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Willi Lemke

Willi Lemke über Werder und kleine Wunder im Kongo

Willi Lemke spricht im 2. Teil des Interviews bei BLOG-TRIFFT-BALL über Tischtenniszeug, das das Leben in einem afrikanischen Dorf zum Positiven veränderte und warum viele Fußballspieler ziemlich uninteressiert an solchen Themen sind.

Herr Lemke, Politik ist ein sehr gutes Thema, um Sie von der anderen Seite zu betrachten. Sie sind Berater des UN-Generalsekretärs für Sport im Dienst von Entwicklung und Frieden. Was haben Sie dabei konkret für Aufgaben zu bewältigen?
Mein Mandat fußt auf drei Säulen. Zunächst einmal ist es meine Kernaufgabe, mein Hauptjob sozusagen, die Vereinen Nationen im Bereich des Sports zu repräsentieren. Ich besuche Großereignisse und andere Veranstaltungen im Namen der UN. Die zweite Säule ist meine Rolle als Anwalt und Förderer des Sports. Das bedeutet: In Ländern, wo der Sport keine gewichtige Position einnimmt, setze ich mich dafür ein, dass sich die Politik diesem Thema verstärkt widmet. Es geht beim Sport nämlich nicht nur um Unterhaltung und Spaß, sondern auch um Gesundheit, Bildung und die menschliche Reife, die durch das Setzen und Erreichen von sportlichen Zielen positiv beeinflusst wird. Die dritte Säule dieses Mandats ist mein Einsatz als Vermittler in internationalen Streitfällen rund um den Sport, die allerdings verhältnismäßig selten auftreten – wenn man sich überlegt, wie viel Sport in der Welt betrieben wird. In meiner Vermittlerrolle bin ich jedoch auch für andere Projekte zuständig.

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Ganz salopp gefragt: Was macht Ihnen am meisten Spaß?
Die Vermittlungsarbeit im positiven Sinne. Wenn man zu Projekten reist, sich anschaut, was vor Ort gemacht wird. Wo ich mich aktiv einbringen kann, in dem ich etwa sage, wo Verbesserungspotenzial vorhanden ist. Oder wo ich erkenne, dass wir dort auch anpacken und ansetzen müssten. Ich bin kein Typ, dem es Freude macht, ewig lange Papiere aufzusetzen und Programme zu diktieren. Nein, ich packe da lieber selber an und versuche, mein Netzwerk zum Wohle dieser Projekte einzubringen.

Gibt es auch Ausnahmen?
Die gibt es natürlich. Darüber zu befinden, ob unsere Ressourcen besser beim Mädchenprojekt in Simbabwe landen, oder doch lieber nach Mittelamerika fließen sollten, kann ziemlich schwierig und unangenehm sein. Es überwiegt in der Regel aber das schöne Gefühl, selbst mit kleinen Dingen große Veränderungen herbeiführen zu können.

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Das hört sich ja alles sehr allgemein an. Gibt es dafür ein konkretes Beispiel?
Es gibt viele gute Beispiele. Wir bilden in Programmen immer wieder junge Männer und Frauen dazu aus, Projekte in ihren Heimatdörfern umzusetzen, um mit Hilfe des Sports etwas bewegen zu können. In den Kongo haben wir einmal Tischtenniskellen und Bälle geschickt. Tischtennis war den Dorfbewohnern überhaupt kein Begriff. Unsere Volontäre und die Kinder aus dem afrikanischen Heimatdorf haben dann aus kleinen Tischen eine eigene Platte zusammengestellt und versucht, etwas Netzähnliches in der Mitte zu platzieren. Davon haben sie uns dann Bilder geschickt. Ich griff dann zum Telefon und rief einen Kaufmann aus Bremen an und fragte, ob er nicht eine Platte für das Dorf organisieren und spenden könnte. Das tat er, und ein paar Wochen später erhielten wir Bilder von einem Tischtennisturnier. Man sieht darauf viele bunt angezogene Kinder und Jugendliche, die miteinander spielen und sich gegenseitig zujubeln. Das bewegt einfach, wenn man sieht, wie etwas für uns Selbstverständliches anderorts den Menschen Freude bereitet. Ich hörte mittlerweile davon, dass sich die ersten jungen Dorfbewohner vorgenommen haben, in die kongolesische Tischtennis-Nationalmannschaft aufzusteigen. Auch das ist ein Stück Hoffnung.

War das die schönste Story Ihrer Amtszeit?
Es gab viele Storys dieser Art. Eine Geschichte, die ich noch unbedingt erwähnen möchte, ist die aus Vietnam. Dort bekamen wir mit, dass sich HIV-infizierte Mütter massiv um ihre Kinder sorgen würden, da diese komplett von Gleichaltrigen isoliert aufwuchsen. Andere Kinder durften nicht mit ihnen spielen, da deren Eltern es verboten hatten, mit Kindern von HIV-Infizierten herumzutollen. Diese ausgegrenzten Mütter schafften ein großartiges Fußballprojekt. Der Erfolg hat mich bei einem Besuch in einem Dorf in der Nähe von Hai-Phong total begeistert. Die isolierten Kinder hatten durch das Engagement ihrer Mütter die Integration in ihre Gemeinschaft wiedergefunden. Das Erfolgsrezept hieß Fußballspiele organisieren und alle teilhaben lassen. Ein großartiges Beispiel sozialer Integration durch Sport.

Klappt das wirklich alles so reibungslos, wie in diesen Beispielen dargestellt? Oftmals herrschen in Entwicklungsländern Korruption und Unterschlagung.
Diese Beispiele sind natürlich besonders positiv verlaufen. Es gibt auch negative Erfahrungen, zum Beispiel wenn Gelder veruntreut werden. Aber aus derartig negativen Erfahrung müssen wir die notwendigen Konsequenzen ziehen und die Dinge besser organisieren, um Missbräuche dieser Art zu vermeiden. Es gibt auch Fälle im kleineren Rahmen, wo mit dem zur Verfügung gestellten Geld keine neuen Bälle für das Projekt gekauft  wurden, sondern etwa Medikamente für die erkrankten Kinder desjenigen, der das Geld  verwalten sollte. Ich würde also definitiv nicht pauschalisieren wollen, sondern von Fall zu Fall bewerten. Und dann gibt es noch viele durch und durch positive Beispiele. Eine Frau, die Mara genannt wird und auf einer Müllhalde geboren und großgeworden ist, hat über den Fußball einen Weg ins Leben gefunden. Ihren Spitznamen hat sie übrigens in Anlehnung an den großen Diego Maradona erhalten. Mara rechnet jede gekaufte Cola für ihre betreuten Kinder bei uns ab. Sie macht das ganz akkurat, fast schon zu penibel. Mara ist für mich nicht nur deshalb ein Vorbild. Auch sie zeigt, welche Kraft der Sport besitzt. Ihr ist es durch den Sport gelungen, der Tristesse der Müllhalde zu entfliehen. Sie hat in einem Slum Unterschlupf gefunden. Das mag für uns genauso traurig klingen, für Mara ist es dagegen ein enormer Aufstieg, ein Dach über den Kopf zu haben.

Wie kollidieren diese Erlebnisse eigentlich mit Ihrer Aufgabe im schicken Bremer Profifußball?
Einmal war es wirklich grausam und es gestaltete sich für mich schwierig, diese Situation schnell zu verarbeiten. Ich war den Tag zuvor noch in Ruanda, einem Land, in dem Jahrzehnte nach dem Völkermord noch immer schrecklichste Verhältnisse herrschen. Nach dem Elend, das einem dort vor Augen geführt wurde, ging es bei der Sitzung mit den Kollegen um furchtbar lapidare Fußballthemen. Das war belastend, weil man doch die Bilder des Vortages im Kopf hatte.

Man bekommt ja mit, wie sich viele Musiker engagieren. Im Verhältnis dagegen wirken die meisten Fußballspieler ziemlich uninteressiert an solchen Themen. Fast schon gleichgültig, wenn man sich vor Augen führt, wie belanglos die diskutierten Themen in diesem Geschäft sind.
Den Eindruck habe ich auch manchmal. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass ein großer Fehler im Fußball begangen wird. Den Spielern werden immer früher immer mehr Alltagsaufgaben abgenommen. Viele leben ab dem höheren Jugendbereich in ihrer eigenen Welt. Um alles andere neben dem Fußball kümmern sich Betreuer oder Spielberater. Dass dadurch irgendwann der Blick für die Probleme dieser Welt verloren geht, überrascht mich eher wenig.

Hat sich denn der Fußballfan Willi Lemke verändert?
Auf dem ersten Blick nicht. Ich liebe immer noch diesen Sport und bin durch und durch Werderaner. Aber mit einem signifikanten Unterschied: Für mich hat die Bedeutung eines Fußballspiels abgenommen. Früher war eine Niederlage enorm schwer zu verkraften. Ich habe nachts im Bett gelegen und mir die missglückten Szenen des Spieltags vor meinem geistigen Auge abgerufen und stellte mir dann immer wieder ähnliche Fragen:

Warum ging der Kopfball von Marco Bode Zentimeter vorbei, und nicht vom Innenpfosten ins Tor? Mittlerweile passiert das nicht mehr. Es ist ja „nur“ Fußball.

Herr Lemke, wir haben nun doch gar nicht darüber gesprochen, wie Sie den Job bekommen haben. Wie kam das eigentlich zustande?
Ich wurde bei einem Vortrag in der Schweiz darauf angesprochen, dass dieser Job frei werden würde. Wir haben darüber erst noch ganz locker erzählt und ich habe mich dann nach einigen Überlegungen auf diesen Hinweis hin um die vakante Position bemüht.

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Wie ging es weiter?
Schließlich wurde ich von der Bundesregierung für diesen Posten vorgeschlagen und es kam zu einem Bewerbungsgespräch mit dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon. Nicht persönlich vor Ort, sondern per Videokonferenz. Wenn ich heute behaupten würde, ich sei nervös gewesen, dann ist das sicherlich stark untertrieben. Offensichtlich muss ich mich ganz gut geschlagen haben, da ich diesen Job anschließend auch bekommen habe.

Wie viele Länder haben Sie seit ihrem Amtsantritt 2008 besucht?
Ich denke, die Hälfte der 194 Staaten dieser Erde habe ich schon gesehen.

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Gibt es da nicht Probleme? Ich meine, viel vom eigenen Zuhause in Bremen dürften Sie nicht sehen.
Das ist wahr. Ich bin circa 100 Tage im Jahr in Bremen, den Rest verbringe ich irgendwo in der Welt. Aber ich habe gelernt, mit den Strapazen umzugehen. So habe ich in der Tasche meiner Jogginghose, die ich bei Nachtflügen immer anziehe, ein paar Schlaftabletten gelagert, damit ich im Flugzeug gut schlafen kann.

Herr Lemke, nun haben Sie uns ja viel erzählt, was wir vorher nicht wussten. Ärgert Sie das nicht, dass in den Medien von Ihren UN-Aktivitäten selten etwas zu lesen ist?
Ich habe mich damit abgefunden, dass die persönlichen Probleme einzelner Bundesligaspieler für Redaktionen und Leser weitaus interessanter sind als über die eher langweilige Thematik, wie der Sport als Mittel für Entwicklung und Frieden in der Welt dient, zu berichten.

Zum Abschluss, gewissermaßen auch für die Leser. Wenn wir helfen wollen, was würden Sie uns raten? Geld, Klamotten – und vor allem an welche Projekte?
Ich glaube, dass man nicht zwangsläufig in die weite Welt schauen muss. Auch in Deutschland ergeben sich Probleme, denn vielen Flüchtlingen geht es alles andere als gut. Ich denke, hier kann man ganz leicht ansetzen und etwas tun. Wir haben zum Beispiel bei einem Laufwettbewerb in Bremen Sportsachen und Anmeldegebühren gestellt und sind mit dreizehn Flüchtlingen aus einer dieser Unterkünfte bei einem Lauf gemeinsam angetreten. Wir zeigen den Menschen so, dass sie willkommen sind. Ich schätze das als unglaublich wichtig ein. Ich habe Bilder aus Ländern gesehen, aus denen diese Männer, Frauen und Kinder zu uns kommen, um Hilfe zu suchen. Sie können jede Herzlichkeit gut gebrauchen.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.