus der Hinrunde auch gegen Dresden bestätigen können.
Hannes Hilbrecht: Mein Horizont an gesehenen Kiel-Spielen ist natürlich deutlich begrenzter, da mein Fokus eher auf der aktuellen Nummer 2 an der Ostseeküste liegt. Ganz generell kann man aber sagen: Ja, das war zu weiten Teilen mit das Beste, was ich bisher von einer Drittligamannschaft in der laufenden Saison gesehen habe. Dresden kam wenig zum Zug, wurde phasenweise in der eigenen Tabellenhälfte eingeschnürt und konnte sich vom Dauerdruck, den Kiel immer wieder durch kluge Überzahlsituationen gegen den ballführenden Gegenspieler erzwang, nur mit langen Bällen befreien. Die waren jedoch stets die sichere Beute der Neitzel-Abwehr. Offensiv hat mir der Aufbau gefallen, im Besonderen das Mitdenken jener Spieler, die nicht im Ballbesitz waren. Die Außen liefen gut in die Räume, fast immer gab es außerhalb des Strafraums Anspielstationen, sodass Flanke um Flanke in den Strafraum segelte. Der Haken: Trotz vieler Torschüsse waren Hochkaräter Mangelware, die sozusagen „sicheren Nummern“, also kontrollierte Abschlüsse aus bester Lage, blieben fast gänzlich aus. Deshalb würde ich Holstein bis zum gegnerischen Strafraum eine absolute Top-Leistung bescheinigen, aber dort, wo es im Angriffsspiel am meisten zählt, war noch viel Luft nach oben. Und vergessen wir nicht: Verwertet Eilers den schönsten Spielzug der Begegnung, sprechen wir über ein unglückliches Remis, nicht aber über die beste Saisonleistung.
Ist Kiel nun Aufstiegsanwärter?
Norwin Heister: Betrachtet man die Tabelle der dritten Liga, so fehlen Holstein Kiel bis zu einem direkten Aufstiegsplatz derzeit nur fünf Punkte. Bei noch 39 zu vergebenden Punkten darf an der Küste durchaus geträumt werden. Holstein Kiel spielt definitiv um den Aufstieg in Liga Zwei mit. Als Holstein-Gegner hat man es wahrlich nicht leicht. Die Mannschaft ist Woche für Woche hervorragend eingestellt, will immer den Sieg. Die zuletzt konstanten Leistungen sorgen für Selbstvertrauen bei den Störchen. Außerdem verlor man in den letzten 15 Partien lediglich einmal. Der Erfolgsgarant: Die Defensive. Mit nur 17 Gegentoren steht man zu Recht auf dem sechsten Tabellenplatz. Bringt man die Abwehrstärke weiter so auf den Platz und arbeitet offensiv weiter an der Konsequenz im Torabschluss, so ist diese Saison viel drin für die Störche. Die dritte Liga ist von der Leistungsdichte so eng, dass eine Aufstiegs-Vorhersage als zu spekulativ erscheint, doch mein Gefühl sagt mir: Der Höhenflug der Störche geht weiter. Man ärgert die Konkurrenz und spielt bis zum Ende um den Aufstieg mit. Vielleicht ja mit positivem Ausgang.
Hannes Hilbrecht: Mit Münster und Erfurt stehen Kiel nun zwei der derzeit schwerstmöglichen Aufgaben bevor, die im Gegensatz zu Cottbus und Dresden noch stabiler und gefestigter in ihren Leistungen wirken. Holt Kiel aus diesen Herausforderungen mindestens vier Zähler, kann man Kiel endgültig als Aufstiegsanwärter bezeichnen. Werden beide verloren oder reicht es zu keinem Sieg, wird auch Holstein wieder auf Distanz gehalten. Dabei könnte die Ausgangsposition für Kiel kaum besser sein: Wann will man lieber gegen die Top-Teams der Liga antreten, als nach zwei dermaßen überzeugenden Spielen gegen vermeintliche Top-Teams und Zweitligaabsteiger? Einen besseren Zeitpunkt gibt es nicht. Und auch wenn ich mich vor diesen Nadelproben damit schwertue, Kiel als klaren Aufstiegsaspiranten zu benennen, bin ich mir in einer Hinsicht sicher: Die KSV wird sich an kommenden Wochenenden als eben solcher präsentieren.
Welcher Spieler macht Kiel besonders Spaß?
Norwin Heister: Für mich gibt es nur eine mögliche Antwort: Marlon Krause, Spezialist der verteidigenden Künste. Krause, zu Saisonbeginn verletzt, trat für die Kieler wie ein Neuzugang in Erscheinung. Wie ein Neuzugang bekleidet Leadertyp Krause seit einigen Spielen auch eine neue Position. Er läuft mittlerweile als Innenverteidiger auf. Das ist nicht überraschend, liegen seine Qualitäten doch vor allem in seiner Qualität im Abfangen, seiner Zweikampfstärke und seiner Spieleröffnung. Dadurch dass der 24-Jährige Verantwortung übernimmt ist er quasi unverzichtbar für Trainer Karsten Neitzel. Der neue Abwehrchef dirigiert, lenkt und leitet das Spiel von hinten heraus. Unauffällig und doch präsent zeigt sich Krause in den letzten Partien. Er verliert kaum Zweikämpfe und besitzt die nötige Schnelligkeit um seinen Mitspielern zur Hilfe eilen zu können. Der Neu-Chef ist ein wichtiger Faktor für die Defensive der Kieler, die weiter sehr gefestigt auftritt und immer weniger zulässt. So auch im Spiel gegen Dresden, wo Krause sich des Öfteren Justin Eilers, einem der besseren Drittligaspieler, annahm und gut im Griff hatte. Fakt ist: Wenn es brennt, ist der Staubsauger zur Stelle. Und auch offensiv schaltet sich der gebürtige Hamburger immer öfter ein. Seine Spielweise imponiert.
Hannes Hilbrecht: Krause wäre auch meine erste Wahl gewesen. Mit seiner Versetzung in die Innenverteidigung ist Neitzel ein kleiner Geniestreich gelungen. Durch ihn wirken Abwehr und Mittelfeld besser miteinander verbunden, die Lücke, die zu Saisonbeginn noch schmerzte, ist geschlossen. Ein bisschen erinnert mich das an Kevin Pannewitz, der als innenverteidigender Sechser seine besten Spiele für Hansa Rostock in der 2. Bundesliga bestritt. Neben Krause gefällt mir aber auch Manuel Schäffler immer besser, was auch Kieler Kreise intern bestätigen. Vom Einsatz her ist er einem Marcel Ziemer gar nicht so unähnlich, nur mit dem Unterschied, dass Ziemer aus teils schwierigen Positionen eindeutig besser netzt. Was mir gegen Dresden besonders aufgefallen ist: Es ist beeindruckend, mit welchem Einsatz er sich zumindest Halbchancen erarbeitet. Der Lattenkopfball, dazu die Chance, als ihm nur Zentimeter fehlen, um Wiegers beim Herauslaufen aus dem Gästetor zu düpieren. Streift er die Hereingabe, stürzt der Dynamo-Torhüter ins Leere. Genau das macht Schäffler so stark: Der Wille zum Abschluss, auch zu erkennen, als sich der Stürmer mit viel Kraft durch die Abwehr zum Abschluss aus spitzem Winkel manövrierte. Von fehlender Kaltschnäuzigkeit kann man deshalb gar nicht sprechen, denn wie schon angemerkt: Die ganz klaren Pflichtaufgaben bekommt er nur selten von seinen Mitspielern serviert, jeder Abschluss ist teilweise hart erarbeitet.
Welcher Spieler fehlt Kiel?
Norwin Heister: Im Abwehrbereich ist Kiel Ligaspitze. Offensiv gibt es durchaus Verbesserungspotenzial. So ist die oft diskutierte Chancenverwertung noch immer ein Thema. Auch die Kreativzentrale der Kieler ist hin und wieder Ziel von Kritik. Es fehlt ein Spieler, der heraussticht. Ein Spieler, der einen hervorragenden Torabschluss hat und auch mit Torvorlagen zu glänzen weiß. Pascal Groß ist so ein Spieler. Groß steht derzeit beim FC Ingolstadt unter Vertrag, erzielte in der laufenden Zweitligasaison bereits sechs Tore und konnte weitere elf Tore auflegen. Der 23-Jährige gibt den Spielmacher. Und das mit Erfolg. Groß‘ Kreativität scheint unberechenbar, sein Spielwitz unzähmbar. Es ist unheimlich schwer gegen Spieler wie ihn gut auszusehen. Groß schafft es immer wieder seine Gegenspieler zu verzaubern. Genau so einen Spieler benötigt Holstein Kiel ebenfalls.
Hannes Hilbrecht: Völlig richtig. Kiel braucht eigentlich nur eines: Waffen, Waffen, Waffen. Das heißt: Offensivaffines Spielzeug für Neitzel. Defensiv ist der Bedarf gering, wer sich den Luxus erlaubt, Hartmann und Auracher draußen zu lassen, dazu noch Gebers – wenn gesundet – im Hintergrund weiß, ist komfortabel aufgestellt. Im Mittelfeld fehlt mir jedoch das Filigrane, die Leichtigkeit im Spiel. Bei Holstein wimmelt es vor lauter Arbeitern. Kazior, Siedschlag, Heider und Kegel. Akteure, an denen es liegt, dass Kiel so gut defensiv steht. Die aber auch daran scheitern, regelmäßig Hochkaräter zu produzieren. Kiel braucht Attribute wie Geschwindigkeit, Spielwitz und individuelle Klasse, die im besten Fall kompatibel zur beeindruckenden Defensivarbeit der Holsteiner sind. Ich würde Neitzel Jänicke, Aosman und – wenn es möglich wäre – einen Klon von Denis Weidlich empfehlen.→ Jänickes Vertrag läuft in Wiesbaden aus, längst wird darüber gemunkelt, ob es ihm nicht in den Norden verschlagen könnte. Für Holstein wäre er eine spannende Ergänzung, da er in der Liga arriviert ist und einen guten Abschluss besitzt. Zudem liegt eine seiner Stärken darin, auch im Alleingang gefährliche Situationen heraufzubeschwören. Aosmann von Jahn Regensburg wäre dagegen die ideale Ergänzung fürs Zentrum. Ein wieselflinker Instinktfußballer, der vor allem die Spieler um sich herum besser macht, in denen er ihnen Bälle in freie Räume legt. Denis Weidlich dagegen, der hoffentlich in Rostock bleibt, könnte noch besser ins Kieler Gefüge passen, da er lauf- und defensivstärker ist, er aber geleichermaßen das Tempo und den Fuß dafür besitzt, die komplette gegnerische Offensivreihe mit wenigen Bewegungen zu überrumpeln.
Käme der Kieler Aufstieg zu früh?
Norwin Heister: Von der Infrastruktur dürfte einem Aufstieg nichts entgegenstehen. Die Bedingungen in Kiel sind gemacht für Bundesligafußball. Auch finanziell dürfte die zweite Liga für Kiel realisierbar sein. Durch Neu-Verpflichtungen würde gezwungenermaßen ein Umbruch im Team stattfinden. Ich glaube, dass die Kontinuität im Team das große Plus von Holstein Kiel ist. Man kennt die Spielzüge, Laufwege und auch die Schwächen seiner Mitspieler. Neue Spieler bräuchten Zeit um zusammenzufinden. Letztlich bin ich der Meinung, dass der Aufstieg zu früh käme und man den Kader lieber punktuell verstärken sollte, um so in jüngerer Zukunft ein eingespieltes Team mit Zweitliganiveau zu haben, das den Aufstieg anpeilen kann. Nur dann hat man eine realistische Chance auf den Klassenerhalt in Liga Zwei.
Hannes Hilbrecht: Auch wenn das Beispiel Darmstadt eindrucksvoll unterstreicht, wie schnell sich eine Mannschaft entwickeln kann, und alle drei letztjährigen Aufsteiger plus Karlsruhe, die auch erst im zweiten Jahr sind, bewiesen, wie gering die Diskrepanz zwischen zweiter und dritter Spielklasse momentan ausfällt, würde ich Kiel den behutsamen Weg wünschen. In der Mannschaft sehe ich derzeit auch nur vier, vielleicht fünf Spieler, denen ich sofort eine größere Rolle in der 2. Liga zutrauen würde. Das sind Kronholm, Krause, Vendelbo sowie mit Abstrichen Wahl und Heider. Alle anderen sind gute, teils aber auch nur solide Drittligaspieler, die von einem in sich gewachsenen System profitieren. Ob es jetzt schon für mehr reicht? Zweifel sollten bei großen Plänen immer gegeben sein. Kiel hat dagegen bereits das Fundament für die kommenden zwei Jahre gelegt, der Trainer geht in seine dritte Saison. Das ist ein Riesenvorteil, denn es wird im Sommer nur wenige Drittligamannschaften geben, die schon die Erfahrung aus zwei gemeinsamen Spielzeiten besitzen. Neitzel weiß genau, wo es hakt, und zudem kommt erleichternd hinzu, dass sich die Spielerakquise einfacher als im Vorjahr gestalten wird. Kiel ist ein souveräner, ja gut aufgestellter Drittligist, der sich jetzt schon zukunftssicher auf den Markt bewegen darf und Sondierungen führt. Es werden deshalb andere Transfers als im letzten Jahr möglich sein, auch weil potenzielle Neuzugänge Kiel nicht als Wundertüte, sondern zunehmend als vielversprechende Möglichkeit für einen raschen Aufstieg begreifen. Die Chance zum kontinuierlichen Fortschritt ist also gegeben. Der Aufstieg wäre zwar schön und müsste allein aus dem sportlichen Ehrgeiz heraus anvisiert werden – perspektivisch wäre ein Übergangsjahr die bessere Option.