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Zeigen se ma Ihan Ausweis!

Der zwanzigjährige Ole mag den FC Hansa. So sehr, dass er als Hamburger Jung recht regelmäßig nach Rostock reist. Am vergangenen Wochenende legte er wieder seinen blauweißen Schal um den Hals. Und klar wie selten zuvor stellte der Hansafan dieses Mal fest, das sein Verein viel mehr als nur Fußballspieler zu bieten hat. Einen Ernie zum Beispiel. Oder Frank aus Bützow. Oder die Lübecker.

Samstag, 22:30 Uhr. 0:0.

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Ich liege auf dem Bett. Wieder nur einen Punkt, denke ich. Immer noch Vorletzter. Der Stuhl von Karsten Baumann wackelt wohl ähnlich stark wie die Latte nach dem Schuss von Marco Kofler. Das war kurz vor der Halbzeit, als es noch Hoffnung gab. Warum tue ich mir das eigentlich noch an? Spieltag für Spieltag von Hamburg nach Rostock und zurück.

Irgendwie habe ich trotzdem kein schlechtes Gefühl. Das habe ich nie, wenn ich in Rostock war. Es ist egal wie Hansa spielt. Mit dem ausbleibenden Erfolg der letzten Jahre, haben sich viele abgefunden, auch die, die sich noch jeden zweiten Samstag ins Stadion verirren.

Um 6:30 Uhr beginnt mein Tag. Dusche, Zahnbürste, Kaffee – Morgenroutine. Schnell den Schlaf abgeschüttelt und den Schal umgehängt und raus aus der Tür. Ein schöner Morgen. Mild, etwas bedeckt windstill. Dreipunktewetter. Auf dem Weg zum Bahnhof gehe ich zum Supermarkt um die Ecke, ein paar Bierchen für die Fahrt besorgen. Die Gänge sind leergefegt, Mitarbeiter schniefen im schlechtgelaunten Halbschlaf. An der Kasse ist die betagte Kassiererin misstrauisch, sie beäugt das Sixpack Bier. „Na, Sie ham wohl wat vor. Is dat ihr Frühstück?– Zeigen se ma Ihan Ausweis“.

Obwohl zwanzig Jahre und knapp Einmeterneunzig, werde ich im Raum Hamburg, wenn ich meinen blau-weißen Schal trage, fast immer nach meinem Ausweis gefragt. Das deprimiert mich. Ich denke, dass viele Leute das Vorurteil des stereotypen Hansafans im Kopf haben. Einst von der hiesigen Lokalpresse geschürt. Aber egal. Abhaken. Weiter geht’s zur S-Bahn. Die ist zum Glück pünktlich. In Krupunder treffe ich meinen Kumpel Marco. Er hat, ebenso wie ich, Rostocker Wurzeln und ist der einzige Hansafan in meinem Alter, den ich aus dem Kreis Pinneberg kenne.

Am Hauptbahnhof geht es auf Gleis Fünf. Erste blauweiße Schals werden erspäht und es wird sich gegenseitig zugenickt. Ein hochgewachsener Mann mit kahlem Kopf gesellt sich zu uns. In der linken Hand hält er die „Ostsee Zeitung“. Als Frank aus Bützow, stellt er sich vor. Frank ist ein Mitvierziger, der zu jedem Heimspiel fährt und sich dort mit seinen alten Kumpels trifft. Jeder hat irgendwann seinen eigenen Weg beschritten, aber im Stadion fühlen sie sich wie früher. Seit zwanzig Jahren hat das Klassentreffen in Rostock Tradition. Als sie in unserem Alter waren mit viel „Güstrower Korn“, sagt er schmunzelnd. Aber mit über Vierzig könne er den Alkohol nicht mehr so gut vertragen. Schon gar nicht in Verbindung mit einer Niederlage.

Die bekommen wir heute hoffentlich nicht zu sehen. Nachdem er uns versichert hat, dass der offensichtliche Alkoholgenuss in einem InterRegio im Gegensatz zu einer S-Bahn komplett erlaubt sei, stoßen wir auf die drei Punkte an, die wir in unseren Köpfen schon unserem F.C. Hansa dazugerechnet haben. An den „wunderschönen“ Bauruinen des Hagenower Landes vorbei, fahren wir in Schwerin ein. Der Zug  wird allmählich voller. In einem Pulk von Hansa Fans steigt eine Legende dazu, die jedem Fan, der süd-westlich von Rostock wohnt, bekannt ist: „Ernie“.

Niemand weiß, ob das sein richtiger Name ist. Aber dem Reden nach ist er schon weit über siebzig und jeden zweiten Samstag im Zug Richtung Rostock zu finden. Da die Rente knapp ist, sammelt der Halstuchträger das überschüssige Leergut, immer mit einem guten Spruch auf den Lippen. Eine Fahrkarte brauche er schon lange nicht mehr, erklärt er uns heute. Die Schaffner haben mittlerweile akzeptiert, dass er zum Inventar gehört.

In Rostock ausgestiegen geht es in die S-Bahn nach Warnemünde. Frank will sich noch ein Fischbrötchen am „Mittelstrom“ holen. Für Marco und mich geht es zwei Stationen früher in Lichtenhagen aus der Tür. Das Sonnenblumenhaus, das dem Stadtteil seine unrühmliche Prominenz bescherte, erstrahlt in der Tristesse der Plattenbausiedlung. Für die meisten Leute  ist das nur ein grauer Beton-Klotz. Für mich verkörpert er  Heimat und Sehnsucht, da nur einen Block weiter meine Großeltern wohnen. Hier habe ich  viele Sommer verbracht. Meine Großeltern erwarten uns mit dem Schnitzel in der Pfanne. Mein Opa, ein ehemaliger Werftarbeiter, ist der Meinung, dass die Fußballer für ihre tatsächliche Arbeit zu viel Geld verdienen. Deswegen geht er nicht mehr hin. Obwohl es mich traurig stimmt, dass er die Liebe zu Hansa nicht mehr teilt, kann ich ihm es in Anbetracht seiner Vergangenheit als hart arbeitenden Metaller auch nicht verübeln. Ein Bier trinkt er wenigstens trotzdem mit.

Nach der Stärkung müssen wir nun aber schnell wieder zurück in die Bahn Richtung Hauptbahnhof. Am Holbeinplatz geht es raus. Jetzt sind es nur noch wenige Minuten bis zum Anpfiff. Aus der Ferne hört man schon Horst Köbberts Klassiker „FC Hansa OHE“.

Nach dem Spiel. Die neunzig Minuten sind vorbei. Die Ernüchterung über die Realität kehrt zurück. Ich muss mich wieder mal dem Fakt stellen, dass der Traditionsklub, den ich als Erstligisten kennen und lieben gelernt habe, nicht mehr die Nummer 1 im Osten ist, sondern nur noch „Einer von Vielen“.

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Die Niedergeschlagenheit weicht auf der Rückfahrt jedoch schnell wieder der Zuversicht. Nun sitzen wir mit den „Hansa Fans Lübeck“ und einem schweigsamen Kerl Namens Ivan zusammen. Die Lübecker stimmen einen Kracher nach dem anderen an. Von „Hammerweißt“ (von Rostocker Lokalgröße Ostmaul) bis zu „Mein Rostock“ (von Marteria, der Gallionsfigur aller Hansafans) werden die schönsten Rostock-Lieder gesungen. Irgendjemand hat einen Kasten Hasseröder organisiert, der im Uhrzeigersinn durch die Sitzreihen wandert. Der Waggon gleicht mittlerweile von der Stimmung und dem Flair einem Saloon, bläulich-schimmernder Zigarettenrauch hat sich an der Abteil-Decke abgesetzt hat, der Alkohol treibt die Lautstärke nach oben.

„Ernie“ ist auch wieder da, mit ihm die Kalauer. Und auch Ivan, der russische Eisbrocken, taut auf und erzählt von seinem Heimatverein „Schinnik Jaroslawl“ und seinem Job als Gleisarbeiter. Russischer Trockenfisch wandert dem Kasten Hasseröder hinterher. Hansa, das sind nicht nur Schuhen und Henn oder Jänicke. Das sind Frank, Ivan, Ernie, ich. Unterschiedliche Nationalitäten, soziale Hintergründe, verschiedene Generationen, ein Verein.

Wir kommen wieder.

Ole Gömmel