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Sechs Fragen, sechs Antworten zu Holstein Kiel

An diesem Wochenende startet die 3. Liga voll durch. Nach den → Kaderchecks nun die offenen Fragen: Bei Holstein Kiel dreht sich vieles um ein Abwehrtalent, zudem bekommt vielleicht der Keeper eine unerwartete Chance. 6 Fragen, 6 Antworten. Der Experte: Kiel-Trainer Karsten Neitzel höchst persönlich.

Foto: calcio-culinaria.de

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Hat Niklas Jakusch Chancen auf den Nummer Posten als Nummer 1?

Es war der erste Verletzungsschock in der Kieler Sommervorbereitung. Torhüter Kenneth Kronholm verletzte sich im Training am Knie, überdehnte Bänder und zog sich eine Kapselverletzung zu. Die erste Ausfall-Prognose: Vier bis sechs Wochen. Seit dem Missgeschick ist zwar erst gut eine Woche vergangen, dennoch scheint sich eine schnellere Rückkehr anzubahnen. Kronholm-Trainer → Karsten Neitzel kann zwar noch keine genau Prognose treffen, sagt aber trotzdem optimistisch: „Der Heilungsverlauf von Kenneth verläuft sehr schnell. Er kommt voran.“

Heißt aber auch: Edel-Reservist Jakusch geht wohlmöglich leer aus, bekommt vielleicht nicht die Bewährungsprobe zum Saison-Auftakt. Dabei wäre es für den 25-Jährigen ohnehin schwer geworden, selbst einen längeren Kronholm-Ausfall auf Dauer für sich auszunutzen. Denn obwohl der langjährige Kieler den Nachweis für gute Leistungen in der Dritten Liga erbringen konnte, ist aufgrund von Kronholms fabelhaftem Vorjahr die Rangfolge auf der Torwartposition fest abgesteckt.

Bleibt die Frage: Was, wenn Jakusch zum Auftakt doch spielt, seine Chance nutzt und brilliert? Neizel gibt sich souverän: „Wir werden uns erst mit diesen Dingen beschäftigen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.“ Zum Abschluss trifft der Erfolgscoach der vergangenen Saison dennoch eine deutliche Aussage – pro Jakusch: „Selbst wenn Kenneth ausfällt, würde mir das keine schlaflosen Nächte bereiten. Ich vertraue voll und ganz auf unsere Keeper.“

Was wird aus Hauke Wahl?

Im letzten Jahr zählte Wahl zu den besten Innenverteidigern der gesamten Dritten Liga. Das Ungewöhnliche: Der junge Mann ist im April erst jugendliche 21-Jahre alt geworden und somit einer der jüngsten Stammverteidiger im deutschen Profifußball. Demnach ist es wenig überraschend, dass gleich mehrere höhere Clubs ihre Fühler an die Förde ausgestreckt haben.

Lange Zeit der Favorit auf die Verpflichtung von Wahl: Der 1. FC Kaiserslautern. Dieser muss sich zumindest ein Jahr gedulden, schließlich verlief der Ablösepoker für die Pfälzer wenig zufriedenstellend. Während ein Wechsel Wahls zu Beginn des Sommers noch als realistisch erschien, haben sich demnach die Vorzeichen gewandelt. Wahl-Berater Nico Ziercke sagt: „Ich rechne damit, dass Hauke für Holstein Kiel die Saison bestreiten wird. Er ist voll motiviert“ Störche-Trainer Neitzel sieht dagegen noch eine andere Perspektive: „Ich gehe davon aus, dass er seinen Vertrag verlängert wird.“

Vielleicht eine Option: Eine Art Gündogan-Modell. Wahl spielt noch unter seinem ersten Profivertrag, eine saftige Gehaltserhöhung plus gleichzeitige Verlängerung um ein Jahr könnte Kiel ein weiteres Jahr mit einem großen Innenverteidigungstalent bescheren, während im nächsten Jahr – vorausgesetzt Kiel steigt nicht auf – noch eine zuvor festgesetzte Ablöse generiert werden könnte. Fakt ist aber auch: Das große Talent muss sich zeitnah gegen bessere Gegenspieler beweisen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist es das letzte Drittliga-Jahr für Wahl.

Wie löst Neitzel den Stau auf den Innenverteidigerpositionen?

Die Neuzugänge Dominik Schmidt (Münster) und Denis Weidlich (Rostock), dazu die im letzten Jahr so starken Wahl und Marlon Krause. Um die Qualität auf der Innenverteidigerposition muss sich bei der KSV Holstein niemand sorgen.

Die Vorbereitung zeigt: Aus dem Vierkampf ist ein Dreikampf geworden. Neitzel beorderte Krause zurück auf die Sechs, dort spielt er bevorzugt an der Seite von Maik Kegel. Im letzten Jahr war es einer der Neitzel-Kniffs, Krause in die Manndeckung zu beordern. Dieser Schritt scheint zumindest auf kurzer Sicht hinfällig.

Bleiben noch drei Spieler in der Verlosung um die zwei verfügbaren Stammplätze. Denis Weidlich, der im letzten Jahr Innenverteidigung, Zehner und Mittelfeldflügel spielte, absolviert bisher die Vorbereitung  zu weiten Teilen im Abwehrzentrum. Neizels Bewertung: „Er macht das sehr ordentlich und gut. Wir sind zufrieden.“ Gleiches gilt aber auch für die Konkurrenten Schmidt und Wahl.

Die Möglichkeit, dass alle drei gleichzeitig spielen, gibt es nur in drei Szenarien. A: Einer der drei Konkurrenten verdrängt Herrmann als Rechtsverteidiger.(Unwahrscheinlich). B: Neitzel wirft sein System um und spielt Dreierkette plus zwei Außenbahnspielern, die im 3-5-2 defensive und offensive Aufgaben wahrnehmen, namentlich zum Beispiel Siedschlag und Czichos (Noch unwahrscheinlicher, da viel Fantasie des Autors). C: Der vielseitige Weidlich wird doch im Mittelfeld aufgeboten. (Unwahrscheinlich)

Heißt soviel wie: Einer der drei Innenverteidiger verfolgt den Saisonauftakt wahrscheinlich von der Ersatzbank.

Welches ist das größte Kieler-Problem in der kommenden Spielzeit?

Hätte man diese Frage direkt nach dem Relegationsschocker von München beantworten wollen, wäre die Antwort, die Kieler Elf hätte den bitteren Saisonausgang nicht verkraftet, denkbar einleuchtend ausgefallen. Dieses Szenario scheint mittlerweile annähend ausgeschlossen. Neitzel und sein Trainerteam geben sich selbstbewusst, besonders auf dem Transfermarkt wurde einiges gemacht, der Modus schnell von Wehmut auf Neu-Angriff umgeschaltet.

Doch genau hier könnte es knistern, im schlimmsten Fall gar lodern:

Die lange gewachsene Kieler-Mannschaft wurde nämlich aufgrund der großen Personal-Fluktuation im Vergleich zu den Vorjahren deutlich verändert. Die Mannschaft ist ohne jeden Zweifel stärker geworden und breiter aufgestellt, doch können die Positionskämpfe nicht die Teamchemie torpedieren? „Konkurrenzkampf gehört nun einmal zum Profifußball dazu“, gibt sich Neitzel forsch.

Dennoch wird die Entwicklung spannend sein. Gehörten im letzten Jahr 12, maximal 13 Spieler zum erweiterten Stammkreis, scharen nun mindestens um die 18 Spieler um die Einsatzzeiten. Ein Eindruck, den Neitzel ohne Umschweife bestätigt: „Wir sind besser geworden, haben mehr Auswahl. Es ist gut möglich, dass wir im Gegensatz zur letzten Saison häufiger wechseln werden. Aber das ist allein von den Spielern  anhängig.“

Bleibt die Frage: Wird die starke Einheit aus dem letzten Jahr fortbestehen können, obwohl viele Neuzugänge integriert werden müssen und ein Bankplatz für andere zusehends wahrscheinlicher wird? Diese Frage wird für den erfolgreichen Ausgang der Kieler Saison eine essentielle Bedeutung annehmen, zumal mit Rafael Kazior der unumstrittene Leader die Förde in Richtung Weser verlassen hat.

Wer schließt das Kazior-Vakuum?

Die Spieler wählen ihren Mannschaftsrat selbst – ein gängiges Prozedere im deutschen Fußballgeschäft. Vermeintlich auch in Kiel, wo in den letzten zwei Jahren diese simple Praxis verfolgt wurde. In diesem Jahr ändert der Cheftrainer aber die Marschroute. Er selbst bestimmt den Mannschaftsrat, dieser verteilt anschließend völlig unabhängig vom Trainer die Binde. Warum die Neuerung?

Neitzel erklärt: „Durch die vielen Neuzugänge halte ich es für richtig, wenn ich mich für die Konstellation des Mannschaftsrates einsetze.“

Insgesamt ergibt Neitzels Vorschlag Sinn: Um zu vermeiden, dass der alte Kern in sich geschlossen bleibt und Neuzugänge außen vor bleiben, die Neitzel aber teilweise in der unmittelbaren Führungsverantwortung sieht, greift der gebürtige Sachse lieber selber ein.

Die Aufgabe hat es aber in sich, immerhin drängeln sich gleich mehrere Kandidaten auf: Langjährige Kieler wie Siedschlag, Hermann, Heider und Krause sind interessante Wahlmöglichkeiten, ebenso letztjährige Säulen wie Kegel und Kronholm.

In der Woche vor dem Saisonstart schaffte Neitzel Klarheit. Mit Krause wurd einer aus der alten Garde zum Kapitän ernannt, mit Weidlich und Schmidt fanden sich zwei Neuzugänge im Gremium ein. Stellvertreter ist Maik Kegel.

Wer wird die positive Überraschung der Saison?

Es ist ein Überbleibsel der hervorragenden Vorsaison und eigentlich überhaupt kein Problem. Dennoch erschwert ein Umstand die Bestimmung des nächsten „Aufsteigers“. Der einfache Grund: Weil viele Kieler im letzten Jahr hervorragend spielten, und auch an die neuen Spieler hohe Erwartungen geknüpft sind, bleibt das Überraschungspotenzial bei vielen „Störchen“ überschaubar.

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Im Fokus befinden sich demnach zuallererst die Perspektivspieler. Finn Wirlmann zum Beispiel, mit 19 Jahren ein Rohdiamant, der vielleicht in diesem Jahr seinen Feinschliff bekommt? Oder doch Rene Guder oder Saliou Sane, von denen man sich an der Ostsee viel erhofft?

Klar ist: Aus verschiedenen Gründen, bevorzugt das junge Alter, haben die Genannten am meisten Luft nach oben. Schlummert demnach hier das größte Überraschungspotenzial? Karsten Neitzel gibt sich hier bedeckt, lehnt sich nicht aus dem Fenster. Will zumindest öffentlich keine Tendenz absondern.

Und tatsächlich, nicht nur die Talente, auch einer von den Spielern, die schon im letzten Jahr richtig gut auftrumpfen, könnte tatsächlich die Überraschung der Saison werden.

Der Kandidat: Manuel Schäffler. Dieser nahm in Kiel eine beeindruckende Entwicklung, kämpfte sich zuerst über den körperlichen Einsatz ins Team, adaptierte Neitzels Defensiv-Konzept nach Anlaufproblemen mehr und mehr. Die sich einstellende Zugabe: Auf einmal fing Schäffler an regelmäßig zu treffen, am Ende standen zehn Treffer für ihn zur Buche. Beim 26-Jährigen geht aber noch mehr, das spürt man. Der Überraschungstipp: Schäffler kommt dieses Mal von Beginn an in Schwung, verwandelt mit oder ohne „Schnodderbremse“ Selbstvertrauen in Tore. Statt zehn, werden es – vorausgesetzt er bleibt verletzungsfrei – 15+ werden.

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Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.