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„Die Futsal-Nationalmannschaft könnte Hype auslösen“

Meilenstein. Der DFB plant für 2016 eine Futsal-Nationalmannschaft. Mit Länderspielen im Frühjahr und mit dem Ziel EM-Qualifikation 2017.  Wie → „Mister Futsal„, als jahrelanger Begleiter der deutschen Futsal-Szene, den historischen DFB-Plan einschätzt, darüber plauschten wir von Experte zu Fachmann.

Foto: Torsten Helmke

Zunächst: Was ging dir als langjähriger Futsal-Begleiter bei der Verkündung der Nachricht „DFB startet Futsal-Nationalmannschaft“ durch den Kopf?
Mein erster Gedanke war: Endlich. Viele haben schon lange auf die Nationalmannschaft gewartet und ich bin überzeugt, dass die Gründung einer Nationalmannschaft sehr wichtig für die weitere Entwicklung des Futsals in Deutschland ist. Dieser Schritt  hat eine klare Signalwirkung. Die Nationalmannschaft ist ein bedeutungsvoller Meilenstein. Wir dürfen sehr gespannt sein, welche Spieler als erstes den Adler tragen und wie gut sich diese schlagen.

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In deinem ersten Experten-Kommentar (HIER!) zur neuen deutschen Futsal-Nationalmannschaft kritisierst Du insbesonders die Trainerbesetzung. Warum?
Die Formulierung hört sich sehr negativ an. So sollte der Artikel nicht wahrgenommen werden. Wir sind in erster Linie sehr froh über die Einberufung der Nationalmannschaft inklusive Trainerteam. Ich sage „wir“, da der Kommentar von meinem Co-Autor Futsal Economist stammt. Aus unserer Sicht wäre es zweckvoll, jemand mit langjähriger und internationaler Futsalerfahrung mit in den Trainerstab zu holen. Dabei geht es vor allem um den Know-How-Transfer nach Deutschland. In Gesprächen mit international erfahrenen Trainern wird dieser Aspekt immer als außerordentlich bedeutsam herausgestellt. Da wir in Deutschland kaum über futsalspezifische Erfahrung auf Spitzenniveau verfügen und noch zu sehr auf Konzepte aus dem Fußball zurückgreifen, wäre die Erweiterung des Stabs durch eine externe Person sicherlich kein Nachteil. Insbesondere die jungen Co-Trainer Daniel Gerlach und Wendelin Kemper könnten davon sehr profitieren und ihr erworbenes Wissen weitergeben.

Paul Schomann wird die Nationalmannschaft als Chefcoach formen. Was ist seine große Stärke?
Paul Schomann kümmert sich seit vielen Jahren um den deutschen Futsal und hat sich die Position als Trainer der Nationalmannschaft verdient. Er bringt einen großen Erfahrungsschatz mit und kennt viele Spieler, deren bisherige Entwicklung und damit ihr Potential. Es gibt wenige Personen in Deutschland, die wohl mehr Futsalspieler kennen als er. Von daher dürfen wir uns auf eine sehr gute erste Auswahlmannschaft freuen.

Welcher Trainer wäre die Idealbesetzung? Immerhin: Der DFB dürfte sich jeden Futsal-Trainer der Welt leisten können.
Der DFB hat die Mittel und das Prestige, um jeden Futsaltrainer der Welt nach Deutschland zu locken. Noch dazu gibt es nach meiner Kenntnis keinen internationalen Trainer, der nicht sofort zusagen würden. Es reicht jedoch einen Trainer zu holen, der zum Beispiel in Spanien oder Brasilien alle Ausbildungsstufen absolviert und ein erst- oder gar zweiklassiges Team geführt hat. Diese Personen verstehen den Sport ganz anders als wir es aktuell in Deutschland tun. Des Weiteren bleibe ich auch bei der obigen Aussage. Es soll kein externer Trainer geholt werden, der das Ruder komplett übernimmt, sondern das deutsche Trainerteam mit seinem Wissen ergänzt. Damit gewinnen wir alle. Erst recht unter der Prämisse, dass bislang keine offizielle Futsaltrainerlizenz unabhängig vom Fußball zu erhalten ist.

Welche Spieler werden deiner Meinung nach das Gerüst dieser ersten Nationalmannschaft bilden müssen?
Ich glaube, jedem fallen da sofort ein paar Namen ein. Ein entscheidendes Kriterium bei der Auswahl sollte jedoch die futsalspezifische Erfahrung sein. Sicherlich könnten hochklassige Fußballer in die Futsalnationalmannschaft mit akzeptablen Erfolg beordert werden. Diese Taktik ist langfristig für den Sport nicht hilfreich. Die Landesauswahlturniere geben eine gute Grundlage zur Auswahl geeigneter Spieler. Wenn du bestimmte Namen hören möchtest, dann verweise ich dich auf unsere Spielerauswahl beim letzten Landesauswahlturnier (http://misterfutsal.de/2015/01/25/das-team-des-turniers-landesauswahlturnier-2015/). Diese Jungs haben überzeugt und würden eine gute Basis bilden. Ach ja, einige Hamburger wären sicher dabei.

Was ist mit Ex-Profis aus dem Fußball?
Da bin ich eher skeptisch. Ich möchte hier etwas allgemeiner antworten. Ich hatte das Glück am Wochenende mit einigen Personen aus dem Kreis der spanischen Nationalmannschaft bei der WM-Qualifikationsrunde in Eindhoven zu sprechen. Die wichtigste Erkenntnis lautete: Solange der Futsal nicht als eine vom Fußball komplett unabhängige Sportart angesehen wird, kann es keinen Erfolg geben. In Deutschland wird noch zu stark zweigleisig gefahren. Sicher sind beide Sportarten verwandt, doch im Detail sehr unterschiedlich. Dies betrifft sowohl taktische, technische als auch körperliche Aspekte der Feldspieler und Torhüter. Dieses wird der Knackpunkt in der Entwicklung in Deutschland in den nächsten Jahren darstellen, sowohl auf Spieler-, Vereins- als auch Verbandsebene. Bezogen auf deine Frage: Ex-Profis ja, aber nur unter der Prämisse, dass sie aus eigenem Interesse Futsal spielen möchten und sich auf diesen dann zu 100 Prozent fokussieren. Frei nach dem Motto: Ganz oder gar nicht.

Schon in einem guten Jahr will der DFB an der EM-Qualifikation teilnehmen. Ist ein sportliches Fiasko vermeidbar?
Anders gefragt: Ist ein sportliches Fiasko so schlimm? Wir dürfen nicht erwarten, dass die Nationalmannschaft plötzlich große Erfolge feiern wird. Aus den Fehlern, sportlich oder eben organisatorisch, können wir alle nur lernen. Deshalb bin ich überzeugt, dass das Projekt Nationalmannschaft einzig ein Erfolg werden kann. Die Lernkurve wird sehr steil sein, da muss man auch mit Niederlagen leben können.

Bundestrainer Paul Schomann „wünscht“ sich eine Bundesliga mit 14 Teams. Wenn ich da an die Hamburg Panthers denke, deren „Etat“ in eine Hosentasche passt, deren Ligaspieltage vor 20 Freunden ausgetragen werden und die die Einstellung des Trainerteams nur über private Spenden stemmen konnten, frage ich mich natürlich: Wie sollen die, als immerhin amtierender Deutscher Meister, eine Bundesligasaison finanzieren? Demnach sind die Wünsche des Bundestrainers doch an der Realität vorbei.
Eine Bundesliga wünsche ich mir natürlich auch. Leider habe ich kaum Informationen über die finanzielle Lage der einzelnen Topteams. Ich kann mir jedoch gut vorstellen, dass es aus finanzieller Sicht sehr schwierig wird. Außer den Holzpfosten aus Schwerte scheinen kaum Teams große Menschenmassen in die Hallen zu locken. Diese bilden im Endeffekt die Grundlage für attraktive Sponsorenverträge. Ich würde dem Ganzen einfach noch etwas Zeit lassen und so bewerte ich auch die Aussage von Paul Schomann. Der Meilenstein Nationalmannschaft ist erreicht, der nächste ist die EM-Qualifikation und dann kommt das Thema Bundesliga. Ein guter Fahrplan. Bis dahin wird sich viel bewegen.

In vier Monaten sollen die ersten Länderspiele stattfinden, der TV-Sender Sport 1 hat bereits Interesse signalisiert. Gefallen dir diese neuen Möglichkeiten oder ist die Gefahr einer bundesweiten Blamage für den deutschen Futsal doch größer, und wird vom DFB unterschätzt?
Wenn ein Verband die Gefahren im Blick hat, dann sicherlich der DFB. Die Übertragung könnte einen Hype auslösen. Vor einigen Jahren hat ein Benefizspiel in Frankreich zwischen den Ex-Fußballweltmeistern um Zidane für den Aufschwung des Futsals dort gesorgt. Ich erhoffe mir etwas Ähnliches in Deutschland. Der DFB wird sicher einen Gegner wählen, der ein vergleichbares Leistungsniveau besitzt, so dass wir ein spannendes erstes Spiel erwarten dürfen. Ich freue mich auf dieses Event. Vielleicht sucht Sport1 noch einen Kommentator, dann würde ich mich hiermit offiziell anbieten.

Mal positiv gedacht: Mit welchen europäischen Nationen könnte es eine deutsche Futsal-Nationalmannschaft bereits aufnehmen?
Das lässt sich ziemlich gut eingrenzen, da immer mehrere Runden zur Qualifikation der großen Turniere gespielt werden. (siehe Wikipedia als Beispiel zur EM-Quali 2016: https://de.wikipedia.org/wiki/Futsal-Europameisterschaft_2016/Qualifikation#Vorrunde). Die Teams aus der ersten Runde sind passende Kandidaten. Dazu zählen Griechenland, Zypern, Estland, Albanien, Schottland, Israel. Die nächste Stufe stellen dann England, Frankreich und die Schweiz dar, die alle ebenfalls noch in der Entwicklung stecken. Diese Teams haben sich zum Beispiel für die Zwischenrunde qualifiziert, wurden dann jedoch eindeutig besiegt. Die Abstände zu den professionalisierten Ländern sind einfach zu groß. Deshalb sollten wir uns dort unbedingt das Know-How beschaffen. Und da wären wir erneut bei der Trainerthematik.

Noch mehr Futsal-Hintergrund hat „Mister Futsal“ auf seiner gleichnamigen Webseite. → HIER.

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Benny Semmler

Papa, Blogger, Mitgründer FRISCHER FILM, Seniorenspieler USC Paloma, Mitglied UnterstützerClub des FC St. Pauli, Towers-Fan und Gotnexxt.de-Follower.