Hansa vor dem Abstiegskampf-Finale: „Ausgerechnet …“
Der FC Hansa steht vor einem wichtigen Wochenende. Entgegen aller Erwartungen steckt das Team wieder im Abstiegskampf. Läuft es richtig unglücklich, steigt der FC Hansa in die Regionalliga ab. Doch gibt es Hoffnung.
„Ausgerechnet jetzt“, werden sich dieser Tage viele Hansa-Fans denken. Vor nicht einmal zwei Wochen schien der Verein von neuer Hoffnung berauscht. Die Finanznöte wirkten durch den Investoren-Einstieg vorerst gebannt, die dafür notwendige Ausgliederung der Profiabteilung wurde von einer breiten Mitglieder-Mehrheit trotz vorhandener Zweifel abgesegnet. Im Landespokal besiegte Hansa Neustrelitz und alte Pokal-Dämonen, zog nach dreijähriger Abstinenz wieder in den DFB-Pokal ein. Einen Tag später wurde aus der „DKB-Arena“ wieder das alte „Ostseestadion.“ Fans hatten sich das lange gewünscht, anfangs mit Farbbeuteln, später mit kraftvollen Gesängen. Fans jubilierten ob der neuen Zustände, was fehlte, war nur die endgültige Bestätigung des im Winter noch mit Zweifeln behangenen Minimal-Ziels Klassenerhalt, den vor nicht einmal einer Woche noch jeder erwartete. Ausgerechnet gegen Cottbus, einem alten Bundesligagefährten, zerplatzte die allgemeine Jubelstimmung wie eine Seifenblase. Die Bestätigung blieb aus, Hansa kann am Samstagnachmittag um 15.20 abgestiegen sein.
Ausgerechnet in Dresden. Ausgerechnet jetzt.
Die Vorzeichen könnten für den Klassenerhalt aus eigener Kraft kaum schlechter stehen. Dynamo Dresden vermeldet aufsteigende Form, siegte zuletzt dreimal. Gegen den Erzrivalen aus den frühen Neunzigern könnte nun sogar noch Platz sechs erreicht werden. Dass Publikumsliebling Benjamin Kirsten seinen Abschied geben wird und unbedingt gewinnen will – es macht es für den FC Hansa nicht leichter. Dass das Dresdner Stadion ausverkauft sein wird – schon gar nicht. Dazu glückte den Dynamos unter Woche mit der Verpflichtung von Fontuna-Legende Andreas Lambertz ein Coup, der die Marschroute für die nächste Saison vorgibt. Aufsteigen.
Es ist jedoch nicht nur der Gegner, der offenbart, in welche Malaise sich der FC Hansa erneut gebracht hat. In Dresden muss Hansa ohne die Führungsspieler Weidlich und Ruprecht auskommen, der so wichtige Mittelfeld-Staubsauger Kofler fällt bereits seit Wochen aus. Zudem ist die Mannschaft nach erfolgreichen Wochen gefühlt ziemlich plötzlich und somit auch überraschend in diese bedrohliche Situation geschlittert. → Henning Thrien, ein junger Sportpsychologe, sagt: „Das spielt eine sehr große Rolle. Menschen funktionieren immer besser, wenn sie sich in bekannten „Settings“ wiederfinden. Plötzlich auftretende Situationen wirken bedrohlicher, da erstmal unklar scheint, was nun zu tun ist.“
Der FC Hansa weiß trotz der neuen Umstände genau, was zu tun ist. Die Spieler wussten es schon am Wochenende, als nach dem Spiel bedrückte Gesichter erstmals die neuformierte Tabelle studierten. Aber kann es die Mannschaft umsetzen? Zumal Kapitän und Vizekapitän aufgrund von Sperre und Verletzung aussetzen müssen.
Das Duo um Trainer Karsten Baumann und dem Sportlichen Leiter Uwe Klein wird nun jedenfalls mit aller Härte mit der Hypothek der Hinrunde konfrontiert. Die Punkteausbeute im Fußballjahr 2015 ist manierlich, obwohl der Verein schon seit einem Monat wieder häufiger verliert als gewinnt. Am Wochenende gelang selbst gegen eine bessere B-Elf von Energie Cottbus kein entscheidender Durchbruch. Energie-Verantwortliche sollen sich ob des uninspirierten Hansa-Auftritts überrascht gegeben haben. Sie hatten einen forscheren Auftritt der Gastgeber erwartet. Trotz des Leistungsabfalls im Vergleich zum starken Frühjahr – steigt Hansa ab, ist es nicht das Verschulden von Baumann und Klein. Dürftige Serien, so eine, wie Hansa sie gerade durchlebt – sie gehören zur Entwicklung einer jeden Mannschaft. Das die Hansa-Elf sie gerade jetzt erleiden muss, ist bitter – dass kein größeres Schutzpolster den Leistungsabfall abfedert, verantworten andere Personen.
Hört man sich in Rostock um, sind aber auch positive Tendenzen zu vernehmen. „Die Mannschaft ist im Gegenteil zur Hinrunde eine Mannschaft. Auch in dieser Lage“, verraten Stimmen aus dem Umkreis des Teams. Vereinschef Michael Dahlmann soll sogar damit imponieren, mit welcher Ruhe er gegenüber dem Team auftritt, wie sehr er den Spielern positiv zuredet. „Der ganze Verein steht hinter den Spielern und der Mannschaft, er gibt sich geschlossen“, heißt es demnach weiter.
Dennoch muss der Verein trotz Zusammenhalts dem Anschein nach zum wiederholten Male auf die Unterstützung anderer bauen. Während in finanziellen Belangen Personen aus dem Umfeld des Vereins intervenierten und die Kogge seetüchtig hielten, zunächst durch Sponsor „Kurzurlaub.de“ mit breiter Unterstützung, dann Musiker Marteria und Hansa-Legende Stefan Beinlich per Benefizspiel, zuletzt Investor Rolf Elgeti, ist der der Klub dieses Mal möglicherweise auf ganz und gar fremde Hilfestellung angewiesen. Hansa-Fans und Verantwortliche blicken in jedem Fall nervös nach Erfurt. Holt der Gastgeber am Samstagnachmittag zumindest einen Punkt, ist der FC Hansa vollkommen unabhängig vom eigenen Resultat gerettet. Dass Zweitliga-Absteiger Aalen vielleicht durchrutscht – was erst in einer Woche final beschieden wird – könnte im Notfall der letzte Strohhalm sein.
In Thüringen weiß man derweil um die große Verantwortung, wie Pressesprecher Wilfried Mohren ausrichtet: „Wir sind uns bewusst, dass wir dem FC Hansa und allen Teams im Abstiegskampf eine gute Leistung schuldig sind. Wir wollen den Abstiegskampf nicht beeinflussen, die Spieler werden sich reinhängen. Sommerfußball wird es nicht geben.“
Den Thüringern geht es dabei nicht nur um Fairness, sondern auch um die Beendigung der eigenen Krise. Seit Februar hat Rot-Weiß nicht gewonnen, auch Trainer-Talent Preußer wartet noch auf seinen ersten Sieg. Vor der langen Pause will man sich in Erfurt mit den Fans und zumindest teilweise auch mit der desaströsen Rückrunde aussöhnen. Dafür werden alle möglichen Register gezogen, wie Mohren noch einmal deutlich macht: „Unser Trainer wird eine A-Elf aufstellen. Egal ob jung oder alt – es wird die beste Mannschaft spielen.“ Ebenfalls aus Rostocker Sicht hoffnungsspendend: In den letzten Wochen verzeichneten die Erfurter einen leichten Aufwärtstrend.
Ausgerechnet Erfurt. Wenn der FC Hansa in Dresden aus eigener Kraft scheitert, und sich alle in Hansa-Wolle gestülpte Hälse zum Steigerwald wenden, wird in jedem Fall eine runde Geschichte erzählt. Baumanns mutige Mission Klassenhalt begann nämlich in Erfurt, im grauen Hansa-Dezember. Rostock verlor damals bitterlich mit 1:4, spielte wie ein sicherer Absteiger. Nun könnte Erfurt nicht nur den Startpunkt, sondern auch die Ziellinie einer turbulenten Hansa-Halbserie markieren. Auch wenn sich aus dem „sicheren Absteiger“ längst eine solide Drittligamannschaft entwickelt hat.