Zu Gast beim stärksten Spieler der Welt
In diesem Sommer war ich mit meinem Freund Finn zwei Monate lang in London. Unser Plan: Abseits der bekannten Premier-League-Plätze die vielen kleinen Fußballstätten der englischen Hauptstadt entdecken. Achja, mein Name ist Ole, ich bin 20 Jahre jung und wohne normalerweise in Halstenbek.
Sommer. London. 2015 … Guten Morgen! Auf meiner Zunge liegt der fade Geschmack von Gin Tonic und Applecider. Gestern wurde es wieder länger. Nachdem wir an der Stamford Bridge waren und ein paar Hansa-Sticker auf diesen „Tempel des Kommerzes“ klebten, fanden wir uns wieder einmal bei Darts und Alkohol im „The Hope and Anchor“ wieder, einem kleinen Hotspurs-Pub an der Tottenham Lane. Die Idee immer dann zu trinken, wenn Phil Taylor die Triple-Twenty trifft, war wohl nicht meine beste. Zwei Wochen ist es nun schon her, dass Finn und ich ins Flugzeug nach Luton gestiegen sind, um zwei Monate in der drittgrößten Stadt Europas zu leben. Raus aus Deutschland. Raus aus unserer tristen Heimat im Westen Hamburgs. Rein ins Mutterland des Fußballs.
Die Fußballmagie der Engländer erleben bis das echte Leben beginnt, das haben wir uns für unsere letzten Sommerferien vorgenommen. Während unsere Freunde an den Stränden von Byron Bay oder Ko Pha-ngan exotischen Schönheiten nachstellen, stehen wir im Matsch von Londons Amateur-Fußballplätzen um mit ein paar alkoholisierten Rentnern, deren Bäuche allesamt praller als die Brüste von Katie Price sind, die „Lads“ anzufeuern.
Unsere Reise führte uns bis jetzt schon durch 4 Ligen. Vom gusseisernen Tor des „King‘s George Field“, in dem wir die achtklassigen Jungs vom „Corinthian-Casuals F.C.“ bewundern durften, über den ältesten Fußballverein der Welt, die „Cray Wanderers“, die an der 1938 eröffneten „Hayes Lane“ ihre Spiele austragen, bis hin zum „Hayes & Yeading United F.C.“, dessen Mittelstürmer augenscheinlich in der Nacht zuvor zu hart feiern war, haben wir einiges besichtigt.
Heute steht unser erstes Profispiel an. Football League 2, vierthöchste Spielklasse. AFC Wimbledon gegen Exeter City. Die Dons, die in dem Stadtteil beheimatet sind, in dem das breite Interesse eigentlich eher dem kleinen, gelben Ball gilt, seien ein super sympathischer Club, mit offenen Fans und günstigen Bierpreisen, sagte uns Bartender Richard gestern. Da würden sich auch die fast zwei Stunden Fahrt lohnen. Nach einer kalten Dusche und einem mehr oder weniger aufmunternden Schwarztee geht es also los. Es ist einer dieser typischen Londoner Sommertage, bei dem die tiefstehende Sonne mit dem Smog der Stadt zu verschmelzen scheint. Zu Fuß geht es zur Bushaltestelle „YMCA Hornsey“. Dann in die W3 Richtung „Finsbury Park Station“, durchs Drehkreuz und in die, wie jeden Tag überfüllte, Victoria Line. Wir haben Glück. Mit uns sind zwei Männer mittleren Alters in die Metro eingestiegen, die man durch die blauen Jerseys klar als Wimbledon Fans identifizieren kann. Nach gegenseitiger Vorstellung und der Erkenntnis, dass „Germans“ überall auf der Welt gut ankommen, beginnen Micah und Nick über Ihren Verein zu sprechen. Viel hätten sie schon durchgemacht. Es sei ein auf und ab. Der größte Einschnitt für jeden Wimbledon-Fan und die bitterste Erinnerung liegt jedoch Anfang dieses Jahrtausends.
„Fu***** Winkelman“ bricht es aus Micah heraus.
Nachdem der FC Wimbledon seit den siebziger Jahren in den unterklassigen Profiligen Englands rumdümpelte und eher ein Durchschnittsverein war, begann Ende der Achtziger die große Zeit, die mit dem Gewinn des F.A. Cups 1988 und dem Aufstieg in die Premierleague 1992 gekrönt wurde. Den sportlichen Erfolg überschattete jedoch ein großes Problem, welches den Verein schon seit Ende der siebziger Jahre belastete. Die Holzbänke der altehrwürdigen „Plough Lane“ rotteten allmählich durch und wurden den Süd-Londonern schließlich zum Verhängnis. Aufgrund finanzieller Missstände, die eine Sanierung der „Plough Lane“ unmöglich machten, mussten die Dons Mitte 1992 in den zehn Kilometer entfernten „Selhurst Park“ zu den Crystal Palace Eagles umziehen.
Zur selben Zeit setzte sich Musikmogul Pete Winkelman das Ziel, einen Profi-Fußballklub in seiner Heimatstadt Milton Keynes zu etablieren. Die viertel Millionen Einwohner, der hundert Kilometer nördlich von London gelegenen Stadt, sollten auch endlich das Privileg bekommen, guten Fußball vor der Haustür zu sehen. Winkelmans Plan war es jedoch nicht, einen neuen Fußballverein aus dem Boden zu stampfen, sondern einen bereits etablierten Club zum Umzug zu bewegen. Hierbei setzte er sein Augenmerk vornehmlich auf die finanziell schwachen und vom sportlichen Misserfolg geplagten Vereine. Als ihm jedoch nacheinander die Club-Bosse von Luton Town, Barnet FC und den Queens Park Rangers absagten, war er schon kurz davor seine Pläne wieder zu begraben. Durch den Abstieg der Dons aus der Premierleague im Jahre 2000, bot sich ihm jedoch die erneute Möglichkeit vom Leid eines Clubs zu profitieren. Und so kam es, selbst nach großen Protesten innerhalb der Fanszene, 2002 zum Kauf der Franchise durch Winkelman und 2003 schließlich zum Umzug der Dons nach Milton Keynes. Obwohl sich der offizielle Fanclub des FC Wimbledon geschlossen dafür aussprach, den Ursprungsnamen beizubehalten, setzte sich Winkelman als neuer Eigentümer darüber hinweg und änderte den Namen in Milton Keynes Dons. Daraufhin wurden auch die Vereinsfarben von gelb-blau zu weiß-gold geändert
Mittlerweile sind wir in „Vauxhall“ angekommen und müssen in einen Zug der South West Linie umsteigen. Die blauen Trikots werden zahlreicher. Begeistert stellt man uns anderen Fans vor und allmählich kommen wir in den Modus, den man vor einem Fußballspiel erreichen will. Ich empfinde diese ungreifbare Vorfreude in Kombination mit Kribbeln im Bauch und der leichten Vernebelung durch die drei Bier, die ich mittlerweile schon intus habe. Ein Gefühl, dass ich sonst eigentlich nur auf dem Weg von Lichtenhagen zum Holbeinplatz habe, wenn ich zum FC Hansa fahre. Irgendwie haben es Micah und Nick aber geschafft, mich vor dem erstmaligen Besuch des Kingsmeadow Stadion, schon zu einem Anhänger ihres AFC Wimbledon werden zu lassen.
Schließlich erreichen wir die „Raynes Park Station“. Nun sind es nur noch 15 Busminuten, bis wir endlich am Ziel sind. Im Bus wird es lauter, wir lernen erste Fangesänge und werden in die Mannschaftsaufstellung eingeweiht. Beim Aussteigen höre ich Immer wieder einen Namen: „Akinfenwa“. Er soll der stärkste Spieler der Welt sein, meint Nick mit einem Schmunzeln. Als ich das Kingsmeadow-Stadion betrete, sehe ich Ihn schließlich. 110 Kilo Körpermasse auf einer Größe von 1,78 Meter, haben dem Briten nigerianischer Abstammung nicht umsonst den Spitznamen „The BEAST“ eingebracht. Akinfenwa ist eine Legende in der Football League. Seit 2003 hat er für zehn verschiedene Vereine gespielt und insgesamt 140 Buden gemacht. 2014 wechselte er zum AFC und machte sich Anfang des Jahres unsterblich, als er im F.A. Cup gegen den FC Liverpool traf. Seitdem hat er eine Art Chuck Norris-Status in Süd-London. „AFC Wimbledon was a great signing for Akinfenwa“ oder „When Akinfenwa visits your home, you’re a guest“ sind nur einige Sprüche die ich im Laufe des Tages hören durfte.
16 Uhr. Anstoß.
Wenn ich ehrlich bin, erinnert mich die Spielweise der Clubs stark an das deutsche Drittliganiveau. Erstmals laut wird es in der 28. Minute. George Francomb, der „Eden Hazard des AFC“ (O-Ton Micah), trifft nach einer Kopfball-Verlängerung von Riese Tom Elliot (1,93m) per Dropkick zum 1:0. Die Freude darüber hält aber leider nicht lange an, da Ryan Harley in der 33. Minute den Ausgleich für die Männer aus Cornwall erzielt.
Nach der Halbzeit bekommt man das Gefühl, einer Kreisliga-Partie beizuwohnen. „The Beast“ bewegt sich nur noch zahm in einem Radius von fünf mal fünf Quadratmetern und der „Eden Hazard des AFC“ scheint in der Halbzeit zu viele Poffertjes gegessen zu haben. In der 67. Minute wird es Trainer Neal Ardley zu bunt, und er nimmt Legende Akinfenwa und Assist-Geber Tom Elliot vom Platz. Im Spiel sind nun der junge Brite Adebayo Azeez und Lyle Taylor, einziger Profifußballer seines Heimatlandes Montserrat. Die 82. Minute bricht an. Nick und Micah haben sich eigentlich schon mit dem Unentschieden abgefunden, da bricht Lyle Taylor auf der rechten Seite durch und flankt den Ball gekonnt auf den Kopf von Adebayo Azeez der sicher einnickt. 3800 Fans in Ekstase. Die Lautstärke weitaus ohrenbetäubender als ich sie je in einem Camp Nou oder Etihad Stadium erlebt habe. Das ist Fußball in der englischen Provinz.
Nach der Ehrenrunde der Dons, die von „Rockin‘ All Over The World“ begleitet wird, laden uns Micah und Nick noch zu einem Stadion-Burger ein, „Because in Kingsmeadow, only the visitors get the sausage“. Abends sitzen wir wieder einmal bei Gin Tonic und Applecider im „Hope and Anchor“. Dieser Tag hat mir gezeigt, dass es, egal in welcher Liga, ehrliche und ihren Verein liebende Fans gibt, die sich von keinem Investor den Spaß am Fußball verderben lassen. Beruhigt über diese Erkenntnis und mit der Hoffnung, dass sich viele Vereine, denen ein ähnliches Schicksal wiederfahren ist, den AFC zum Vorbild nehmen, bestelle ich mir das nächste Glas.