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Jörg Franke: „Ich habe die Katastrophe kommen sehen“

Als neuer Chefscout kehrt mit Jörg Franke ein alter Bekannter zurück an die Lohmühle. Bereits von 2009 bis 2012 war der 56-Jährige als Scout und Teammanager beim VfB Lübeck tätig. Wir sprachen mit Franke, der derzeit auch noch den ASV Bergedorf trainiert, über eben diese Doppelbelastung, seine Vergangenheit beim VfB und die Gründe, nach Lübeck zurückzukehren.

Foto: Christoph Kugel / objectivo

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Herr Franke, sind Sie einer Doppelrolle als Trainer des ASV Bergedorf und Chefscout des VfB Lübeck gewachsen?
Deswegen mache ich ja beide Jobs.

Sie waren Manager, Teammanager, Trainer und nun wieder Scout. Fällt es Ihnen leicht, zwischen den Tätigkeitsfeldern zu wechseln?
Im Grunde haben ja alle Tätigkeiten mit Fußball zu tun. Außerdem habe ich mittlerweile ein biblisches Fußballalter erreicht, da verschwimmen schon mal die Themen.

Was hat Sie an einer Rückkehr nach Lübeck gereizt?
In erster Linie die aktiven Menschen vor Ort, angefangen beim Trainerteam und Sportvorstand bis zum Aufsichtsrat und der Mannschaft. Seit Jahren bin ich mit den meisten Grün-Weißen befreundet. Dazu kommt die sportliche Herausforderung in der Regionalliga mit Perspektive. Und die „geile Lohmühle“ mit den tollen Fans, von denen ich auch noch eine Menge kenne.

Was halten Sie von dem Team, das der VfB zusammen hat, und wo sehen Sie in ihrer neuen Funktion Handlungsbedarf?

Das gesamte Team hat nach der zweiten Insolvenz überragende Arbeit geleistet. Quasi aus dem Nichts haben sie eine Mannschaft geformt, welche ungeschlagen die SH-Liga überrannt hat. In der Regionalliga hat das Team als Aufsteiger einen sensationellen 7. Rang belegt und befindet sich in der ersten DFB-Pokalrunde. Mehr geht nicht. Wer die Spiele der Mannschaft beobachtet hat, musste feststellen, dass wir im spielerischen Bereich noch zulegen müssen. Hier sehe ich den angesprochenen Handlungsbedarf und schaue mich auf dem Markt um.

Im Jahr 2009 kamen Sie nach der ersten Insolvenz nach Lübeck. Wie sehr haben sich die Dinge heute verändert?
Es hat sich vor allem im Funktionärsbereich mit dem Aufsichtsrat und Vorstand einiges getan. Hier arbeiten jetzt Leute, die voll in der Arbeit für den VfB aufgehen und das auch intensiv vorleben. Sie sind authentisch, kompetent und vor allem nicht beratungsresistent. Das gleiche gilt für den Trainerbereich.

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Sie strichen in der laufenden Saison 2011/12, ein gutes halbes Jahr vor der zweiten Insolvenz, in Lübeck die Segel. Haben Sie die Katastrophe kommen sehen?
Ich habe die sportliche Katastrophe kommen sehen. Mit der Verpflichtung von Yildirim als Trainer, der von Rot-Weiss Essen II aus der Landesliga kam, und Ingo Popp als Sportdirektor war ich überhaupt nicht einverstanden. Mein Konzept sah den jetzigen Coach Denny Skwierczynski mit Wolf Müller als Co-Trainer vor, sowie meine Wenigkeit als Manager. Der damalige Vorstand hat völlig beratungsresistent auf meinen Vorschlag reagiert und mich deswegen sogar eine Woche suspendiert. Das Ende kennen wir ja.

Sportlich lief es während Ihrer Zeit beim VfB längst nicht so schlecht wie finanziell. Ärgern Sie die damaligen Begleitumstände?
Unbedingt. Wir hatten trotz relativ geringer finanzieller Mittel eine sehr gute Mannschaft beisammen und haben damit teilweise um den Aufstieg mitgespielt. Wir sind am Ende der Saison sogar vor RB Leipzig gelandet.

In Lübeck verpassten Sie nach ihrem Rücktritt den Abstieg, in Norderstedt 2013 notgedrungen den Aufstieg. Wie sehr schmerzt es Sie, bei Zweitem nicht dabei gewesen zu sein?
Ich war beim letzten Relegationsspiel zur Regio persönlich vor Ort und das war einerseits eine meiner schwärzesten Stunden. Ich war tieftraurig weil ich nicht mehr dazugehörte. Anderseits war ich aber auch stolz, weil ich die Mannschaft ja entscheidend mitgestaltet hatte.

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Norderstedt und Lübeck haben die Saison als Tabellennachbar abgeschlossen. Eine Momentaufnahme oder sind die Klubs mittlerweile auf Augenhöhe?
Die Platzierungen sprechen eine deutliche Sprache. Beide Teams sind sportlich auf Augenhöhe. Ich sehe aber im Moment den VfB aufgrund des Stadions, der Tradition und natürlich der großen Fangemeinde noch vorne.

Der VfB Lübeck will zukünftig auf Spieler aus dem Umland setzen, Sie sind ausgewiesener Experte für den Hamburger Fußball. Kollidieren hier die Pläne oder lässt sich das unter einen Hut bringen?
Darin sehe ich kein wirkliches Problem. Wenn talentierte Hamburger Jungs für den VfB in Frage kommen, werde ich diese ansprechen und vom VfB zu überzeugen versuchen. Klar stehen wir im Wettbewerb mit den Hamburger Regiovereinen, aber das ist doch völlig ok.

In Lübeck setzt man mit den „Hansekickern“ nun noch gezielter auf den Nachwuchs. Werden Sie auch verstärkt in diesem Bereich tätig sein?
Ich werde mir diesen Bereich demnächst näher anschauen. Bisher bin ich noch nicht dazu gekommen.

Wohin führt der Weg des VfB Lübeck in der nächsten Saison und darüber hinaus?
Wir wollen uns noch weiter in der Regionalliga etablieren und uns möglich auch spielerisch und punktemäßig verbessern. Und die 3. Liga ist dem VfB auch nicht fremd.

Tim Pommerenke