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Die große Transfer- und Kaderanalyse – Teil 4: Holstein Kiel

Längst befinden sich die norddeutschen Drittligisten in der Sommervorbereitung. Zu großen Teilen stehen die Kader, nun gilt es für die Trainer, aus der Rohmasse ein Team zu formen. BLOG-TRIFFT-BALL fällt ein Urteil über Transferaktivitäten und Kaderstand. Teil 4: Holstein Kiel

Foto: calcio-culinaria.de

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Nur durch einen glücklichen Gegentreffer in der Nachspielzeit wurde Holstein Kiel um den verdienten Aufstieg gebracht. Lange brauchten die Schleswig-Holsteiner jedoch nicht, um sich auf die kommende Spielzeit einzustimmen. Mit einigen Kracher-Transfers machten die „Störche“ auf sich aufmerksam, die letztendlich nur ein Ziel vermuten lassen: Kam der Beinahe-Aufstieg im letzten Jahr gänzlich unerwartet, schielt man in Kiel nun mehr denn je auf den Zweitliga-Aufstieg.

Tor: Das Kieler Prunkstück Teil 1. Nicht umsonst wurde Kenneth Kronholm vom „Kicker“ als bester Torhüter der Liga prämiert. Der Deutsch-Amerikaner hält in der Dritten Liga auf Zweitliganiveau, in der Relegation bewies er seine Tauglichkeit für eine höhere Spielklasse, als er gleich mehrfach herausragend parierte. Dass er blieb und nicht verkauft werden musste, spricht für Ambitionen in Kiel. Bitter: Kronholm verletzte sich in der Sommervorbereitung, fällt vier bis sechs Wochen aus und verpasst den Saisonstart. Postiv: Ersatzmann Niklas Jakusch gehört zu den besseren Back-Ups der Liga, war bereits Stammspieler und machte da seine Sache gut. Als neue Nummer 3 wurde Bernd Schipmann aus Gelsenkirchen verpflichtet.

Bedarf: Nicht vorhanden.

Fazit: Niveau gehalten. Mehr war nicht möglich. Selbst der Umstand, dass Kronholm die ersten Spiele verpassen wird, verbaut letztendlich ganz knapp die Bestnote. 9 von 10 Punkten.

→ Zur Kaderanalyse von Hansa Rostock

Innenverteidigung: Die Zukunft von Abwehr-Talent Hauke Wahl ist offen. Eine Vertragsverlängerung scheint ausgeschlossen, ein Transfer in diesem Sommer wäre die letzte Möglichkeit, aus dem Talent wirtschaftlichen Profit zu schlagen. Zweitligist Kaiserslautern baggerte bereits intensiv, konnte sich mit Kiel aber nicht auf die geforderte Ablöse einigen. Wahl-Berater Ziercke sagt: „Ich gehe davon aus, dass Hauke für Holstein Kiel in die Saison gehen wird. Er ist hochmotiviert.“ Die Kieler haben derweil bereits vorgesorgt: Dominik Schmidt war in Münster drei Jahre lang einer der Eckpfeiler in der Viererkette, traf dazu für einen Abwehrspieler häufig. (Acht Tore in 72 Ligaspielen).

Außerdem kam mit → Denis Danso Weidlich der Kapitän des FC Hansa Rostock. Weidlich wurde von Neitzel-Kumpel Andreas Bergmann als Innenverteidiger entdeckt, kann aber gleichzeitig bis auf den Stürmer-Part jede Feldposition drittligareif interpretieren. Selbst wenn Wahl tatsächlich geht, hat die KSV mit dem verbliebenen Abwehrchef Marlon Krause drei hochkarätige Optionen für die Innenverteidigung. Bleibt Wahl oder wird ein Transfererlös noch einmal in die Verteidigung gesteckt, ist ein harter Konkurrenzkampf vorprogrammiert. Mit Manuel Hartmann hat zudem ein Routinier noch ein Jahr Vertrag.

Bedarf: Selbst wenn Wahl wechselt – für etwaige Nöte hat Kiel schon vorgesorgt.

Fazit: Holstein Kiel gab mit Auracher und Gebers zwei Verteidiger ab, holte im Gegenzug zwei deutliche Upgrades. 15 von 15 Punkten.

→ Zur Kadernanalyse vom VfL Osnabrück

Außenverteidigerpositionen: Links: Es deutet sich ein packendes Duell an. Kohlmann gegen Czichos ist der vielleicht spannendste Kampf im ganzen Kiel-Aufgebot. Der eine, Kohlmann, spielte sich in Kiel auf Anhieb in die Mannschaft, trumpfte mit Abgeklärtheit und Erfahrung auf. Trainer Karsten Neitzel bestätigt ihm unlängst das bärenstarke Jahr. Mit Czichos kommt einer der Top-Verteidiger der Liga aus Erfurt. Ungemein torgefährlich und offensivgewandt, dafür nicht so abgeklärt wie Kohlmann, der lange Jahre Zweitliga-Luft schnupperte. Ein besseres Tandem gibt es in Liga Drei nicht.

Rechts: Patrick Herrmann überzeugte im vergangen Jahr erneut durch sein simples Spiel. Viel Einsatz, viel Leidenschaft – maximaler Ertrag und seine Übermacht im Duell Mann gegen Mann. Offensiv fehlt etwas die Power, außerdem ist noch kein Back-Up/Konkurrent im Kader zu finden.

Bedarf: Links steht sattelfest, auf der Rechtsverteidigerposition fehlt Ersatz, falls Hermann sein kraftvolles Spiel mit einer Verletzung bezahlen sollte. Zu Not kann Weidlich einspringen, besser wäre eine Ersatzbesetzung mit Potenzial.

Fazit: Die linke Seite ist ligaweit nur schwer zu übertreffen, rechts fehlt noch Tiefe und offensive Power. 13 von 15 Punkten.

Defensives Mittelfeld: Mikkel Vendelboos überraschender Abgang schmerzt. Der Däne war der Anker im defensiven Mittelfeld, eine Instanz bei Fans und Mannschaft. Sein Verlust wird vielleicht noch auf dem Transfermarkt kompensiert, es besteht allerdings auch die Möglichkeit, dass einer der Jungspunde die Chance ergreift, neben dem gesetzten Maik Kegel einen Platz zu finden. Die Anwärter: Eigengewächs Finn Wirlmann, der im letzten Jahr bereits große Möglichkeiten für die Zukunft erkennen ließ und die Neuerwerbung aus Dortmund, Evans Nyarko. Der ist zwar erst 22, hat aber schon 62 Drittliga-Spiele auf dem Buckel und gilt als sehr talentiert. Für Neitzel ebenso reizvoll: Mit Krause und Weidlich stehen zwei weitere Spieler parat, die im zentralen Mittelfeld aushelfen könnten, um Vendelbo zu ersetzen, sofern das  nicht den Jungspunden gelingen sollt.

Bedarf: Findet sich eine Duplikat von Vendelbo auf dem Markt, wird Kiel bei stimmenden Konditionen zugreifen. Ein Neuzugang würde die letzten Zweifel zwar verstreuen, ist aber nicht zwingend erforderlich.

Fazit: Momentan mit drei bis vier Spielern auf dem ersten Blick dünn besetzt, zusätzliches Personal ließe sich jedoch schnell umschulen. Mit Vendelbo wäre der Mannschaftsteil im Bereich der Bestnote anzusiedeln. Viel hängt ebenfalls davon ab, wie sich die Talente im Konkurrenzkampf beweisen. 13 von 15 Punkten

Offensives Mittelfeld: Der Lotse ging vom Bord – so ähnlich, wie Politikern wie Otto von Bismarck und Helmut Schmidt gedacht wurde, fielen auch die Emotionen für Kapitän Kazior aus. Der Leader wird nicht nur auf dem Platz, sondern auch in der Kabine fehlen. Ebenso verließ Edeljoker Breitkreuz die Förde-Stadt.

Geblieben ist mit Tim „Siedo“ Siedschlag eine absolute und verlässliche Stammkraft, die nun von Milad Salem Konkurrenz bekommt. Salem war noch vor einem Jahr einer der begehrtesten Spieler auf dem Markt, der in Osnabrück aber nicht wie gewollt zurechtkam. Mit Rene Guder tummelt sich zudem ein 20-jähriges Talent im Kader, von dem die Kieler viel Potenzial erwarten. Interessant ist: Kiel hat zwar nicht die große individuelle Power wie andere Klubs, dafür aber unterschiedliche Alternativen, die sich je nach Bedarf einsetzen lassen. Auf der linken Seite hat Manuel Janzer nach dem Lindner-Abgang die besten Karten. Janzer ist auch erst 23, hat aber schon 94mal dritte Liga gespielt und manierliche 15 Tore geschossen, dazu gesellt sich die gleiche Anzahl Assists.

Eine weitere Option für die Offensive ist → Fabian Schnellhardt, der sich den Ruf als großes Talent erarbeitete und in Kiel den Durchbruch schaffen will. Schnellhardt ist besonders dann eine Option, wenn Neitzel das erprobte 4-4-2 auf ein 4-5-1 oder 4-4-1-1 umstellen will. Noch gar nicht in der Offensive beachtet: Allrounder Denis Weidlich. Der kann sowohl auf der Zehn als auch auf den Flügeln eingesetzt werden.

Bedarf: Holstein Kiel hat bereits sechs Spieler für zwei, drei Positionen unter Vertrag. Das sollte genügen. Für Lindner könnte noch Ersatz geholt werden.

Fazit: Einen absoluten Topspieler findet man in diesem Mannschaftsteil nicht, doch haben einige Kieler Kandidaten das Zeug dafür, um sich diesen Status in den kommenden Monaten zu erarbeiten. 11 von 15 Punkten.

→ Zur Kaderanalyse von Werder Bremen II

Angriff: Der Stammsturm um Manuel Schäffler und Marc Heider wird auch im kommenden Jahr die erste Angriffs-Schwadron bilden. Beide Spieler bewiesen im Vorjahr ihre Torgefahr, gerade Schäffler konnte sich nach schwachem Beginn langsam aber sich an der Ostsee etablieren und so zum Leistungsträger aufsteigen. Der Vorteil des Duos: Beide fügen sich dem Kieler Abwehrsystem, verteidigen in erster Front hart mit. Allüren sucht man in der Bewegung nach hinten bei beiden Angreifern vergeblich. Was Schäffler gelang, soll nun auch Saliou Sane gelingen. Die Leihgabe wurde aus Paderborn fest verpflichtet und soll wie Schäffler weiter ins Kieler Konstrukt hineinwachsen. Die Fähigkeiten dazu bescheinigte ihm Neitzel, was durch die Weiterverpflichtung vollends deutlich wurde. Fabian Arndt, ein Talent aus der Jugend, soll dieses Trio ergänzen, was jederzeit zum Quartett modelliert werden kann. Hintergrund: Auch Fabian Schnellhardt kann sich einen Platz im Sturmduo erarbeiten.

Bedarf: Die Kieler scheinen vollzählig. Ein Top-Mann der obersten Kategorie findet sich zwar nicht im Aufgebot, dafür Spieler, die sich komplett der Kieler Mannschafts-Maxime unterordnen.

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Fazit: Teilweise erprobt, in der Tiefe aber mit deutlichen Fragezeichen. 10 von 15.

Trainer: Zunächst einmal die Fakten: Holstein Kiel bot die beste Defensive der Dritten Liga auf. Die Mannschaft, die im Vorjahr nur 1,18 Zähler pro Spiel einfuhr, holte im Folgejahr 1,76 Punkte pro Spiel. Eine beachtliche Entwicklung, die noch beachtlicher wird, wenn man bedenkt, dass Kiel lediglich Neuzugänge in die Startelf warf. Die K-Fraktion mit Kronholm, Kegel und Kohlmann war ein Glücksgriff, zeigte aber auch: Manchmal, und hier kommt die Trainerarbeit ins Spiel,  reichen nur kleine Handgriffe, um ein Spiel komplett zu modelieren. Neitzel hat sich bewiesen, dass es am Ende nicht langte, war mit viel Pech zu erklären. 10 von 10 Punkten.

Transferfazit: Mit Vendelbo und Kazior und gingen zwei unumstrittene Stammkräfte, die Kiel unbedingt gleichwertig ersetzen musste. Womöglich folgt unter den Abgängen noch Hauke Wahl. Das Gespann aus Trainer → Karsten Neitzel und seinem Sportlichen Leiter → Ralf Heskamp parierte aber bereits so, als ob es in der Tat drei Abgänge zu ersetzen hätte. Mit Weidlich, Czichos, Schmidt und Janzer kommen alleine vier Spieler, deren Anspruch es sein muss, immer von Beginn an zu spielen. Weiter Verpflichtungen wie Salem, Nyarko oder Schnellhardt bringen die Perspektive dafür mit. Bereits vor den letzten Bemühungen um Spielerverpflichtungen ist Kiel auf dem Papier besser geworden. Auf fast allen Positionen wird es Schauplätze von Konkurrenzkämpfen geben. Das Kiel im Sturm bisher konservativ arbeitete, ist ein Vertrauenssignal. Die Idee: Umso kreativer das Mittelfeld wird, desto erfolgreicher werden die Stürmer nachziehen. Eine interessante Strategie. Obwohl noch 1-2 Spieler kommen könnten – die Kieler haben sehr vieles sehr richtig gemacht. 5 von 5 Punkten.

Gesamt: 86 von 100 Punkte.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.