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Analysesixpack: Worauf es bei Hansa ankommt

Vier Punkte hat der FC Hansa aus den ersten beiden Spielen des Fußballjahres 2015 geholt. Auf wen es am Ende besonders ankommen wird und welche Spieler für BLOG-TRIFFT-BALL am meisten in der Pflicht stehen, erklärt Hannes Hilbrecht im Analysesixpack.

Punkt 1 → Baumanns Vermittlungskompetenz

Skeptisch konnte man sein, als mit Karsten Baumann ein Fußballlehrer verpflichtet wurde, der gewissermaßen verbraucht schien. Ein bisschen Aue, ein bisschen Erfurt und eine Prise Duisburg. Richtig erbaulich lies sich die Vita des ehemaligen Dortmunders nicht. In der Tat ist der erste Eindruck trotz nur vier Punkten den ersten vier Spielen ein anderer geworden. Aus der Mannschaft ist zu hören, dass Baumann einen ausgereiften Plan besitze, den er versucht, an seine Jungs zu vermitteln. Ein Fortschritt zum Vorgänger, wie hinter vorgehaltener Hand geunkt wird.

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Baumanns Plan ist dabei ein denkbar einfacher. Safety first. Was dahinter steckt: Während im System Vollmann oft individuell auf Ballgewinne spekuliert wurde, legt Baumann darauf wert, erst in die Offensivbewegung zu schwenken, sobald der Ballbesitz  fest unter eigener Kontrolle steht. Heißt: Die Mannschaft soll dadurch zu mehr Disziplin angehalten werden, in dem sie das Risiko des überstürzten Engagements minimiert. Zudem sorgt Baumann mit seinem Konzept dafür, dass die Rostocker enger stehen, besser mit dem Druck auf dem Ball verschieben und nicht wie zu weiten Teilen der Hinrunde alibimäßig in dieser Spielform agieren. Ein Spieler, der den Verein mittlerweile verlassen hat, richtete BLOG-TRIFFT-BALL zudem aus: „Das Baumann der Leistungsbeste in seinem Jahrgang war, ist für die Spieler durchaus zu spüren. Er hat Ideen, gerade im Athletiktraining.“

Nun kommt es darauf an, dass diese Gedanken und Einfälle, die zunächst auf eine stabilere Defensive abzielen, auf die einzelnen Spieler übertragen werden. Umso schneller dieser didaktische Aspekt umgesetzt wird, desto erfolgreicher sind die Rostocker Erfolgsaussichten. Henri Fuchs, ehemaliger Hansa-Spieler und einst interimsweiser Nachfolger von Baumann in Erfurt, zeigt sich hoffnungsvoll: „Er hat in Duisburg bewiesen, wie schnell er eine Einheit formen kann.“ Außerdem positiv: Die Defensive, die sowohl gegen Wiesbaden als auch stärker gegen Regensburg noch immer Missstände offenbarte, dürfte sich erst noch finden und mit der Zeit weitere Sicherheit generieren.

Punkt 2 → Baumann und Klein müssen den positiven Umgang beibehalten

Die Transferperiode in Rostock wurde teilweise mit reibenden Augen beobachtet. Nicht nur, dass der FC Hansa einen Testspieler nach dem anderen emporzauberte, auch die Art und Weise des Umgangs mit den Spielern, denen kurz nach dem Ende der Winterpause mitgeteilt wurde, dass für sie allenfalls Einsätze als Ergänzungen perspektivisch denkbar sind, imponierte. So wurden diese Spieler normal weiterbehandelt und mussten sich keine Maßnahmen gefallen lassen, mit denen ein freiwilliger Abgang in der Winterpause zusätzlich forciert werden sollte.

Degradierungen in die zweite Mannschaft blieben aus, selbst Kapitän Stuff, über dessen Ende in Rostock früh gemutmaßt wurde, galt in seiner Rolle als Kapitän weiterhin vom Trainerteam akzeptiert, bis er jene Rolle schließlich ablegte. Ein Beispiel dafür: Bis zur freiwilligen Abgabe der Binde führte Stuff die Mannschaft auf der  üblichen „Runde“ im Training an. Erst mit der Berufung Weidlichs übernahm dieser die eher symbolische Verantwortung. Was in Anbetracht des Abstiegskampfes als Petitesse oder Kleinigkeit abgewertet werden könnte, ist in der Tat ein wichtiger Faktor für das Gelingen der Operation Klassenerhalt. Gerade in dieser psychisch belastenden Situation zeugt es von größter Eminenz, dass die Spieler zumindest ein schemenhaftes Gefühl der „Geborgenheit“ vermittelt bekommen. Ein faires sowie abgeklärtes Auftreten der Sportlichen Führung ist dafür unerlässlich.

Punkt 3 → Ruprecht und Weidlich müssen ihre Bestform abrufen

Eine Sache machte in der winterlichen Transferpolitik große Hoffnung: Durch die Bemühungen in der defensiven Zentrale, wurde endlich offensiver Raum für Denis Danso Weidlich geschaffen. Vom Potenzial her ist er – noch vor Marcel Ziemer – der beste Spieler der Mannschaft. Die Dynamik und der Fluss in seinen Bewegungen auf der einen, seine Spielintelligenz und sein starker Fuß auf der anderen Seite. Weidlich muss offensiv spielen, bestenfalls noch zentraler und von den Außen abgelöst, damit er noch mehr im Spiel eingebunden ist. Dadurch, dass der Verein  das defensive Zentrum verstärkte und Tommy Grupe sein Comeback feierte, ist diese Option überhaupt erst langfristig denkbar geworden. Selbst die Stefanovic-Verletzung kann durch das breite Angebot zumindest zu Teilen kompensiert werden. Wichtig wird es deshalb sein, dass Baumann seinen besten Mann endgültig in die offensive Zentrale hievt, auch wenn dadurch der Verlust einer Stürmerposition droht. Schnelle Außen, die mit Starke und Jakobs im Hintergrund lauern, wären wie gemacht für die raumöffnenden Pässe Weidlichs.

Steven Ruprecht hingegen beweist derzeit das, was ihm lange abgesprochen wurde: Verantwortungsbewusstsein. Dass er den Elfmeter schoss und erneut sicher verwandelte, spricht für ihn. Zwar demonstrierte er bereits gegen Bielefeld sein stabiles Nervenkostüm, doch war die Drucksituation gegen Regensburg noch einmal eine ganz andere. Das Positive: Ruprecht, sofern in einer selbstbewussten Stimmungslage, kann ein Topverteidiger dieser Liga sein. Zur Mitte der Hinrunde spielte er ähnlich gut wie im Herbst-Winter 2013, und verhinderte mehrmals in spektakulärer Manier Gegentreffer, sodass insbesondere die Leistungen gegen Chemnitz und Halle als hervorragend eingestuft wurden. Prekär wird es, wenn der 27-Jährige mit seinem Selbstvertrauen hadert. Beweisstück A: Eine Woche nach seinem Bock gegen Wiesbaden, der Punkte kostete und eine mediale Schelte nach sich zog, agierte Ruprecht gegen Regensburg im Hinspiel von seiner Verunsicherung geplagt desolat. Gelingt es dem 1,96-Hünen, seinen Mut zu konservieren, muss sich der FC Hansa für seinen neuen Abwehrchef nicht grämen. Wichtig: In einer Mannschaft mit vielen neuen Gesichtern und jungen Spieler sind Weidlich und Ruprecht die Akteure, die das Team auf sportlicher wie emotionaler Ebene anführen müssen.

Punkt 4 → Jose Alex Ikeng – der Mann, der Systemoptionen schafft

Bereits vor der Stevanovic-Verletzung stand er ganz oben auf der Liste der wichtigen Faktoren. Der Ex-Bremer, der den FC Hansa vor einigen Jahren beim dramatischen 1:2 gegen Ingolstadt übel mitspielte, bringt das mit an die Küste, was in der Hinrunde vielleicht am meisten fehlte. Physis, Physis und nochmals Physis. Gefühlt hatte der FC Hansa in der Mittelfeldzentrale niemanden, der richtig zupacken konnte. Dieses Problem sollte mit den Zweikampfqualitäten des Kameruners abgehakt sein. Vorausgesetzt, er deutet zumindest das an, war er vor ein paar noch in der 2. Bundesliga für Ingolstadt demonstrierte. Größter Profiteur der Ikeng-Verpflichtung kann Kai Schwertfeger sein. Dieser schien bereits gescheitert, bevor er sich gegen Wiesbaden in guter Form präsentierte. Durch seinen neuen Nebenmann könnten nicht nur die Schwächen im Zugriff, die Schwertfeger zweifellos besitzt, egalisiert werden, sondern auch seine Stärken am Ball und in den Räumen zusätzlich genutzt.

Ein Planspiel könnte beispielsweise sein, dass Ikeng den einzigen nominellen Sechser mimt, während Schwerfeger und Weidlich die Achterpositionen diametral mit leichtem Außendrill besetzen. Sturmtank Ziemer wird derweil von wuseligen Halbstürmern flankiert. Mit Sburlea, Savran, Starke, Bickel und Jakobs ist entsprechendes Spielermaterial zu genüge vorhanden. Weiterer Vorteil: Je nach Gegner und Ausrichtung könnte Schwertfeger zwischen der Sechs und der Acht variieren.

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Punkt 5 → Savran, Sburlea und Bickel: Tore aus der zweiten Reihe

Marcel Ziemer wird noch seine Tore machen. Der Sturmtank wirkt im Vergleich zur Hinrunde noch einmal verbessert, ihm scheint die Krise sogar gut getan zu haben. Bei seiner Torausbeute in der Rückrunde ging nämlich gerne unter, dass alleine sieben Tore aus zwei Begegnungen entsprangen. In vielen anderen Partien wirkte der bullige Angreifer gehemmt und vom Spiel ausgeschlossen. In den ersten Partien des neuen Spieljahres trumpft der Publikumsliebling jedoch auch von außerhalb des Strafraums aus. So war seine Flanke auf Savran eine Augenweide, die fast mit dem 3:2 belohnt worden wäre. Genau hier wird es entscheidend: Ziemer, von zwei Drittligatrainern hinter vorgehaltener Hand als einer der besten drei Stürmer der Liga ausgemacht, wird nicht alles alleine entscheiden können. Sburlea, dessen Körpersprache gefällt, und Savran müssen knipsen, Räume nutzen, die Ziemer durch seine eigenen Aktionen und die schiere Präsenz schafft.

Dieser Platz muss von weiteren Spielern dringend zu Toren verarbeitet werden. Neben Savran und Sburlea gilt das auch für Bickel, der mehr aus seiner Abschlussqualität herausholen muss. Scheitert der FC Hansa daran, weitere potente Gefahrenherde zu kreieren, wird es ganz eng, da sich die gegnerischen Abwehrreihen noch mehr auf Ziemer konzentrieren können.
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Punkt 6 Die Anhängerschaft

Einige Anfeuerungssequenzen waren am Samstagnachmittag – wieder einmal – eine Wonne für Augen und Ohren. Die Rolle der Fans ist dabei nicht kleinzureden. Mehr denn je können sie die Rettung des Vereins mitbeeinflussen. Das geht jedoch nur auf eine Art und Weise: Bedingungsloser Rückhalt. Auch wenn die immense Stresssituation verständlich ist und sich Existenzszenarien wie neblige Schwaden über dem Fanpulk sammeln, helfen Pfiffe und harte Worte nach negativen Resultaten nicht im Geringsten. Die Spieler brauchen ganz nach den Worten von Thomas Gansauge, der deutlich machte, wie schwer der Rückhalt der Fans in diesen Gefilden wirkt, die absolute Unterstützung der Fans. Der sich an dem Leitfaden zum Saisonende richtet, nicht aber an den einzelnen Etappen zum Gesamtziel. Ein Anfang wurde bei den ersten beiden Spielen gemacht.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.