Hansa-Analyse // Hit Me Breier One More Time
Pascal Breier streichelt die Kolumnisten-Seele. Dirk Diggler hat einen Cameo-Auftritt in einer Hansa-Analyse. Und wir feiern Opoku und haben trotzdem eine Träne im Auge. Plus: Der allererste Hansa-Spieler-Grade.
Content-Kreation: Hannes Hilbrecht
Illustration: Stefan Pede
Am Samstagabend lief der „Medicus“ im 3Sat. Also der Film, in dem sich ein junger Mann selbst beschneidet. Das Geräusch der Klinge habe ich noch immer im Ohr und es tut weh. Genauso fühlte sich auch der erste Nachmittag der Hansa-Saison an. Wie ein Stich dahin, wo es besonders schmerzt. Ein paar Minuten war Hansa sogar Tabellenführer, dann dieses dramatische Ende. Das war alles wie Karlsruhe, 4:4. Nur andersherum.
Nun aber Schluss mit dem ganzen Trübsal. Es gibt wirklich Schlimmeres im Leben als ein 3:3 gegen Viktoria Köln: Sächsische Touristen an unseren Stränden. Am ersten Wochenende des Monats im LT-Club abstürzen. Ein Til-Schweiger-Tatort. Die letzte Staffel Game of Thrones. Babys, die von ihren Vätern Makita genannt werden sollen, weil die werdenden Papas eine zu innige Beziehung mit ihrer Bohrmaschine pflegen.
Ein Remis gegen einen Aufsteiger ist angesichts dieser Tragödien wieder vollkommen nebensächlich. Und als allergenfreies Balsam für die hanseatischen Seelenschmerzen gibt es jetzt die hoffnungsvollste Hansa-Kolumne, seitdem es optimistische Hansa-Kolumnen gibt. Viel Spaß wünschen die BTB-Content-Kreatoren.
1. Warum hat Hansa nicht gewonnen?
Weil der FC Hansa die schlechteste Halbzeit unter Jens Härtel gespielt hat. Das hatte RTL-Niveau, und das ist leider keine Überspitzung. Am Ende waren die Kölner trotz des 0:3-Rückstands sogar deutlich näher am Sieg.
Für den Leistungseinbruch gibt es einige Gründe. Vielleicht war es sogar die Dimension der Führung: Ein 3:0 ist im Fußball manchmal ein viel gefährlicherer Zwischenstand als ein 2:0. Bei einer frühen, hohen Führung kommt es gelegentlich zu extremen Spannungsverlusten. Das erwischt übrigens auch die besten Teams in Europa. Zum Beispiel Borussia Dortmund in der vergangenen Saison gegen Hoffenheim. Oder noch etwas früher den AC Mailand gegen den FC Liverpool. Auch mal nett, Dortmund, Mailand und Rostock in einer Reihe zu lesen.
Die eigene Dominanz führte also dazu, dass die Konzentration nachließ. Der Schlendrian äußerte sich in unsauberen Pässen, leichtherzigen Abschlüssen oder zu zaghaften Zweikämpfen. Gut möglich, dass Albert Bunjakus Solo vor der Ecke, die zum 1:3 führte, bei einer knapperen Führung mit einem harten Foul gestoppt worden wäre. Stattdessen tanzte der Schweizer mit den Rostockern Cha-Cha-Cha.
In diesem Moment gab es den ominösen Momentum-Switch. Hansa begann zaghaft zu zweifeln, Viktoria wieder zu hoffen. Das veränderte die Chemie des Spiels. Als beim 3:2 ein Traumtor in den Rostocker Winkel fiel, kurz nach der Pause, riss Köln endgültig das Spiel in seine Hände.
Eine Extremsituation für beide Mannschaften. Diese psychologischen Aspekte werden im Fußball häufig unterschätzt. Dabei nimmt die Mentalität oft ganz entscheidend Einfluss. Sie sorgt dafür, dass manche Spieler unter gewissen Trainern rasant aufblühen oder unter anderen ebenso schnell abstürzen. Die Spieler lernen nicht sofort besser dribbeln, schießen und passen, sondern (neben einem neuen System und Spielformen) vor allem, mehr an sich zu glauben. Hansa gegen Köln – das war irgendwann kein Fußballspiel mehr, sondern eine Glaubensfrage.
Außerdem leistete sich Hansa individuelle Fehler, die anders als die Kölner Patzer nicht einmal erzwungen wurden. Beim 1:3 träumten Mirnes Pepic und Julian Riedel, beim 2:3 ließen sich der Kapitän und davor Nico Rieble in einem unbequemen Dreier von Viktorias Alphakevin Holzweiler vernaschen. Und beim 3:3 passte Markus Kolke eine Blake-Bortles-Interception. Pepic kam zwar an den Ball, doch so einen Anscheißerball hätte wohl auch kein Bundesligaspieler kontrollieren können.
Und, ganz zuletzt: Albert Bunjaku hat ein grandioses Spiel gemacht. Chapeaux.
2. Warum hat Hansa nicht verloren?
Wegen der besten 19 Minuten der letzten fünf Jahre. Hansa überragte, sowohl offensiv als auch defensiv, auf den Rängen gefiel trotz des büssen Rauch die Choreo. Und das ganze Stadion war so verdammt schön blau.
Sportlich zeigten die Rostocker den Kölnern in fast jeder Situation andere Spielweisen gegen den Ball. Das harte Pressing mit vier Spielern an der Kölner Strafraumgrenze wechselte sich mit deutlichen softeren Verteidigungsmaßnahmen ab. Hansa changierte fließend zwischen den Härtegraden “Dirk Diggler” und “Michael Bolton”. Zuckerbrot und Peitsche. Das muss extrem verwirrend für die Gäste gewesen sein. Besonders die Kölner Innenverteidiger litten unter diesem Dauerstress.
Im Angriff war der ballsichere Korbinian Vollmann anfangs der unauffälligste Offensivspieler. Und das soll keine Kritik sein, sondern eher ein Lob an Aaron Opoku, Pascal Breier und Jonas Hildebrandt.
Breier war mit seinem Tempo ein steter Unruheherd, Hildebrandt wirkte befreit in der offensiven Zone. Opoku überraschte mit einigen starken Abspielen. Doch Frontmann der Lartey-Jänicke-Ziegenbein-Revival-Band war für mich Breier.
Beim 1:0 erzwang er das Eigentor, beim 2:0 war sein Pressing auf den Kölner Keeper entscheidend dafür, dass Unglücksrabe Daniel Kyereh überhaupt ein Tor vorlegen konnte. Die Flanke vor dem 3:0 auf Hackengott Opoku kam scharf und präzise. Breier ist kein dauerhafter Außen, aber er kann punktuell dorthin ausweichen und so die Abwehr auseinanderziehen. Beim 3:0 gelang das bilderbuchmäßig. Viktoria-Keeper Daniel Mesenhöhler hatte da sicher schon einen Ohrwurm: Hit Me Breier One More Time.
3. Die Leistung des Trainers
Jens Härtels Pläne gingen anfangs auf. Trotz minimaler Kader-Ressourcen fand er mit Jonas Hildebrandt die ideale Option für die Startelf. Das Selbstverständnis, mit dem die Rostocker auftraten, erinnerte an die kühne Phase, als der FC Hansa sogar RB Leipzig im sächsischen Dosentempel sautierte. Eine gute halbe Stunde schien die Mannschaft so unbezwingbar wie damals. Kann man ein Team besser einstellen?
Doch in der zweiten Halbzeit entglitt Härtel das Spiel, er schien machtlos. Vielleicht, und das ist der einzige direkte Kritikpunkt, wechselte der Trainer seinen häufig verschmähten Reservisten Bülow zu spät ein. Mit diesem Wechsel schloss Härtel nämlich die klaffende Wunde in der zentralen Defensive. Ein BWL-Justus-Typ wie Bülow (ich mag ihn wirklich) kühlt eben allein mit seiner Anwesenheit eskalierende Parties wieder runter. Hashtag: #bittemehrbülowwagen
4. Wer macht Hoffnung?
Die erste Halbzeit. Und das Ballgefühl von Aaron Opuku. Das war offensiv noch viel besser als erhofft. Und nicht zu vergessen: Es war sein Drittliga-Debüt! Da kommt sicher noch ganz viel mehr. Der Junge eroberte mit seiner Fantasie viele Hansa-Herzen. Und seine Credit-Points sammelte er nicht nur bei der Radiohead-, sondern auch bei der Schalala-Fraktion im Stadion. Die einen mögen es schön, die anderen schmutzig. Oder wie ein gewitzter Leidensgenosse nach dem derben, fast rotwürdigen Frustfoul kommentierte: Der Aaron ist endgültig in Rostock angekommen. Ganz wichtig: Opokus Hackentor wird noch einige Monate unsere Tagträume mit einem kurzen Moment der Melancholie stimulieren. Wisst ihr noch, damals, als Opoku das erste seiner zehn Tore gemacht hat?
5. Quick and Dirty: Drei Gründe, warum Hansa in Halle gewinnt:
1. Der Hansa-Kader wird dann hoffentlich noch etwas breiter sein und Härtel hat ein, zwei Optionen mehr im Angriff.
2. Julian Riedel findet seine Oumar-Konde-Parodien nicht mehr witzig und zeigt wieder sein wahres Gesicht: Das eines guten Verteidigers.
3. Breier schießt dieses Mal einen Doppelpack, weil er unbedingt nochmal die Headline: “Hit me Breier One More Time” bei BTB lesen will.
6. Und jetzt zu einer Weltpremiere: Der erste Pro-Football-Like-Hansa-Grade
Der Player Grade der Woche:
Vorab: Ich bin kein Freund von klassischen Noten. Zu oft sind sie nur der kurze Abriss eines ersten Eindrucks. Gerade im Fußball ist das so. Wer ein Tor schießt, kriegt eine Zwei; wer einen entscheidenden Fehler macht, eine Fünf. Dann ist es vollkommen egal, wie gut oder schlecht die Spieler abseits dieser Schlüsselszenen waren.
Bei Good Morning Rostock wagen wir etwas Neues und vergeben ab sofort Player Grades. Die kommen eigentlich aus dem American Football. Die Leistung eines jeden Spielers wird dort Szene für Szene ermittelt. Wir kupfern das Format von Pro-Football-Focus ab und haben dafür eine eigene Formel entwickelt.
Wir berechnen die Spielergrades aus drei Werten:
1.60 Prozent – die Performance in jeder relevanten Szene
2.20 Prozent – die jeweilige Leistung in den Schlüsselszenen des Spiels (auch bei 1. schon beachtet, hier nochmal aufgewertet)
3.20 Prozent – die Gesamtwirkung eines Spielers auf die eigene Mannschaft und das Endergebnis. Heißt: Wer in 90 Minuten sechs herausragende Szenen hatte, hatte eben nur sechs herausragende Szenen. Einen perfekten Grade gibt es nur, wer sich komplett reinhängt und mannschaftsdienlich agiert.
Jede relevante Szene wird auf einer Skala von 0 bis 5 bewertet. Je höher der Wert, desto besser war die Performance in der jeweiligen Aktion. So können wir auch gute Leistungen von Spielern, die unter dem Radar schwirren, besser sichtbar machen.
Am Ende können wir nach einigen Rechenschritten einen Wert von maximal 100 angeben. Verteidiger Adam Straith erreichte im ersten Spiel eine 78,3. Das heißt: Nach unseren Einschätzungen des Livebildes und dem Studium aller Szenen auf Tape (Re-Live) hat er zu 78,3 Prozent seine Situationen gut gelöst. Das ist ein sehr starker Wert. Zur Halbzeit lag dieser sogar bei über 85 Prozent.
Generell begreifen wir die Werte so:
+85: Sehr gut | +70: Gut | +60: solide | -60: fehleranfällig | 50: schwach
Auch haben wir uns klare Regeln gesetzt:
1. Ein Fußballprofi weiß im Normalfall am besten, wie enttäuschend seine Leistung am Wochenende war. Das muss kein Blog noch zusätzlich mit einem Grade erläutern. Wir verzichten daher darauf, die Spieler nach schwachen Leistungen zu graden und weiter bloßzustellen.
2. Aus Zeitgründen graden wir nur zwei Spieler pro Spiel. Immer einen Profi aus der Defensive und einen aus der Offensive. Für den zweiten Grade brauchen wir aber Seiten-Likes ;).
3. Wir weisen zwingend darauf hin, dass auch diese Grades nur ein intensiverer subjektiver Eindruck sind. Zum Beispiel können wir nicht beurteilen, welche Anweisungen die jeweiligen Spieler vom Trainer bekommen haben. Unsere Grades sind nicht perfekt. Sie sind aber sicher aussagekräftiger als eine klassische Benotung in der Zeitung.
Die Rostock-Premiere mit Adam Straith
Unbezahlte Werbung: Die folgenden Screenshots dürfen wir mit freundlicher Genehmigung von Magenta Sport zeigen. Die Player Grades und erklärenden Screenshots sind übrigens nur dank des Angebotes möglich. Das Re-Live ist ein Highlight für jeden Fußball-Nerd. Hier geht es zur Zusammenfassung des Spiels!
Adam Straith: Grade 78,3
Alle bewerteten Szenen: 80,5 | Schlüsselszenen: → 75 | Team-Impact → 75,0 |
Die Schlüsselszenen:
Das 1:3: Torschütze Bunjaku schleicht sich im Rücken von Straith zum Kopfball. Das sieht erstmal blöd aus, ist aber nicht sein Fehler. Wie im Screenshot zu sehen, bewacht Straith seinen Raum und beäugt den Gegenspieler, der seine Zone bedroht. Das ist sein Job. Es sind Pepic und Riedel, die gar nicht oder zu spät auf den durchflutschenden Kölner reagieren. Warum es in dieser Szene trotzdem einen negativen Grade für Straith gibt? Bei Bunjakus Dribbling, dass die anschließende Ecke überhaupt ermöglicht hatte, misslingt Straith ein frühes Tackling.
Das 2:3: Straith rückt forsch raus, nach dem Riedel ein Kopfballduell verliert. Er ist schnell am Gegenspieler, kann jedoch die Vorlage zum späteren 2:3 nicht verhindern. Doch drei Punkte entlasten den Routinier.
- Ist diese Ablage des Balles schwer zu verteidigen. Er ist nah am Mann (steht fast auf den Fersen des Gegners) und erlaubt nur das eigentlich “ungefährliche” Zuspiel auf die Außen.
- Haben seine Kollegen danach noch genügend Zeit, den Sonntagsschuss vielleicht nicht abzuwürgen, aber zumindest zu erschweren. Doch sowohl Rieble (sein Bein streicht einen Meter am Ball vorbei) als auch Riedel (steht zu tief und lässt sich verladen) lösen kaum Stress beim Schützen aus.
- Straith deckte binnen Sekunden seinen Gegenspieler und nahm Viktorias Schützen Holzweiler eine wichtige Anspielstation.
Das 3:3: Straith spielt aufgrund des Druckes von Bunjaku den Ball zurück zum eigenen Torhüter. Danach läuft er sofort nach Rechtsaußen und zeigt Kolke sogar direkt den sicheren Ausweg über die rechte Außenbahn an (grüner Kreis). Bunjaku öffnet diesen Passweg, weil er Kolke presst.
Doch Kolke übersieht diese Option. Sein Pass wäre beim Football eine klassische Interception gewesen. Anschließend hat Straith einen Weg von etwa 20 Metern, um Bunjaku zu stoppen. Er erreicht die Szene just-in-time, wird aber vom Stürmer, der es extrem abgezockt macht, souverän ausgespielt. Doch auch hier ist es ein anderer Hanseat, der in der besseren Position war, das Tor zu verteidigen.
Das Lob: Straith spielte in der ersten Halbzeit groß auf. Er gewann Tacklings, verteidigte auch ohne direkten Zweikampf ein, zwei mal durch kluges Stellungsspiel den Strafraum. Seine Gegenspieler attackierte er früh. Hohe Bälle der Kölner köpfte er erstaunlich kontrolliert zu seinen Mitspielern. Beeindruckend: Sein Pass über 20, 30 Metern, den er trotz Druck an der Seitenlinie scharf und präzise im Mittelfeld anbrachte. Andere Drittligaverteidiger hätten den Ball blind weggeschlagen. Straith behielt bei mehreren wichtigen Zweikämpfen in Umschaltsituationen oder gar im Strafraum die Ruhe.
Die Kritik: Sein Mitspieler Julian Riedel machte kein gutes Spiel. Das kann immer mal passieren. Footballer are Peoples to. Straith, der vermeintliche Ruhepol, attackierte trotzdem in der zweiten Halbzeit noch offensiver an der Mittellinie. Zweimal ließ er sich hier aus derbe den Spiel nehmen und brachte so seinen verunsicherten Kapitän und Partner in arge Bedrängnis. Straiths Spielart, die am Samstag Mats Hummels offensiven Häscherstil ähnelte, schien Riedel noch mehr zu verunsichern.
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