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Der beste Hansa-Abend seit Jahren

Der FC Hansa erlebte beim ersten DFB-Pokalauftritt seit Jahren ein echtes Drama, verlor dieses nach bärenstarker Vorstellung mit 4:5 nach Elfmeterschießen gegen den 1. FC Kaiserslautern. Dennoch war es der beste Hansa-Abend seit Jahren. Ein Nachbericht voller positiver Beobachtungen.

Die Arme über den Kopf gestreckt, die Rückenmuskulatur zum Zerbärsten gespannt, dann gleich mehrmals den Körper bebend nach vorne zur Siegespose aufrichtend. Als der FC Hansa Rostock in der 101. Spielminute Marcel Ziemer ins Spiel brachte, kochte das Stadion wie lange nicht. Schon während der Stürmer zur Reservebank spurtete, kannten die meisten Fans kein Halten mehr. Der Nachname des Angreifers hallte schon mehrfach durchs Stadion, bevor der Wechsel überhaupt an der Seitenlinie angekündigt worden war. Spätentens jetzt, schien jedem klar, würde der FC Hansa Rostock das Spiel für sich entscheiden. Wenn nicht durch ein Ziemer-Tor, dann zumindest durch die Euphorie, die sich durch seine Hereinnahme im Stadion verteilt hatte.

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Dass der Fußballgott an diesem Abend kein Rostocker war, erfuhren Marcel Ziemer, seine Teamkollegen und die 20100 Zuschauer im Ostseestadion keine halbe Stunde später. Im Elfmeterschießen verloren die Hanseaten, weil ausgerechnet Publikumsliebling Ziemer als einziger Schütze im Duell vom Punkt verschoss. Ein kurzer Moment der Ruhe im Stadion, hängende Schultern beim Mann im grauen T-Shirt, der wenige Minuten zuvor Ziemer ins Spiel gebrüllt hatte. Der FC Hansa hatte eine schmerzhafte Niederlage kassiert, meinte man zumindest, als es zum ersten Mal nach 120 ereignisvollen Minuten ganz still geworden war.

Nachdem der letzte Elfmeter der Lauterer ins Tor bugsiert wurde, vergingen aber nur wenige Sekunden, bis sich die laute Masse gesammelt hatte. Schon Momente später sangen die Hansa-Fans wieder, nicht wenige stimmten Ziemer-Schlachtrufe an. Die meisten Fans trauerten nicht äußerlich, sondern klatschten nach Kräften ihre Begeisterung über das Rostocker Spiel heraus.

Der FC Hansa hatte an diesem Tag gewonnen. Kein Preisgeld, das es für das Erreichen der 2. Runde in sechsstelliger Höhe gibt, dafür fast zwanzigtausend eigene Fans im Stadion, dazu die Zuschauer im Pay-TV, in das es die Rostocker endlich mal wieder geschafft hatten.

Allen Beobachtern dieser Partie, ob in der Arena oder vor den Fernsehgeräten, hatten die Mecklenburger ein couragiertes Spiel geboten. Ohne Scheu griffen die Mecklenburger den Favoriten aus der 2. Bundesliga an, Chance um Chance wurde erspielt, aber letztlich vergeben. Tobias Jänicke, unermüdlicher rackernder Kapitän, verriet nach dem Spiel den Ursprung der offensiven Taktik: „Wir wussten, dass sie hinten und besonders im Aufbau Probleme haben. Deshalb wollten wir von Beginn an draufgehen.“

Wie erfolgreich die überraschende Baumann-Taktik auf den Gegner angeschlagen hatte, machten auch ungewöhnliche Szenen auf der Tribüne deutlich. Kaum ein Anhänger verließ in der ersten Halbzeit den Innenraum Arena, etwa um sich mit frischem Bier zu versorgen. Zu spannend der Rostocker Auftritt, zu groß die Gefahr, etwas Wichtiges zu verpassen. Auch für eine Mutter, die ihr Kind nach etwa 35 Minuten beim Gang zur Toilette auf den Stadiontreppe zur Eile ermahnte, um ja keine Torraumszene zu versäumen.

Um die Vielzahl an Rostocker Gelegenheiten anzuführen, fehlt an dieser Stelle der Platz. Dennoch bemerkenswert: Auf alle erdenklichen Weisen gelang es den Gastgebern, den Gegner in die Bredouille zu zwängen. Ob aus Distanz, wie es Christian Bickel mehrfach versuchte, nach Standards, sehenswerten Kombinationen oder mit Konterfußball – anders noch als zum Drittligastart deuteten die Rostocker ein facettenreiches Repertoire im Angriffsspiel an.

Ganz im Gegenteil der Zweitligist aus Kaiserslautern: Dessen Ecken und Freistöße waren selten gefährlich, insgesamt brachten die Gäste in 120 Minuten Spielzeit nur zwei Schüsse gefährlich aufs Tor. Beim fein herausgespielten Angriff über Halfar, der Erik Tommy zum Ende des ersten Durchgangs mit einem feinen Pass bediente, hielt Hansa-Torhüter Schuhen famos. Beim einzigen sehenswerten Abschluss der Lauterer im zweiten Durchgang war der Winkel zu spitz, Schuhen hatte kaum Mühe.

Was neben der Rostocker Produktivität an herausgespielten Möglichkeiten auffiel, war die Ruhe, mit der sich die Mecklenburger durch die schwierige Phase manövrierten, als der 1. FC Kaiserslautern sich anschickte, die Kontrolle zu übernehmen.

Zwischen der 35. und 60. Spielminute hatten die Rostock nämlich Probleme, ihren Druck aufrechtzuerhalten. Doch obwohl sich die Spielanteile neu verteilten, gerieten die Rostock nie ernsthaft in Gefahr. Stattdessen zogen die Mecklenburger wieder an, bestimmten in der letzten Spielstunde die Partie. Mit Riesengelegenheiten wie Gottschlings Durchbruch, der im eins auf eins knapp vorbeischob, und den Kraftakten von Bickel und Jänicke, die Lauterns herausragender „No-Name-Keeper“ Müller parieren konnte, boten den Hanseaten gleich mehrere Chancen zur Vorentscheidung. Dementsprechend selbstkritisch gab sich Kapitän-Jänicke: „Wir müssen einfach ein Tor machen, das ist uns nicht gelungen. Wir hatten es in der Hand.“

So zeigte das Spiel auch gut auf, was bei den Rostockern noch im Argen liegt. Und das ist vor allem ein personeller Notstand. Durch den angeschlagenen und unfitten Ziemer sowie der bisher erfolgslos verlaufenden Stürmersuche kämpft sich die Baumann-Elf mit nur einer einzigen Offensivalternative durch die Auftaktphase der Saison. Neben Gottschling, dessen Einwechslung erneut Schwung brachte, haben die Rostocker auf der Bank kaum Alternativen parat, um im Angriff neue Akzente zu setzen. Die fehlenden Kaltschnäuzigkeit in der Verlängerung – vielleicht war sie auch ein Resultat der Erschöpfung

Umso wichtiger, dass Publikumsliebling Ziemer wieder fit wird. Nach seiner Einwechslung gewann der gebürtige Pfälzer kaum einen Zweikampf, gleich mehrmals wurde er wegen Foulspiels zurückgepfiffen. War Ziemer am Ball, wurde es zwar stets gefährlich, doch kam der Top-Torjäger der letzten Saison aufgrund seiner Defizite kaum an die Kugel. Deutlich wurde: Der Erfolg der Hansa-Saison hängt am Gesundheits- und Fitnesszustand des Top-Stürmers. Um einen unfitten Ziemer durchs Jahr zu ziehen, fehlt es dem Verein bei allem Talent schlicht an genügend Alternativen.

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Wie gut der FC Hansa ohne einen fitten Marcel Ziemer spielte, machte dennoch Mut. Und der Respekt, den sich die Rostocker erarbeitet hatten, wurde schon direkt nach Spielende im Kabinengang hörbar. Dort sprach ein Lauterer Lokaljournalist einen FCK-Spieler auf das glückliche Weiterkommen an, dieser antwortete erleichtert: „Am Ende ist es egal, wie wir gewonnen haben, Hauptsache wir sind weiter.“

Für die Rostocker war das Wie an diesem Abend nicht egal. Denn eigentlich hatte der FC Hansa auch ohne 2. Runde und wertvoller Prämie einen großen Sieg errungen. Zum Beispiel  mit der beeindruckenden Kulisse, die so euphorisiert war, dass am Ende die Fans der Nordtribüne die stimmungsgewaltige Süd übertrumpfen konnten und beim Elfmeterschießen den Ton angaben.

Kapitän Jänicke bilanzierte demnach, schon wieder lächelnd: „Wir können aus dieser Partie sehr viel Positives mitnehmen.“

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Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.