Das ewige Schwarz-Weiß-Denken
„Schwarz, weiß, blau – das ist der HSV.“ So lautet der Beginn einer Weise, die von den wenigen Fans, die im Stadion noch Gesänge anstimmen, hier und da geträllert wird. Doch wird man das Gefühl nicht los, als gäbe es beim Hamburger Bundesligisten nur zwei Farben: Schwarz und Weiß.
Foto: Torsten Helmke
In diesen Farben nämlich – so der Eindruck – wird seitens einer großen Masse an HSV-Anhängern vornehmlich gedacht, und zwar abhängig vom Spielergebnis, das der Lieblingsverein gerade erzielt hat.
Zu Saisonbeginn sah das etwa so aus: Hamburg hatte sich im DFB-Pokal gerade mit einer 2:3-Niederlage beim Viertligisten Carl Zeiss Jena blamiert und wenige Tage später den Bundesligaauftakt mit 0:5 beim FC Bayern vergeigt, da malten einige schon regelrechte Horrorszenarien an die Wand. Tore gäbe es wieder keine zu sehen, Punkte schon gar nicht, und der HSV werde nicht mal mehr die Relegation schaffen – wie denn auch, hat der Sportdirektor doch eh viel zu schlecht einge- und verkauft.
Zwei Heimsiege und eine unglückliche Auswärtsniederlage (die mindestens in einem Remis hätte enden müssen) später vernahm man dann schon ganz andere Töne: Noch während des Spiels bei Borussia Mönchengladbach skandierten die HSV-Fans im Block peinlicherweise „2. Liga, Gladbach ist dabei“, den eigenen Verein sahen einige schon wieder auf dem Weg nach Europa, und selbst Bundestrainer Jogi Löw bezeichnete den Sieg als „kleinen Meilenstein“. Und die Hamburger Medien hüpften mit und schlagzeilten in den letzten Stunden: „Startet durch“, „Traumtore“, „fantastische Bilanz“, selbst Sportdirekter Peter Knäbel durfte sich nach der „Rucksack-Affäre“ wieder zu sportlichen Themen äußern.
Wie immer im Leben liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Richtig ist, dass der HSV seit drei Spieltagen stets etwas Positives aus den Partien mitnehmen konnte. Gegen Stuttgart waren das neben den drei Punkten die Erkenntnis, dass man in der Lage ist, ein Spiel drehen zu können. In Köln zeigten die Hamburger ihre bisher wohl beste Saisonleistung mit – man höre und staune – spielerischen Glanzpunkten. Das gab es lange nicht. Und gegen Gladbach ging der Plan des Trainers auf, den Spielaufbau des Gegners frühzeitig zu stören.
Falsch ist aber, dass all’ dies reicht, um von höheren Sphären als einem ungesicherten Mittelfeldplatz zu träumen. Denn wenn man mag, kann man den bisherigen Saisonverlauf auch so sehen: Im Duell gegen das Spitzenteam aus München gab es eine erwartet hohe Niederlage, gegen Stuttgart hatte der HSV Glück, und Gladbach schlägt derzeit eh jeder. Ergo: Hamburg wird auch in dieser Saison öfter nach unten als nach oben schauen müssen – ungeachtet der Tatsache, dass der HSV derzeit fünf Punkte Vorsprung vor dem Relegationsplatz hat. Die Euphorie kann schon nach dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt verflogen sein: Gegen die hat der HSV nämlich in den vergangenen sechs Spielen nicht gewonnen.
Allerdings hieß der Trainer beim letzten Duell auch noch nicht Bruno Labbadia, der zurzeit viel richtig macht. Er weiß die Mannschaft zu nehmen und Schritt für Schritt zu verbessern, auch wenn es wirklich kleine Schritte sind. Und er bleibt demütig, um dieses überstrapazierte Wort zu verwenden. Nach dem Überraschungserfolg gegen Gladbach mahnte er zur Zurückhaltung: Der HSV hätte eine gute Woche gehabt – mehr aber auch nicht. Und man müsse konzentriert weiterarbeiten.
Ein (in der Relation) solch erfolgreicher und zurückhaltender Übungsleiter muss gehalten werden. So lautet jedenfalls die Meinung vieler Fans, die nach einer Verlängerung des noch bis Saisonende gültigen Arbeitspapiers Labbadias schrien. Und da war es wieder, das Schwarz-Weiß-Denken: Warum nur muss der Trainer nach so wenigen ansprechenden Partien beziehungsweise Ergebnissen schnellstmöglich mit einem neuen Vertrag ausgestattet werden? Gut, dass er selbst das Ganze für unnötig erachtet: Man müsse nicht wieder in alte Muster verfallen und vorschnell Verträge verlängern, so Labbadia. Es gäbe genug andere Dinge zu tun, im nächsten Jahr wäre immer noch Zeit genug – wenn dann Bedarf sei. Chapeau.
Irgendetwas mit „Trainer“ und „Vertrag“ war dann aber doch los beim HSV. Joe Zinnbauer, der in der vorigen Saison übergangsweise Chefcoach der Bundesligatruppe war und erst im Sommer wieder zurück zu seiner U23 gefunden hatte, löste seinen nämlich auf. Interessanterweise scheint ihm der 16. September ein besonders geeignetes Datum zu sein, um Trainer von Erstligisten zu werden. Vor einem Jahr übernahm er an diesem Tag die Bundesligatruppe des HSV, nun den Schweizer Erstligisten FC St. Gallen. Zinnbauer hat sich in seiner kurzen HSV-Zeit nichts zu schulden kommen lassen, eine Menge angeschoben und bewegt. Nun kann er seinen zwischenzeitlich geplatzten Traum, Trainer einer Profimannschaft zu sein, wieder aufleben lassen.
Dabei wünsche ich ihm alles Gute.