Top

Warum Berater bei Holstein Kiel abwinken

Interview der Woche: Ralf Heskamp ist der „Neue“ bei den Kieler Störchen. Der ehemalige FCB-Scout weiß worauf es ankommt und schildert im großen Interview mit Kiel-Kenner Norwin Heister, warum Holstein ein Wahrnehmungsproblem hat, warum Spielerberater oft abwinken, wer bei Transfers das Sagen hat und wo die Reise der Kieler hingehen soll. Außerdem fragten wir nach ob → SH-Liga-Star Claus irgendwann im Trikot der Störche zu sehen ist?

In ihrer aktiven Laufbahn trugen Sie den Spitznamen Igel. Erklären Sie uns doch einmal, was es damit auf sich hat.
Mit meiner näheren Vergangenheit hat der Name gar nichts zu tun. Ich war selbst ganz überrascht, als ich den Namen bei Wikipedia gelesen habe. Als ich sechs oder sieben Jahre alt war, hatte ich einen ungewöhnlichen Kurzhaarschnitt, den sogenannten Igelschnitt. Deshalb haben mich die Leute Igel genannt. Das war aber mit vierzehn Jahren vorbei. Irgendjemand muss das aufgeschnappt und dann bei Wikipedia eingegeben haben. So ist das dort hängen geblieben. Später wurde ich nie wieder so genannt, mein Spitzname während der aktiven Laufbahn war nämlich „Hessi“.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Sie sind seit Januar im Amt. Wie haben Sie den Verein Holstein Kiel vorher als Außenstehender wahrgenommen? Was für einen Eindruck hatten Sie?
Zunächst dachte ich, dass Kiel ein Underdog wäre. Das Stadion hat durchschnittliches Drittliganiveau, Kiel liegt weit oben im Norden. Das war es dann auch schon. Doch durch meine Tätigkeit als Scout des FC Bayern München war ich hier, um mir Spiele der Jugendmannschaften anzusehen. In Vorgesprächen hatte man schon gehört, dass in Kiel sehr gute Trainingsbedingungen herrschen und die Infrastruktur mit der Geschäftsstelle gut sein soll, doch so hervorragend hatte ich das Ganze damals nicht erwartet. Als ich zu einem Spiel der U17 in Kiel war, habe ich gesehen, wie klasse das alles ist. In der Halbzeit des Spiels habe ich dann das ganze Gelände mal etwas näher betrachtet und war absolut begeistert, was man hier für Voraussetzungen vorfindet. Das war das erste Mal, dass ich Kiel so wahrgenommen habe. Unser Problem ist, Berater und Spieler bei Gesprächen von Kiel zu überzeugen, da sich ihre kurze Einschätzung der Rahmenbedingungen bei uns eher auf unser Stadion und ihre eigenen Erlebnisse während der Punktspiele beschränken.

Da täuscht der Eindruck dann einfach?
Ja, genau. Wir leisten derzeit viel Lobbyarbeit, laden Spieler und Berater nach Kiel ein und zeigen ihnen auch unser Leistungszentrum in Projensdorf. Dann sind die meisten begeistert von Holstein Kiel. Es muss unsere Aufgabe sein, dass Holstein Kiel von Spielern und Beratern als noch attraktiverer Verein wahrgenommen wird.

Hat Kiel ein Wahrnehmungsproblem?
Wir müssen einfach daran arbeiten, dass Berater nicht schon am Telefon mit Floskeln wie: „Der Spieler hat schon ein Angebot aus der zweiten Liga und ein Angebot von einem ambitionierten Drittligisten“ abwinken. Denn auch wir sind ein ambitionierter Drittligist. Also hängt es an der Außendarstellung. Die Außendarstellung ist wichtig für uns. Wir sind ein ambitionierter Drittligist und es dürfen auch ruhig alle wissen, dass Holstein Kiel keine graue Maus ist. Das Problem wird sich mit dem sportlichen Erfolg auch relativieren.

WEITERE THEMEN: DER KIELER WEG (links) – CHEFTRAINER NEITZEL IM GROSSEN INTERVIEW (rechts)

neitzel_cc_2_870

 

Waren Sie denn sofort Feuer und Flamme für Kiel?

Ich hatte einen Job bei Bayern München, und den gibt man nicht einfach so auf. Ich war nicht auf Jobsuche, sodass mich der Anruf schon ein wenig überraschte. Doch ich kannte das gute Umfeld in Kiel durch meine Scouting-Aktivitäten und habe mich nach kurzer Überlegung für ein Gespräch mit den Kieler Verantwortlichen entschieden. Das Gespräch verlief sehr positiv und man gewann schnell den Eindruck, dass die Chemie stimmt. Ebenso schnell war ich von Holstein Kiel überzeugt und verspürte die Lust, den Posten des sportlichen Leiters in Kiel zu besetzen.

Verlief die Freigabe durch Bayern München problemlos?
Zu der Zeit hatte Matthias Sammer gerade seinen Vertrag verlängert und alle Angestellten, die mit ihm zusammenarbeiteten, sollten ebenfalls ihre Verträge verlängern. Das kreuzte sich also mit meinen neuen Plänen. Ich habe dann das Gespräch mit Bayern München gesucht, meine Situation geschildert und nach wenigen Tagen haben die Verantwortlichen meine große Chance erkannt und mir den Weg mit Hilfe einer Vertragsauflösung zum 31. Dezember 2014 freigemacht. Meine Verabschiedung in München war sehr schön. Das war eine große Wertschätzung für mich, die keineswegs selbstverständlich ist. Darüber habe ich mich sehr gefreut.

Wie haben sie ihre ersten Tage in Kiel verbracht? Wie fing die Arbeit für sie an?
Privat standen zunächst die Wohnungssuche und der anschließende Umzug an. Das hat alles schnell und gut geklappt. Dann wurde ich sehr gut in der Geschäftsstelle aufgenommen. Ich habe mich direkt heimisch gefühlt, das war wirklich prima. Die Mannschaft konnte ich dann im Rahmen des Trainingslagers kennenlernen.

Ist es nicht schwer gewesen, sich in der kurzen Winterpause auf die neue Aufgabe einzustellen, alles zu erforschen und sein Umfeld abzutasten?
Wie so ein Verein funktioniert, weiß ich aus meiner Erfahrung als Geschäftsführer beim VfL Osnabrück. Die Einarbeitungszeit war dementsprechend nicht so schwierig für mich. Positiv war natürlich auch, dass wir im gesicherten Mittelfeld überwintern konnten und uns nicht mit den Abstiegsgedanken beschäftigen mussten. Die Erwartungshaltung war insofern geringer, als dass man keine großartigen Transfers von mir erwartete. Ich konnte das alles also ruhiger angehen lassen. Es war genau der richtige Zeitpunkt.

Standen Neuverpflichtungen im Winter jemals zur Debatte?
Vielleicht hätten wir einen Spieler unter Vertrag genommen, den wir nur im Winter hätten bekommen können. Doch so ein Spieler muss uns schnell voranbringen. Das war nicht der Fall. Außerdem sind wir von unserer Mannschaft voll und ganz überzeugt. Das ganze diente also auch als Vertrauensbeweis gegenüber dem Team.

Sie fungieren als sportlicher Leiter. Erzählen Sie uns doch einmal: Welchen Aufgaben und Herausforderungen stellen sie sich über den Tag?
Das Tagesgeschäft ist die Kaderzusammenstellung. Weiterhin gehört es zu meinen Aufgaben, alle Bereiche und Strukturen zu optimieren. Die Mannschaft und die Trainer sollen sich auf das Wesentliche konzentrieren können. Hierfür gilt es die Voraussetzungen zu schaffen. Außerdem bin ich für das Nachwuchsleistungszentrum verantwortlich. In Zusammenarbeit mit unserem NLZ-Leiter Fabian Müller sind wir daran interessiert, auch hier die Strukturen zu verbessern, gegebenenfalls auch Veränderungen anzustoßen.

Wie wichtig ist die Nachwuchsarbeit für Holstein?

Holstein Kiel legt viel Wert darauf, Jugendspieler so weit zu entwickeln, dass sie später in der ersten Mannschaft auflaufen können. Jüngste Beispiele, wie → Hauke Wahl oder Finn Wirlmann sollen nicht die letzten sein.

Gab es ein Gespräch mit ihrem Vorgänger Herrn Bornemann?

Nein, das gab es nicht. Ich kenne Herrn Bornemann lediglich vom Sehen. Es gab und gibt keinen Kontakt zu ihm.

Zuletzt arbeiteten Sie für den großen FC Bayern München. Ganz offenbar haben Sie das bayrische Siegergen mit in den Norden gebracht. Es läuft derzeit richtig gut für Holstein. Planen Sie zweigleisig? Also für die Dritte und die Zweite Liga?
Im Rahmen der Lizenzierung müssen wir für die zweite, dritte und vierte Liga planen. So lange die Möglichkeit besteht, in einer der drei Ligen zu spielen, müssen wir am Lizensierungsverfahren teilnehmen. Wir konzentrieren uns weiter auf die Dritte Liga. Aber es ist ganz normal, Visionen zu haben. Man hat das Ganze im Hinterkopf. 

Die vierte Liga sollte in ihren Planungen bald abgehakt sein.
 Da gehe ich von aus. Wir haben jetzt 43 Punkte erreicht und ich denke nicht, dass wir uns mit einem möglichen Abstieg noch beschäftigen müssen. Natürlich haben wir auch Glück gehabt, dass wir so wenig Verletzte hatten und haben. Unser Team ist eingespielt und das sieht man auch. Jeder weiß, was er zu tun hat. Da erkennt man die Handschrift des Trainers. Außerdem ist der Teamgeist super. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir in den nächsten Wochen noch das ein oder andere Spiel gewinnen werden.

Das Thema Abstieg ist passe. Die Spieler können jetzt ohne irgendwelchen Druck auflaufen.
Als Spieler gibt es nichts Schöneres. Man kann quasi nicht mehr absteigen, auf der anderen Seite bieten sich jedoch viele Möglichkeiten, um für Überraschungen zu sorgen. Die Spieler verspüren eher einen positiven Druck. Die Situation ist für alle Beteiligten gut.

Wer hat bei der Kaderplanung mehr Aktien: Sie oder der Trainer?
Das ist meiner Meinung nach pari. Ich würde nie einen Spieler verpflichten, den der Trainer nicht haben möchte. Schließlich muss er täglich mit ihm zusammenarbeiten. Auf der anderen Seite könnte der Trainer keinen Spieler durchsetzen, den ich nicht unter Vertrag nehmen möchte. Die Kaderplanung geschieht in Absprache mit dem Trainerteam. Wir alle müssen der Meinung sein, die richtige Entscheidung für den Verein zu treffen.

Insgesamt laufen im Sommer 15 Verträge aus. Unter anderem sind die Kontrakte von ihren Leistungsträgern Kazior, Herrmann und Schäffler betroffen. Wie weit sind die Vertragsgespräche?
Die beginnen in den nächsten Wochen. Wir werden jeden Vertrag nacheinander, ganz in Ruhe, abarbeiten und die Gespräche führen. Die Vertragsverlängerungen kommen also.

Viele Spieler schwärmen von den Bedingungen, die man in Kiel vorfindet. Locken Sie schon die ersten Spieler für die neue Saison nach Kiel?
Natürlich. Das ist unser Tagesgeschäft. Wir schauen das ganze Jahr nach Spielern, die uns weiterbringen können. Auch diese Gespräche werden in den nächsten Wochen stattfinden. Es ist aber ebenfalls wichtig, dass unser Stamm zusammenbleibt. Darüber wird in den nächsten Wochen entschieden. Letztlich können wir natürlich auch erst planen, wenn die Gespräche mit unseren eigenen Spielern gelaufen sind und wir wissen, wer uns im Sommer möglicherweise verlassen möchte. Wir sondieren den Markt und haben bereits Spieler ins Auge gefasst. Da gibt es jedoch noch keinen Vollzug zu vermelden.

Wir denken Tag und Nacht darüber nach, wie wir die Mannschaft verbessern können.

Als FCB-Scout kamen Sie viel herum, sichteten viele Jugendmannschaften. Haben Sie bereits Namen im Kopf, wenn sie an die Kieler Zukunft denken?
Das kann noch zwei, drei Jahre dauern. Es gibt eine Menge interessanter Talente, die ich kenne. In Norddeutschland gibt es viele gute Spieler im Jugendbereich, die langsam in den Seniorenbereich wechseln. Die meisten spielen jedoch schon bei Bundesligisten. Und oftmals ist es so, dass die Spieler abwarten, ob sie den Sprung in den Profikader schaffen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, ist das natürlich eine Chance für uns, die gut ausgebildeten Spieler nach Kiel zu locken. Deswegen schauen wir uns auch häufig die zweiten Mannschaften von Bundesligisten an, beobachten die Spiele. Es fallen mir auf jeden Fall eine Menge Spieler ein, die auch für Holstein Kiel interessant sein könnten.

Haben Sie auch die Schleswig-Holstein-Liga auf dem Radar? Da gibt es einen jungen Stürmer namens → Ian-Prescott Claus. Mit einer Bilanz von 19 Toren aus 21 Spielen wäre das doch einer für Holstein. Uns gefällt er. Sind Sie schon auf ihn aufmerksam geworden?
Bisher nicht. Ich werde mich aber mal über diesen Spieler erkundigen. Bisher war er jedoch kein Thema bei uns.

Der Kader ist an einigen Stellen bereits in einem Alter, wo man über Back-Ups nachdenken muss. Spieler wie Rafael Kazior oder Manuel Hartmann gehören zu den Säulen des Teams. Doch langfristig müssen neue, junge Spieler diese Funktionen übernehmen. Sehen sie schon potenzielle Neu-Führungsstörche?
Wir denken Tag und Nacht darüber nach, wie wir die Mannschaft verbessern können. Die Altersstruktur muss passen und das tut sie meiner Meinung nach. Es ist nur die Frage, wie lange die älteren Jungs noch spielen können. Momentan sind sie noch fit. In zwei, drei Jahren müssen wir aber sehen, dass wir die Positionen adäquat neu besetzen können. Wir kennen auf jeder Position gute Spieler, sodass wir bei einem Abgang, sei es altersbedingt oder wegen eines Vereinswechsels, schon Alternativen in der Hinterhand wissen. Ob wir den Wunschspieler dann auch bekommen, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Doch das gilt für jede Position und für Spieler jeden Alters. Spieler, die Verantwortung übernehmen, entwickeln sich über die Leistung und die Akzeptanz im Team. Das Ganze geht einher mit dem wachsenden Selbstbewusstsein und der Spielpraxis.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Wann sehen wir Ihren Sohn Sandro in Kiel? Einen defensiven Mittelfeldspieler könnte Holstein doch immer gut gebrauchen.
Er hat als Kapitän in Osnabrück A-Jugend-Bundesliga gespielt. Sandro hat Potenzial und stand in Osnabrück unter Vertrag. Leider war es nur so, dass der neue Trainer nicht so viele junge Spieler in seinem Team haben wollte. Folglich hatte er dort keine Perspektive und sollte für mehr Einsatzzeiten in die Regionalliga wechseln. Zu zwei Nasenbeinbrüchen kam jetzt noch eine Operation am Schambein. Sandro hatte viel Pech in den letzten ein, zwei Jahren. Und jetzt muss man einfach abwarten wie es im Sommer weitergeht. Er ist jung, hat Potenzial. Das hat er aber auch von seiner Mutter. (lacht) Doch nach Kiel wird er wohl nicht wechseln. Wir werden ihn eher woanders sehen.

Bei allem Engagement im Job: Wie viel Zeit bleibt da noch und was machen Sie so am liebsten in der Freizeit?
Es bleibt nur sehr wenig Zeit für andere Aktivitäten. Am Wochenende spielen wir samstags, am Sonntag sichte ich dann noch andere Spiele. Montags habe ich am ehesten Zeit und auch da bin ich noch im Büro. Vor kurzem waren meine Frau und ich zum Beispiel in Laboe und haben uns dort ein wenig umgeschaut. Ansonsten habe ich wenig Zeit gehabt, um Kiel zu entdecken. Bisher kenne ich die Stadt eher aus dem Auto heraus. Aber soweit ich das bis jetzt beurteilen kann, gibt es in Kiel wirklich schöne Ecken. Hier kann man sich wohlfühlen.

Ihr Vertrag läuft bis Ende 2017. Spielt Holstein Kiel bis dahin in der zweiten Liga?
So etwas kann man nie voraussagen. Wenn wir uns jedes Jahr verbessern, wird es irgendwann sicherlich so weit sein. Aber man kann nicht sagen, dass das in ein, zwei oder drei Jahren passiert sein wird. Das ist nicht vorauszusagen. Man kann nicht einschätzen, wer auf- und absteigt. Wir werden versuchen, uns stetig zu verbessern und so den Grundstein zu legen. Wo die Reise dann hingeht, muss man sehen. Ich werde nicht versprechen, dass wir 2017 in der zweiten Liga spielen. Natürlich hat jeder sein persönliches Ziel und möchte gerne so hoch wie möglich arbeiten. Auch ich wäre gerne sportlicher Leiter in der zweiten Liga. Und das ganze mit Holstein Kiel. Das ist doch gar keine Frage, aber ob das in den nächsten drei Jahren zu realisieren ist, kann man nicht sagen.

Norwin Heister

Der gebürtige Kieler mit natürlich gegebener Affinität zum Lokalmatador Holstein Kiel, ist 19 Jahre alt und macht gerade sein Abitur. Neben Heim- und Auswärtsspielen der KSV ist Norwin Heister gerne auch mal in den unteren Gefilden bis zur Kreisklasse unterwegs oder versucht sich selbst am Ball. Nach dem Betrieb eines eigenen Blogs, freut sich der angehende Bankkaufmann nun bei BTB über die Fußballgrößen des Nordens berichten zu dürfen.