Glücksgriff Uwe Klein
Uwe Klein war vor ein paar Monaten noch die große Unbekannte – doch wer ist dieser Mann? BLOG-TRIFFT-BALL schaute genau hin, sprach mit dem neuen Sportlichen Leiter an Bord der Kogge und hörte sich dazu auch noch in der Bundesliga um.
Den ganzen Tag hatte es in Rostock geregnet, die ganze Stadt wirkte eingeseift. Die Luft war eisigkalt und fast schien es so, als ob der schmierige Regen überlegte, in den noch klebrigeren Schneefall zu wechseln. Ein denkbar unangenehmer Januarmittwoch in der Hansestadt.
Wohl auch deshalb hatten sich nur ein Rentner, der noch immer über das Für und Wider der Vollmann-Demission schwadronierte, und eine Handvoll Schulkinder an diesem Nachmittag um den Trainingsplatz versammelt. Die Grundschüler verließen ihren Platz am Zaun schlagartig in Richtung Parkplatz, als Manager Uwe Klein das Trainingsgeläuf verließ, auf dem die Mannschaft mittlerweile zum Austraben ansetzte.
Mit Fragen, so hörte man noch von weitem, löcherten sie den Sportlichen Leiter. Er nahm sich Zeit für die kleinen Hansa-Fans, schritt im geduldigen Schritttempo Richtung Stadion. Kein anderer Journalist war zu diesem Zeitpunkt anwesend, kein Fotograf lungerte in Sichtweite, für den er hätte posieren können. „Sympathisch“, murmelte der Rentner, der kurz in seinem Zetern pausierte.
Gemeint war mit diesem Kompliment einer der wichtigsten Köpfe beim FC Hansa. Nachdem es Vereinschef Michael Dahlmann gelungen ist, den finanziellen Exitus zumindest auf kurze Sicht abzuwenden, konzentrieren sich die Scheinwerfer allein auf die sportliche Bühne. Auf Mannschaft und Trainer, vor allem aber auf einen Mann, den in Rostock vor ein paar Monaten noch kaum jemand kannte.
Zwölf Jahre lang war jener Uwe Klein Co-Trainer in Düsseldorf. Er marschierte mit der Mannschaft von den Niederungen des Profifußballs bis in die Bundesliga, zuletzt hatte er Trainer der Kategorie Büskens und Meier assistiert. „Ein guter Kerl, immer vertrauenswürdig und engagiert, wenn es um die Spieler ging“, erzählt beispielsweise Thomas Bröker, der damals zur Aufstiegsmannschaft der Fortunen gehörte.
Worte, die Klein gerne hören wird. Schließlich sind sie Bestätigung für einen Job, der im Profifußball oft vergessen wird. Der Co-Trainer, nicht mehr als ein Hütchenaufsteller, wie einige überraschte Experten aus dem Norden ätzten, als der FC Hansa eine nahezu unbekannte Personalie für die sportliche Direktive anheuerte. „Ich war überrascht, als ich davon hörte, dass er so einen großen Job bei einem Verein wie den FC Hansa annimmt“, sagt Ex-Schützling Bröker.
Nach eigener Aussage reagierte selbst Klein verwundert über das Angebot. Ob er mit einen Anruf von Hansa Rostock gerechnet hatte, als diese sich anschickten, den lange vakanten Posten zu besetzen? „Nicht wirklich, für mich kam das Interesse aus Rostock schon überraschend“, bekennt der 45-Jährige an einem sonnigen Februarnachmittag in einem Büro, das nach reichlich Arbeit aussieht.
Viel Arbeit hatte der neue Mann in letzten Wochen tatsächlich zu erledigen. Ein Turbostart war gefragt. Dieser blieb zwar in der sportlichen Ausbeute aus, dafür wirkte Klein umso verstärkter im Umkreis der Profimannschaft. Seit Anfang Dezember ließ er kaum einen Stein auf dem anderen. Der Trainerwechsel wurde vollzogen, mit Karsten Baumann holte er einen neuen starken Mann an die Seitenlinie, mit dem er im gleichen Jahrgang die Ausbildung zum Fußballlehrer absolviert hatte. Baumann, merkt er an, sei damals Jahrgangsbester gewesen.
Nach dem Trainerwechsel und zwei derben Niederlagen folgte der radikale Umbruch im Kader. Mit Stuff, Blacha, Hahnel und Christiansen verließen vier Stammspieler den Verein, Verträge mit Ergänzungen, denen die sportliche Führung überschaubare Perspektiven auf Einsätze ausgestellt hatte, wurden ebenso aufgelöst. „Es wäre auch unfair gewesen, ihnen nicht die Wahrheit zu sagen, sie im Unklaren zu lassen“, sagt Klein.
Einer der zum Abgang motivierten Spieler zeigte sich jedenfalls beeindruckt von der offenen Art: „Die Art und Weise, die Offenheit des Gespräches, waren sehr in Ordnung. Das hatte ich von ihm nach den ersten guten Eindrücken aber auch erwartet“, richtet einer der Abgänge gegenüber BLOG-TRIFFT-BALL aus.
Die Abgänge waren dabei nur eine Seite der Medaille. Wie auch schon vor zwei Jahren, als Uwe Vester die Geschicke an der Warnow übernommen hatte, veranstalteten die Mecklenburger ein Spielercasting, in dem fast täglich neue Probespieler eingeladen wurden. Verpflichtet wurden bis zum Ende des Transferfensters sieben Spieler. Zugänge, die sitzen müssen. Und zwar sofort – ansonsten könnten es für lange Zeit die letzten Drittliga-Neuverpflichtungen gewesen sein.
Vielen Fans ist das bewusst. Und Zweifel über den Ex-Zweitligaspieler, dem vermeintlichen Hütchenaufsteller, der im Sommer die Entscheidung traf, sich auf die erste Reihe zu konzentrieren und ein Angebot aus der Dritten Liga als Co-Trainer abzulehnen, waren durchaus spürbar. Immerhin, so der Grundgedanke der Skepsis, sei es seine erste Bewährungsprobe in diesem heiklen Handwerk.
Richtig begründet waren diese Befürchtungen in letzter Konstanz nicht. Tatsächlich verrät der Blick nach Düsseldorf, dass Klein bereits dort in Transferhandlungen eingebunden war. Insbesondere während seiner Anfangszeit in klammen Fortuna-Jahren übernahm der 45-Jährige Ex-Zweitligaspieler auch in diesem Metier Aufgaben. „Rückblickend saß ich bestimmt bei 90 Prozent aller Neuverpflichtungen mit am Tisch“, erklärt Klein seine Transferbeteiligungen zu Düsseldorfer Zeiten.
So rückt auch der erste große Rostocker Neuankömmling in ein anderes Licht. Jose-Alex Ikeng, der vor ein paar Jahren noch mit dem Status eines Top-Talents versehen wurde, stand vor einigen Jahren auf dem Wunschzettel des Trainerduos um Norbert Meier.
Auch viele der anderen Neuen hatte sich Uwe Klein bereits vor dem Transferfenster angesehen. Marcel Schuhen, die neue Nummer 1, kannte der Ex-Düsseldorfer von der anderen Rheinseite, Maxi Ahlschwede war in Offenbach aufgefallen. Der Bremer Innenverteidiger Oliver Hüsing geriet dazu durch einen Tipp von Uwe Ehlers, dem eigentlichen Baumann-Assistenten, ins Visier. Einzig über Sabrin Sburlea, den Klein nur aus dem Videostudium kannte, war relativ wenig bekannt.
Klein erinnert sich: „Er war im Video so überzeugend, dass ich anrief und sagte: Wenn du mir das, was auf den Videos zu sehen ist, auf dem Trainingsplatz zeigst, dann bekommst du deine Chance. Und er hat sie genutzt.“ Großes Plus für Sburlea: Er verstand die neue Sprache, war von Beginn an fähig, sich zu verständigen. Neben der Qualität war das die zweite Grundvoraussetzung bei der Spielerakquise.
So wurde der glückliche und letztlich hart verdiente Sieg in Wiesbaden zur ersten kleinen Kür der Transferpolitik, die Improvisationskünste von Vorstand und Hauptsponsor Kurzurlaub.de verlangten. Fünf der zu diesem Zeitpunkt sechs Neuankömmlinge, die ihren Verträge teils vor dem Okay des DFBs zugestimmt hatten, waren gleich von Beginn aufgelaufen.
Dass der Erfolg wichtig war, aber noch lange keine Absolution für den Klassenerhalt darstellt, weiß jeder im Verein. Fast alles kommt nun auf die Klein-Entscheidungen der letzten beiden Monate an. Der Direktor dieser Maßnahmen offenbart dabei frappierende Gemeinsamkeiten mit seinem Vorgänger.
Klein und Vester sind von Ehemaligen stets mit viel Lob bedachte Charaktere, die aus der Unbekanntheit der zweiten Reihe den Schritt nach vorne wagten und sich dabei auf ihre pragmatische Kreativität setzen. Während Vester ein Scoutingsystem mitentwarf, entwickelte sein Nachfolger eine Software für eine effizientere Produktion von Spielanalysen. „Matchtime“ heißt die Anwendung, die Klein auf seinem I-Phone präsentiert, und vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft auf den Markt gebracht wird.
Wie Vester, der mittlerweile in die zweite Reihe zurückgekehrt ist, übernimmt auch Klein mit reichlich Ehrgeiz ein strauchelndes Schiff. Ein vom Misserfolg zerriebener Kahn mit denkbar ungewisser Rettungsperspektive, der momentan wenig an die stolze Kogge des Vereinsemblems erinnert. Ähnlich wie sein Amtsvorgänger muss auch er auf das berühmte „Learning by Doing“ setzen.
Für Klein scheint das alles kein Problem zu sein, für Ausführungen über etwaige Schreckensszenarien lässt er nämlich keinen Platz. Der Mann, der die Verantwortung für das Ende der Hansa-Saison trägt, mag auch nicht von einer für ihn riskanten Mission sprechen. Er sei kein Pessimist, versucht er damit zum Ausdruck zum bringen. „Warum“, fragt er ohne eine Antwort einzufordern, „immer alles negativ sehen und nur den schlechtmöglichen Ausgang erwarten?“
Bundesligaprofi Bröker ist sich jedenfalls bei aller Überraschung in einer Sache ziemlich sicher: „Ich glaube, mit ihm hat der FC Hansa einen Glücksgriff getätigt.“