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Taktikvorschau Teil II: Volle Power gegen das Schweizer Taschenmesser

Duisburg gegen Kiel – es ist vermeintlich das Spiel zweier Gegensätze: In unserer zweiten Taktikvorschau geben wir einen Einblick auf die Fähigkeiten der beiden Mannschaften, auf die Stärken und Schwächen. Die Formkurve verspricht: Beide Teams treffen in Topform aufeinander.

Foto: calcio-culinaria.de

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Der Erste gegen den Zweiten. Die beste Offensive gegen die beste Defensive. Schaut man sich die Werte der aktuellen Jahrestabelle an – die Superlative wären vor dem richtungsweisenden Duell zwischen dem MSV Duisburg und Holstein noch eine Stufe größer, als sie in Anbetracht der aktuellen Tabellenkonstellation sowieso schon sind. Es ist ein Gipfeltreffen, das Duell der besten Drittligisten im Jahr 2015. Selbst Arminia Bielefeld folgt in diesem Tableau mit respektablem Abstand. Fünf Punkte hat die Arminia auf Duisburg verloren, sogar sieben auf die Kieler Holstein.

Das zeigt auch: Die Saisonverläufe der beiden Top-Mannschaften im laufenden Jahr ähneln sich, sie verlaufen mit einigen Schwankungen simultan. Denn so wie Kiel mit einigen Ernüchterungen in die Saison startete, hatte man auch in Duisburg  zunächst mit Zweifeln zu kämpfen, ehe der Knote platzte. Vereinsblogger Ralf Koss erzählt: „Zweifel waren da. Wir haben sehr inkonstant gespielt, der Fußball war holprig. Gewonnen haben wir vor allem durch Einzelaktionen und Standards. Nur selten brachten Spielzüge Torgefahr.“

Was aus der Aussage des Verantwortlichen für den „Zebrastreifenblog“ herauszulesen ist: Er spricht in der Vergangenheitsform. Aus dem wackeligen Konstrukt ist in Duisburg eine geschliffene Einheit geworden, die letzten fünf Spiele hat der MSV allesamt gewonnen.

Die Gründe für die starke Rückrunde werden als vielschichtig beschrieben. Cheftrainer Gino Lettieri gilt zum einen als Stratege mit klaren, aber auch komplizierten Vorstellungen. Überfordert seien einige Spieler zu Beginn mit den Marschrouten des Fußballehrers gewesen, urteilt Koss heute. Die Winterpause veränderte demnach das Duisburger Spiel, weil Lettieri Zeit bekam, seine taktischen Grundzüge weiter anzupassen und darüber hinaus ein altes und ein neues Gesicht zur Mannschaft stießen. Abwehrchef Bajic war in der Hinrunde lange erkrankt, konnte zunächst nur sporadisch eingesetzt werden. Seit der Winterpause ist er voll dabei und sorgte dafür, dass die MSV-Abwehr auch auswärts sicherer steht.

Für die Offensive fand Manager Ivica Grilic mit Martin Dausch den vielleicht wichtigsten Spieler im aktuellen Duisburger System. Das lässt sich zum einen an den guten Zahlen ablesen, die der Neuling mit fünf Toren und vier Vorlagen bisher auflegte, aber auch an den Aussagen von Duisburg-Experte Koss: „Ein Spieler wie Dausch hat uns  vorher gefehlt. Er treibt an, geht voran. Wenn es nicht läuft, ergreift er die Initiative.“

Die Duisburger Winterverpflichtung ist auch einer der Hauptgründe, warum Kiel-Trainer Karsten Neitzel mit großem Respekt das Duisburger Angriffspotenzial bewertet: „Sie können sehr variabel spielen und brauchen nicht viele Chancen. Aus dem Mittelfeld kommt viel Druck“, so Neitzel gegenüber BLOG-TRIFFT-BALL.

In der Tat können die Duisburger auf fast alle erdenklichen Arten Torgefahr kreieren. Lange Bälle auf Sturmtank Onuegbu sind ein probates Mittel, da der Nigerinaner den meisten Gegenspielern im direkten Aufeinandertreffen überlegen ist. So schlug Außenverteidiger Kevin Wolze gegen Preußen Münster einen dieser langen Bälle direkt in den Lauf des Stürmers, der seinen Gegenspieler mit fairen Mittel aus dem Weg drängelte und dann locker einschob. Die gleiche Szene eine Woche später gegen Erfurt: Dieses Mal der lange Schlag von Steffen Bohl, dem Rechtsverteidiger, wieder Zweikampfgewinn Onuegbu – Tor.

Was so einfach aussieht ist dabei nur ein prägendes Stilmittel aus dem Repertoire der Zebras. Duisburg setzt zudem auf Flanken, die dank zweier starker Außenverteidiger sowohl aus dem Halbfeld als auch von der Grundlinie präzise in die Gefahrenzone fliegen. Adressiert sind diese Hereingaben nicht nur an Onuegbu, sondern auch an die aufrückenden Mittelfeldspieler. Grote und Janjic schlossen bereits mehrfach technisch anspruchsvoll nach Flanken ab.

Außerdem sind die Zebras im Spielaufbau nicht mehr von Konter- und Umschaltsituationen abhängig. Durch den Lenker Dausch läuft das Spiel strukturierter, Kombinationen führten bei tiefstehenden Gegnern zuletzt immer häufiger in die Gefahrenzone. Blogger Koss schwärmt: „Es sieht faszinierend aus, wenn sich die Duisburger Mannschaft als großer Spielkörper über den Platz bewegt.“ Garniert wird die breite Offensive durch die stete Gefahr bei ruhenden Bällen, insbesondere die direkten Freistöße von Abwehrmann Wolze stellen eine latente Bedrohung dar. Insgesamt erscheint das Duisburger Angriffsspiel wie ein Schweizer Taschenmesser. Statt nur einer scharfen Klinge stehen dem Meidericher Sportverein gleich mehrere Werkzeuge zur Verfügung, um sich hochkarätige Torchancen zu erspielen.

Etwas anders funktioniert dagegen die Angriffsabteilung der Kieler Sportvereinigung. Viel läuft über Arbeit und Engagement, Torerfolge sind nicht selten die Produkte aus puren Energieleistungen. Dass das nicht immer schön aussieht – in Anbetracht der Punkteausbeute ist das fast geschenkt. Beim Spiel gegen Dynamo Dresden in der Startphase der Rückrunde erlebten die Fans übrigens ein Musterbeispiel für einen Kieler Powerauftritt mit wenig Fortune.

Früh wurde der Gegner seines Ballbesitzes beraubt, durch kluge Pässe und den austarierten Bewegungsabläufen bekamen die „Störche“ immer wieder Platz und somit auch Chancen im Strafraum. Der Haken: Viele Schüsse wurden geblockt, Kopfballchancen leichtfertig vergeben und dazu gab es zu viele Flanken, die an den Köpfen der Gegenspieler versiegten. Phasenweise drosch die Neitzel-Elf Flankenbälle jeglicher Art im Minutentakt in den Dynamo-Strafraum. Das Kiel am Ende gewann, lag letztendlich an einem krummen Stochertor.

Dass die KSV auch anders kann, bewiesen sie zuletzt regelmäßiger. Als Highlight kann dabei der Siegtreffer gegen den Chemnitzer FC herangezogen werden, als man eine Deckung unter der Regie von Maik Kegel mit der rasiermesserscharfen Klinge sezierte. Der Haken: Es kommt noch immer zu selten vor. Exemplarischer sind Tore wie der Doppelpack von Manuel Schäffler am vergangenen Wochenende: Bälle, die mit letzter Entschlossenheit ins Tor gegrätscht werden oder auch ein glücklicher, aber ebenso hart erarbeiteter Abpraller, der mit Dusel vom Stürmer-Schienbein über den Torhüter hinweg ins Tor fällt.

Was man den Kielern bei vielen vergebenen Chancen oder ungenügend ausgespielten Kontersituationen nicht vorwerfen kann: Die Basics sind einstudiert, die Mannschaft spielt diszipliniert. Kaum ein anderes Drittliga-Team perfektioniert so ausgereift die Verbindung zwischen taktischem Geschick und körperlicher Härte.

Jenes Muster beschreibt auch das Kieler Prunkstück – die beste Defensive der Liga. Kein Team meistert es so erfolgreich, den Gegnern den Spaß am Spiel zu rauben. Osnabrück-Stürmer Addy Menga bekannte zur Jahreswende: „Kein Team spielt härter, es ist denkbar unangenehm.“ Gefährlich wird es deshalb meistens nicht aufgrund von Systemfehlern, sondern in der Folge von individuellen Aussetzern. Die werden jedoch zumeist von Torhüter Kronholm entschärft.

Anfälliger treten dagegen die Duisburger auf. Besonders wenn der Ball nicht am Boden ist, sondern sich in der Luft bewegt, haben die Zebras mit Problemen zu kämpfen. Gegen Erfurt entstanden drei gefährliche Situationen durch hohe Zuspiele in die Mitte. Selbiges war schon beim schwachen 1:1 in Osnabrück zu beobachten. Gleich mehrmals spielten die Gastgeber dabei unprätentiös über das Zentrum, fast immer wurde es in der Folge für die blau-weiße Hintermannschaft brenzlig.

Zudem hat der MSV beide Spitzenspiele der Rückrunde verloren. Sowohl beim 2:4 in Stuttgart als auch beim identischen Resultat in Bielefeld brachte sich die Lettieri-Elf durch schwaches Verhalten bei Standardsituationen in die Bredouille. Vier der acht Gegentore fielen direkt in der Folge von ruhenden Bällen.

Eine weitere Schwäche deutet Duisburg-Blogger Koss an: „Wenn wir in Führung gehen, verlieren wir noch viel zu oft die Kontrolle. Wir lassen den Gegner zurück ins Spiel kommen.“ Gino Lettieri bestätigte diesen Eindruck vor ein paar Wochen nach dem Spiel gegen Cottbus, als man sich kurz vor dem Ende das 2:3 per Freistoßflanke einhandelte, im TV-Interview: „Wir machen es immer wieder unnötig spannend. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht wollen wir damit die Zuschauer anlocken.“

Alles andere als ein spannendes Spiel würde auch am Samstag überraschen. Zu sehr scheinen sich die Stärken und Schwächen gegenseitig auszugleichen. Blogger Ralf Koss erwartet jedenfalls eine sehr umkämpfte Partie mit unterhaltsamen Ende: „Ich kann mir vorstellen, dass es zunächst sehr taktisch wird. Dann aber werden beide Teams ihr Visier öffnen.“

Karsten Neitzel rechnet derweil mit stürmischen Gastgebern: „Sie spielen vor einer großen Kulisse. Vor der wollen sie den Aufstieg perfekt machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie auf ein Remis abzielen.“ Personelle Experimente schloss Neitzel übrigens bereits im Vorfeld aus: „Ich sehe keinen Grund, etwas zu verändern. Das würde die Jungs verunsichern.“

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Die Duelle des Spiels

Tim Siedschlag und Rafael Kazior gegen Steffen Bohl und Kevin Wolze: Duisburgs Außenverteidiger sind immer wieder für offensive Schlüsselszenen gut. Ist Duisburg im Ballbesitz, erfährt das Mittelfeld spielstarke Unterstützung aus der Hintermannschaft, die Formation kann sich gewissermaßen in die Breite auffächern. Die Unterstützung begann in den Vorwochen übrigens schon mit Bällen aus der eigenen Hälfte, die Onuegbu anschließend veredelte. Wie gut Herrmann und Kohlmann auch verteidigen – ohne die Unterstützung aus dem Mittelfeld könnte es ziemlich ungemütlich werden. Auch deshalb ist zu erwarten, dass Neitzel Patrick Breitkreuz aus der Startelf herausrotiert.

Onuegbu gegen die Kieler Innenverteidigung: Die letzten Wochen des Keilstürmers waren imposant. Gegen körperlich unterlegene Gegenspieler hatte er zuletzt leichtes Spiel. Bei Holstein Kiel können weder Krause noch Wahl physisch mithalten – aber sie haben den Kopf, um den Nigerianer mit Cleverness aus dem Spiel zu nehmen.

Schäffler gegen Bajic: Wenn Duisburg strauchelte, dann über die Mitte. Schäffler hat alle Anlagen um sich gegen seinen Ex-Verein durchzusetzen. Nur muss er diese Chancen nutzen.

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Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.