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Hansa vor dem Trainingsauftakt: Auferstehung?

Der FC Hansa startet mal wieder mit viel Hoffnung in eine neue Drittligaepisode. Viele Spieler verließen den Klub, wenige Stammkräfte blieben. Die Neuzugänge klingen aber in vielen Ohren gut. BLOG-TRIFFT-BALL blickt voraus und bringt dabei Kultfigur Barney Stinson und Lew Tolstoi mit dem FC Hansa zusammen.

Foto: hammoniaview.de

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Wie genial der russische Schriftsteller Lew Tolstoi vor über einem Jahrhundert seine Bücher schrieb, verrät bereits die erste Seite in seines großartigen Werkes „Auferstehung.“ Wenig ausschweifend, aber umso präziser wird zum Auftakt gegen die Menschheit gewettert, die alles dafür täte, die Erde zu verunstalten. Er schreibt über das Zerstören der Natur durch immer wieder neue Bauten, das Verjagen der Tiere und die allgemeine Übersiedlung auf dichtem Raum, weit bevor diese Themen zum Zentrum von globalen Konferenzen im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert wurden. Tolstoi braucht für all das, was heute mehr denn je Realität ist, nur einen wunderschönen Satz, schon dann stellt er fest: Der Frühling kehrt trotz all der menschlichen Frevel Jahr für Jahr in seiner schönsten Blüte zurück.

Mit etwas Fantasie kann man dieses Muster auch auf den FC Hansa Rostock projizieren. Zwar hat der Verein nicht den Barnsdorfer Wald gerodet, um sein Trainings-Refugium am Waldessaum auszudehnen, dafür aber planierte der Fußballklub in den vergangenen Jahren in aller Regelmäßigkeit die Träume und Wünsche seiner Fans. Trieb teilweise übles Schindluder, stand deshalb gleich mehrmals vor dem finalen Ruin. Zu Recht fragt Hansa-Ikone Steffen Baumgart im bald erscheinenden BTB-Interview: „Was ist in Rostock in den letzten drei Jahren überhaupt besser geworden?“

Keinen Monat nach der bittersten, am Ende nur mit Erfurter Schützenhilfe überstandenen Seuchensaison, regiert rund um den Verein wieder die Zuversicht. Wieder einmal, gegen viele Widerstände. Trotz all der Rückschläge und ungewollten Versuche des FC Hansa, den Fußball-Frühling für immer aus der Stadt zu verdrängen, hat sich die Vorfreude auf das kommende Spieljahr rasch eingestellt.

Die alles entscheidende Frage: Wird die Mannschaft, die heute in die Sommervorbereitung startet, den wieder einmal neuaufkeimenden Erwartungen gerecht?

Beantworten kann man diese Frage noch nicht. Die Mannschaft ist wie in den Vorjahren eine große Unbekannte, weil viele Stammkräfte das Team verließen. Mit Hüsing, Sumusalo, Ruprecht, Weidlich und Savran verabschiedeten sich alleine fünf Spieler aus der ersten Elf. Die sportliche Lücke ist immens, die in der Kabine noch größer. Trennten sich doch mit Weidlich, Ruprecht und Savran sowohl der Kapitän als auch die beiden Vizekapitäne  von der Mannschaft. Es war der ernüchternde Auftakt der Mannschaftsplanungen. Der Verein versuchte vergeblich, alle drei Spieler zu halten. Am Ende ging einer nach dem anderen.

Besonders kompliziert ist das, weil in der Hansa-Kabine ein Vakuum entstanden ist. Einen Kern, den es seit Jahren das erste Mal im besten Fußballalter gegeben hätte; den man mit wenigen Handgriffen ergänzen könnte, gibt es in diesem Sinne nicht mehr. Karsten Baumanns vermeintlich größter Vorteil, aus den Erfahrungen seiner ersten sechs Monate die Mannschaft fein zu justieren, ist durch das stark veränderte Mannschaftsbild nicht nur etwas verpufft. Er startet zwar nicht bei null, aber doch weit unter der bestmöglichen Prozentzahl.

Stören tut das wenige. Zu gut lesen sich die Neuzugänge, die sich auch aus ehemals höherklassigen Spielermaterial rekrutieren. Insbesondere der Deal um Tobias Jänicke, der trotz ligaweiten Interesses  zurückkehrte, ließ so manchen Hansa-Fan bereits früh die wichtigen Abgänge vergessen lassen. Und in der Tat: Spieler wie Erdmann, Henn und Dorda, die gemeinsam mit dem Regionalliga-Spitzenverteidiger Hoffmann um die Plätze in der Viererkette streiten, klingen überwiegend vielversprechend. Genauso wie die Youngster Baumgarten und Gottschling im Mittelfeld, bei denen das Bauchgefühl passt.

Die Crux: Ebenso verheißend klangen die Neuverpflichtungen im Vorjahr unter → Peter Vollmann. Auch diese setzten sich aus höherklassig erprobten Spielern zusammen, machten frei nach dem stinsonresken Motto „Neu ist immer besser“ Hoffnung auf eine starke Saison.

Das Gegenteil war der Fall, weil es dem Baumann-Vorgänger nicht gelang, eine Einheit zu formieren. Warum der vermeintliche Königstransfer Kai Schwertfeger so floppte, wird aus Ex-Spieler-Kreisen beispielsweise genau damit begründet. Schwertfeger soll demnach ob seines Erfahrungsschatzes früh Ansprüche in der Kabine erhoben haben, eckte damit aber bei vielen Kollegen an. Schwertfeger, der eigentlich als feiner Fußballer gilt, wie aus Trainerkreisen immer wieder zu hören ist, schien unter dem mangelnden Standing zu leiden und rasant an Form zu verlieren.

Wie wichtig ein homogenes Teamgebilde besonders in Liga Drei ist, bewiesen Teams wie Darmstadt und Kiel in den letzten beiden Spielzeiten. Zudem sagte Wieder-Hanseat Jänicke vor wenigen Monaten im BTB-Interview  über den letzten Hansa-Aufstieg: „Wir sind vor allem aufgestiegen, weil wir ein echtes Kollektiv waren.“

Vollmann scheiterte somit im letzten Jahr nicht am fehlenden Talent in der Mannschaft, sondern vielmehr an der ausgebliebenen der Entwicklung zu einer Truppe. Die Vorzeichen, unter denen Vollmann anfangen musste, ähneln dabei den heutigen. Auch damals wurde die Mannschaft – damals gewollt – komplett entkernt. Das Vakuum, das Leo Haas und Milorad Pekovic hinterließen, konnte trotz prominenter Versuche nicht gefüllt werden. Die Folgen äußerten sich bekanntlich existenzbedrohlich.

Dass Baumann an der Teambildung scheitern könnte, glauben zumindest die Ex-Spieler nicht. Halil Savran schwärmte kurz nach seinem Abgang in Richtung Osnabrück: „Ich hoffe, niemandem ist entgangen, was Baumann in Sachen Auf- und Ausrichtung der Mannschaft geleistet hat.“

Dass es der Sportlichen Führung in Rostock bereits einmal gelungen ist, eine geschundene und teilweise wenig geschlossene Mannschaft in das Format eines echten „Teams“ zu gießen, gibt Selbstvertrauen und Sicherheit für die kommende Aufgabe. Durch die gelungene Mission Klassenerhalt gewannen Baumann und der Sportliche Leiter Uwe Klein zudem Kredit bei Fans und Verein, Vorschusslorbeeren sozusagen. Die ein Andreas Bergmann beispielsweise nicht hatte, weshalb schon bei der ersten Krise beinahe Köpfe zu rollen drohten.

Baumann darf, so ist der Eindruck, auch dank eines gewachsenen Vereinschefs durchschnittlich starten, anfangs auch häufiger verlieren. Was kein wünschenswerter, aber ein normaler Prozess bei der Entwicklung einer neuen Mannschaft wäre. Das ist viel Wert und kompensiert bereits den Nachteil, ein neues Gerüst instruieren zu müssen.

Umso spannender ist ob dieser Aufgabe die Sommervorbereitung. Schon am Samstagnachmittag beim Testspiel gegen den Rostocker FC am Damerower Weg (→ Tickets), der dort sein 120-jähriges Jubiläum mit einem bunten Fußballfest feiert, werden sich trotz eines noch nicht final gefüllten Kaders erste Erkenntnisse einstellen. Wie sprechen die Spieler miteinander, welchen Ehrgeiz zeigen sie im ersten Test – Antworten auf diese Fragen könnten sich bereits am dritten Tag der Sommervorbereitung andeuten. RFC-Präsident Nils Greese kündigt nämlich an: „Wir werden sie fordern.“

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Auch die Tage der nach dem ersten Test sollte man als Hansa-Anhänger genau im Blick haben. Wie verhaltensauffällig ist der in Dresden suspendierte Erdmann im Tagesgeschäft wirklich, in welcher Verfassung tritt Publikumsliebling Ziemer auf – und spielt Schwertfeger auf einmal den Fußball, den er eigentlich spielen kann? Auch wenn gute bis sehr gute Führungsfiguren gingen – der Umbruch ist auch die Chance für  einen Spieler, der im letzten Jahr nicht glücklich wurde.

→ Halil Savran, der baldige Konkurrent, macht seinen Ex-Anhängern nochmals Mut. Karsten Baumann sei ein guter Fang, meint er mit Nachdruck. Dass sich Abgänge nach all den planierten Hoffnungen der letzten beiden Jahre so positiv über den Verein und Ex-Trainer äußern, ist auch eine neue Facette. Ein warmer, gern mitgenommener Rückenwind.

Der Frühling hat sich wieder einmal klangheimlich und frei nach Tolstoi in die Hansestadt geschlichen. Ob der Herbst dieses Mal länger auf sich warten lässt oder vielleicht ganz ausbleibt, wird vermutlich bereits weit vor dem ersten Saisonspiel entschieden.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.