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Warum der FC Hansa Rostock die Welt besser machen kann

Der FC Hansa Rostock ist kein Instrument, um Fremdenhass und rechte Triebe einzudämmen. Aber er ist ein Ort, an dem ein Problem an der Wurzel gepackt werden kann. Es gilt, verlorene Seelen einzufangen und sie gar nicht erst zu verlieren. Dieser Text ist auch ein Meinungsbeitrag zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern.

Foto: Screenshot Youtube – Audiolith

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Ich war im Sommer auf Dienstreise in Ruderting. Das ist in Niederbayern, für alle die, die es nicht wissen. Zwei Tage untergebracht in einer Westernstadt, bei 36 Grad. Über einhundert Sportredakteure und Projektmanager. Das ist eine spannende Mischung. Jedes Bundesland war vertreten, aus allen Winkeln waren Fußballverrückte angereist, junge, erwachsene, einige mit grau-buschigen Augenbrauen.  Ich war der einzige aus Mecklenburg-Vorpommern. Abends gab es Bier, viel Bier. Brauen können sie ja, die Niederbayern. In den Gesprächen ging es um Fußball, was sonst. Ein netter Kerl sagte mehr als das er fragte: „Ist Rostock, ist Hansa nicht ganz schön rechts?“

Noch immer hört man diese Frage viel zu häufig. Sie ist mir unangenehm. Man rechtfertigt sich und damit auch die Stadt. Rostock, sagte ich, sei nicht anders als jede andere Großstadt. In ihr pulsiere das Leben, viele Studenten und hanseatisch weltoffene Menschen leben dort, in manchen Teilen könnte man einen Straßenzug mit alternativen aus Hamburg oder Berlin verwechseln. Am Rand so manche Wüste aus Beton, Farbkleckse dort nur durch Graffiti und den blühenden Geranien auf den Balkonen. Sonst nichts. Heute könnte ich ergänzen: NPD-und AfD-Plakate hängen hier auf Kopfhöhe, ganz ungeniert. Jedes einzelne als ein schweigender Ausdruck von Wut.

Eine zerrissene Stadt

Damals in Ruderting lag die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern noch fern, weit weg war sie mit ihren für viele düsteren Prognosen. Ich konnte es mir noch deutlich leichter machen, wenig abstrakt denken: Die Klugen in der Stadt, alle liberal, voller Hoffnung, gemäß Bernd Begemanns tollem Aus- (und Anmachspruch) „In Städten mit Häfen haben die Menschen noch Hoffnung.“ Die da draußen, ungebildet, frustriert, untervögelt, neidisch auf das Gras der Kiffer und sich sehnend nach der Klugheit und den schönen Lippen der Mädchen aus Münster und Berlin. Dumm war es. Einfältig. „Generalisierend“, wie mir ein Leser letztens schrieb, als er mir nach einem Artikel für ZEIT ONLINE Rassismus gegen Mongolen vorwarf.

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In Wahrheit ist die Stadt noch viel zerrissener, als man es zu befürchten wagte. Man erkennt es gut an den Wahlplakaten. Viele der Rechten liegen auf dem Boden genauso wie viele der Linken. Auf einigen steht gekrakelt: „Merkel muss weg“, auf einem Bürgersteig nicht weit von einem alternativen Studentenclub kreideten Gestalten islamfeindliche Parolen auf die Pflastersteine. Der Hass ist groß, auf beiden Seiten. Ein Plakat der AfD lag letztens auf den Straßenbahn-Schienen, vom Regen aufgeweicht, verbleicht, von den Trams überrollt, von Glasscherben zerkratzt. Eine zerbrochene Bierflasche lag daneben.

Hansa Rostock scheint bei all dem Hass und der gegenseitigen Abneigung der größte gemeinsame Nenner zu sein. Nazis, Neu-Rechte, Unpolitische und Linke jeder Couleur stehen auf einer Tribüne nebeneinander, vorsichtig geeint unter den Gesängen und Schlachtrufen der Fans, auch vom Grundsatz „Keine Politik im Stadion.“ Manche der Linken protestieren leise, eine Facebook-Seite lauter.

Ich hatte lange kein Verständnis, für die, die noch immer da hingehen. Ich sah es als Aufwertung der anderen Gestalten an. In einer Bar im Berliner Osten sprach ich mit einer Frau darüber, sie ist schon einige Jahre über dreißig. Seit über fünfzehn Jahren ist sie mit Hansa unterwegs, auch auswärts. „Wenn wir nicht mehr hingehen würden, dann hätten wir viel Erreichtes verloren“, sagte sie. Es gäbe keine oder nur noch sehr vereinzelte „Sieg-Heil-Rufe“, die es früher weit häufiger gegeben habe, sagte sie auch. Dann strickte sie eine Zeitreise aus vielen Worten sorgsam  zu einem Kleid aus ihren Überzeugungen. Politik, sagte sie zum Abschluss, funktioniere manchmal auch ohne politische Worte und Bilder, sondern alleine über Gesten.

Ich verstand es. Vielleicht, weil ich auch mal an der Schwelle zum Nazisein stand. Zumindest denke ich es manchmal, genauso wie ich manchmal denke, schon immer auf der anderen Seite gewesen zu sein. Wir hingen ab auf einem Dorf mit knapp 200 Einwohnern. Kein Supermarkt, kein Schwimmbad, keine Litfaßsäulen mit Dritte-Wahl-Plakaten. Wir tranken Bier, spielten Fußball und redeten über unsere Mädchen, und die, die es werden sollten, aber nie wurden. Politik war anfangs weit weg, höchstens zu finden auf den Playlisten erster gemeinsamer Abende. Dann der Cut, ein langsamer Schnitt, Abkapselung. Die wichtigste Lektion, aus eigener Wut viel zu häufig runtergeschluckt und weggedrängt, erst neulich dran erinnert: Auch Rechte und Nazis können lieben, sind menschlicher, als man es manchmal hoffen mag. Ihr Herz doch kein Organ, darauf versteift, Hass ins Hirn zu pumpen. Einer schluchzte mir vor Jahren in der Bushaltestelle von seiner großen Liebe vor, er fand sensible Worte, die ich ihm nicht zugetraut hatte, um die ihn beneidete.

Was mit mir passiert war, warum mir linksliberale Politik wichtig wurde? Ich hatte einen Bruder, der mich am Kragen packte, und eine schmerzhafte Jugendliebe, die mich formte und dorthin führte, wo ich schon als Achtjähriger war: mit einem selbstgemalten SPD-Plakat auf dem Gepäckträger meines Tigerentenfahrrads.

Der FC Hansa Rostock ist deshalb so wichtig, weil er einer Jugendliebe genauso ähnelt wie einem großen Bruder. Der Verein ist einer der wichtigsten Sozialisierungsorte in Mecklenburg-Vorpommern. Was schon mit schnöden Fragen beginnt: Werden Kinder seltener zu Rassisten, wenn sie als Sechsjährige Akpobori und Agali zujubeln?

Natürlich können sie trotzdem zu Arschlöchern, Verlierern oder Idioten werden. Nazis und Rechte können nämlich auch Türken hassen und gerne Döner essen. Sie können gegen die Globalisierung sein und stolz Volkswagen fahren. Sie können sich in Mädchen verlieben, die nicht nur Marterias Musik folgen, sondern auch seiner Einstellung.  Sie können Menschen mit anderer Hautfarbe mit hassverzerrter Stimme als „Neger“ beleidigen und dem gewitzten Spiel von Hansas neuem Mittelfeldflügel aufgeregt zuprosten. Wichtiger ist es deshalb, für etwas zu werben als gegen etwas zu sein. Leute im Stadion abholen, Aussätzige nicht verstoßen, sondern aufnehmen. Eine Gruppe junger Männer mit komischen Frisuren und Provinzgehabe an die eigene Überzeugungen heranführen, anstatt sie für selbstverständlich nehmen und sie ausgrenzen, wenn  ihre Blicke von einem zu skeptischen, teilweise ängstlichen Blick auf die Welt geprägt sind. Es gibt kaum wichtigere Orte, um sich den Verstoßenen und den sich verstoßen fühlenden anzunehmen als ein Fußballstadion.

Denn ein Fanblock ist ein gefährlicher Ort: Wer einen Verein aufrichtig liebt, der kann auch schnell der Verlockung erliegen, sein Land zu innig zu lieben. Vereine und Länder können Liebe nicht zurückweisen oder ablehnen, sie können nicht einfach Schlussmachen; sie sind befriedigender und stabiler als manch Beziehung zu einem Menschen. Man liebt. Man fühlt sich wichtig, man redet sich stark, für etwas da zu sein und ist stolz auf eine Leistung, für die es wenig eigenes Schaffen bedarf. Es ist kläglich, es ist dumm, aber Dummsein ist menschlich.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Am vergangenen Donnerstag fand in Anklam ein Konzert statt. Campino und Marteria traten auf, die Band „FeinseSahneFischfilet“ hatte es organisiert. Bekannte, die da waren, schwärmten von blau-weißen Farbtönen auf Schals und Trikots, sie leuchteten bunt. Es gibt ein Video, auf dem es so aussieht, als ob sich Campino einen Hansa-Schal um den Hals legen würde. Marteria, Hansa-Retter und ein Sprachrohr des Vereins, engagierte sich lautstark wie selten zuvor politisch. Es war ein großes Zeichen, ein Mutmacher. Und auch der Beweis für eine These, die kaum ein Hansa-Fan bestreiten wird.

Ja, der Verein ist mehr als Fußballclub, mehr als eine offensivschwache Drittligamannschaft, die man trotzdem irgendwie noch immer gern hat. Der FC Hansa ist auch ein Ort, an dem die Welt ein kleines bisschen besser gemacht werden kann. Ohne große Parolen, allein mit Freude und Offenheit. Das kommt an. Der Kollege aus Ruderting schrieb mir letztens eine Mail. „Schau mal“, stand darin, und ein Link. Er führte nach Anklam.

Geht ins Stadion. Und am Sonntag wählen.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.