1 Jahr Peter Knäbel: Was wurde aus dem HSV?
Seit der jetzige Vorstandsvorsitzende Dietmar Beiersdorfer sein einstiges Amt des Sportdirektoren, das er sechs Jahre innehielt, nicht mehr ausführt, halten sich Männer auf diesem Posten beim HSV eher kürzer: Bastian Reinhardt war ein Jahr am Werk, sein Nachfolger Frank Arnesen immerhin fast zwei volle Jahre. Dem Dänen folgte Oliver Kreuzer, der von Juni 2013 bis Juli 2014 blieb. Drei Monate später, am 1. Oktober 2014, nahm Peter Knäbel seinen Dienst auf. So lange der also noch da ist, werfe ich mal einen Blick auf sein bisheriges Werk.
Foto: Torsten Helmke
Nicht zuletzt durch das „Rucksackgate“ steht Peter Knäbel in der Kritik. Doch den 49-Jährigen darauf zu reduzieren, dass man ihm sensible Daten entwendet hat, ist ebenso hanebüchen wie die Tatsache, dass manch einer seiner im anonymen Internet sehr mutig auftretenden Kritiker ihm vorschreiben möchten, in welchem Objekt er diese Daten denn herumzutragen habe – ein Rucksack sei nicht seriös genug – und aus der Tatsache, dass er eben einen Rucksack verwende, Rückschlüsse auf sein eigentliches Arbeiten ziehen zu wollen. Nun ja.
Wie gesagt, der Rucksack ist hier gar nicht das Thema, sondern eher alles andere, was Peter Knäbel (sich) beim HSV bisher geleistet hat. Und das ist gar nicht so wenig. Gehen wir davon aus, dass auch Peter Knäbel in seiner Funktion als Sportdirektor mindestens 40 Stunden pro Woche arbeitet – und es werden tendenziell eher mehr sein – ist es ihm gutzuhalten, dass er sich darüberhinaus noch weiter für den HSV engagiert hat.
Da wäre beispielsweise die Tatsache, dass er zumindest zu Beginn seines Engagements einige Einheiten des so genannten Perspektivtrainings geleitet hat. In diesem Training standen und stehen einmal wöchentlich die talentiertesten Kicker von der U17 bis zur U23 gemeinsam auf dem Feld. Sicher bin ich an anderen Verein nicht so nah dran wie beim HSV, und selbst hier ja auch nur so nah, wie es ein Fan eben sein kann. Aber von anderen Sportdirektoren bei anderen Klubs habe ich so etwas bisher nicht gelesen: Dass sie den feinen Zwirn und die Budapester gegen Trainingsanzug und Buffer tauschen, um sich aus nächster Nähe ein Bild zu davon machen, ob es denn demnächst ein Spieler bis ganz nach oben schaffen könnte.
Was schon viele Sportdirektoren gemacht haben – zumindest beim HSV – ist, sich auch mal auf die Trainerbank zu setzen. Dieser Kelch ging auch an Peter Knäbel nicht vorbei. Gewollt hat er es sicher nicht. Doch nachdem die gut gestartete „Bis auf weiteres“-Lösung Joe Zinnbauer eine handfeste Ergebniskrise hatte, sah sich HSV-Chef Beiersdorfer nach dem 26. Spieltag der Saison 2014/15 zum Handeln gezwungen und installierte Knäbel als Interimstrainer. Inzwischen ist ja leidlich bekannt, warum der HSV seinerzeit so handelte: Man suchte Platzhalter für Thomas Tuchel, der an die Elbe kommen sollte und wollte für den Rest der Saison, die schon irgendwie gut ausgehen würde, keinen „echten“ Trainer mehr holen.
Matthias Linnenbrügger, der Sportchef der „Hamburger Morgenpost“, bewertet das so: „Dass Knäbel nach der Entlassung von Zinnbauer und getrieben von der Hoffnung auf eine Zusammenarbeit mit Tuchel selbst das Trainer-Amt übernahm, hat ihm extrem geschadet. Allerdings war es mutig und vor allem uneitel, diesen Fehler einzugestehen und schon nach zwei Spielen die Rolle rückwärts zu vollziehen. Mit Labbadia holte er einen starken Trainer, der es ihm seither ermöglicht, im Hintergrund zu agieren. Eine Rolle, die ihm besser liegt.“
Endlich konnte sich Peter Knäbel wieder auf sein eigentliches Tagesgeschäft konzentrieren. Das war auch bitter nötig, stand doch die für ihn wichtigste Zeit vor der Tür: die Sommerpause. Dass sich der HSV in dieser überhaupt noch Erstligist nennen durfte, hatte er nicht zuletzt auch Knäbel zu verdanken. „Seine Wintereinkäufe schlugen zwar nicht wie erhofft ein, trugen aber auf der Zielgeraden mit wichtigen Toren – Olic gegen Schalke, Diaz in der Relegation in Karlsruhe – maßgeblich zum Klassenerhalt bei“, sagt Matthias Linnenbrügger.
Nun begann Knäbels bislang wichtigste Arbeit: der so oft zitierte wie nötige Umbruch. Nicht weniger als 15 Spieler mussten oder wollten gehen und entlasteten den Etat. Unter ihnen Großverdiener wie Valon Behrami, Heiko Westermann, Marcell Jansen und Rafael van der Vaart. Verkäufe bzw. nicht durchgeführte Vertragsverlängerungen dieser Akteure, die ihre beste Zeit längst hinter sich hatten, waren zwingend notwendig und wurden konsequent durchgeführt – auch, wenn dies nicht im Sinne vieler Fans war, besonders, was die Personalien „HW4“ und „MJ7“ angeht.
Natürlich muss ein Sportdirektor eines Klubs, der nicht mehr zur Bundesliga-Elite zählt, auch Kröten schlucken: Talente wie Jonathan Tah sahen woanders bessere Chancen auf ihre Weiterentwicklung; andere Talente wie Mohamed Gouaida und Matti Steinmann waren aus verschiedensten Gründen immer noch nicht so weit, dass sie dem HSV weiterhelfen konnten und wurden verliehen – wieder zum Unmut der Fans. Doch Knäbel hat sich ein dickes Fell zugelegt und sich trotz des Gegenwinds diese beim Volke so unpopulären Entscheidungen getroffen.
Nicht minder unpopulär war auch die Maßnahme, Emir Spahic unter Vertrag zu nehmen, gerade vor dem Hintergrund, dass mit dem eben angesprochenen Jonathan Tah ja ein Juwel da war, um das herum man ein Team formen wollte. Aber wie gesagt: Tah wollte weg, und es musste kurzfristig ein Ersatz her, der nicht viel kostet und viel Erfahrung hat – zumindest so viel, dass man die Zeit, die Cleber Reis braucht, um endlich in der Bundesliga anzukommen, überbrücken kann. Dafür ist Spahic eine gute Lösung.
Auch alle anderen schon in der Bundesliga eingesetzten Neuzugänge sind sinnvolle Einkäufe: Albin Ekdal hat sich nach anfänglichen Schwierigkeiten gut in die Mannschaft eingefügt und ist ein schneller, technisch versierter Mann. Mit Sven Schipplock ist endlich jemand da, der Pierre-Michel Lasogga den Hintern heiß macht – ähnlich verhält es sich mit Gotoku Sakai, dessen Atem die Diekmeiers und Ostrzolek dieser Welt nun riechen und entsprechend mehr Akzente zu zeigen versuchen. Michael Gregoritsch ist ein Guter, wenn auch teurer Perspektivkauf. Bleibt noch Aaron Hunt, der genau das darstellt, was man seinerzeit in Rafael van der Vaart zu haben gehofft hat: Ein spielstarker, schwer vom Ball zu trennender Mittelfeldspieler, der sich dank seiner erworbenen Routine kaum aus der Ruhe bringen lässt. Ein toller Einkauf.
„Es ist schwierig“, zitiere ich Matthias Linnenbrügger ein letztes Mal, „die Transfers des Sommers schon nach acht Spieltagen zu beurteilen. Aber aus meiner Sicht hat er vor allem mit Ekdal und Spahic erfahrene Leute geholt, die dem Team Stabilität verleihen.“
Dem füge ich nichts hinzu. Außer diesem: Alles in allem hat es Peter Knäbel mit 15 Ab- und acht Zugängen geschafft, den Kader zu entschlacken und gleichzeitig qualitativ anzuheben. Das ist ihm anzurechnen. Nun liegt es an Bruno Labbadia, daraus etwas zu machen.