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Ultra-Interview | Ordner sind schlampig

INTERVIEW | Es ist ungeschriebenes Gesetz in der Ultra-Fan-Szene, nicht mit der Presse zu reden. „Ultra“ Lenny (Name von uns geändert) tut es trotzdem. Ein Interview über Gefahren im Fanblock und der Kick zu Kloppen.

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Wir haben Lenny („Habe ungefähr 300 Bengalos gezündet“) in der vergangenen Woche getroffen und sprachen knapp zwei Stunden über die aktuellen Fanblock-Themen.

Lenny, warum zündeln Sie?
In erster Linie bringt es Spaß. Andererseits gebe ich meiner Fußballleidenschaft so ein stimmungsvolles Bild. Brennende Bengalos transportieren den Fanatismus mit viel mehr Emotionen als wehende Fahnen. Bengalos sind das ultimative Stilmittel.

Nur glühen sie bei 1600 Grad und sind extrem gefährlich.
Klar kann man sich am Bengalo fürchterlich verbrennen. Aber wie überall ist der Umgang entscheidend. Verhalte ich mich sorgsam, ist das Risiko sehr gering. Mann kann sich auch mit einem Messer schneiden und trotzdem hat jeder welche in der Küche.

Letztes Jahr verletzten sich in Bochum zwei Nürnberger Fans im Umgang mit Bengalos schwer.
Das waren wohl keine Fackeln, sondern so selbst gebautes Zeug. Wenn die Leute so einen Schwachsinn machen, muss man sich nicht wundern wenn was passiert.

Was sich viele fragen: Wie gefährlich sind Bengalos für Menschen, die in unmittelbarer Nähe der Fackel stehen?
Im vollen Fanblock wird es immer ein Risiko geben. Um die Gefahren zu minimieren, haben wir uns gewisse Grundregeln, wie feste Zündelzeiten verordnet. Vor dem Anpfiff und nach der Halbzeit darf gezündet werden. Dann werden die Bengalos auf den Boden gelegt und jeder weiß vorher Bescheid um Abstand zu halten. Da passiert gar nichts. Was im Übrigen auch der Hamburger Fußballverband in seiner neuen Richtlinie bestätigt.

Auf den Amateuranlagen tummeln sich 150 Leute, im Bundesligastadion stehen 15.000 in einem Block.
Deswegen bin ich gerade in großen Arenen für organisiertes Zündeln. Zeitlich und vor allem räumlich. Direkt hinter dem Zaun sollte es zwei, drei Quadratmeter für die Bengalo-Halter geben. Und Zünden ist nur vor dem Spiel und in der Halbzeit erlaubt. Die Spontanität, das Zünden nach einem Tor, wäre dann zwar nicht mehr möglich. Aber es wäre besser als gar nichts.

Sie zündeln selber seit Jahren. Worauf achten Sie beim Abfackeln immer?
Auf genügend Abstand. Ich lege die Bengalos immer auf den Boden, denn da gehören sie nach meinem Geschmack hin, und gehe eins, zwei Meter zurück. Andere sitzen auf dem Zaun oder halten den Bengalo aus dem Block – Das ist auch okay.

Wie kommen zig Bengalos eigentlich Woche für Woche in große und im Grunde gut kontrollierte Stadien?
Oft sind die Ordnungsdienste einfach schlampig und schauen nicht richtig nach. Auch Frauen wurden schon als Boten eingesetzt. Den Rest der Abwicklung kann sich jeder denken.

Wo und vor allem wie beschaffen Sie sich die Bengalos?
Na ja, deutsche Produkte taugen nichts. Deswegen: Ausland. Ich bestelle in Polen oder Tschechien. Oder, und dort läuft es am besten, in Italien. Die Versandkosten sind mit min. 22 Euro pro Lieferung zwar extrem hoch. Aber zwei Mal im Jahr geht das. Außerdem bestelle ich dann für mehrere Leute mit. Dann passt das.

Was kosten Bengalos?
2 bis 2,50 Euro das Stück.

Ist die Einfuhr von Pyrotechnik in Deutschland erlaubt?
Nein. Weil die Dinger keine BAM-Zulassung haben, dürfte ich sie eigentlich nicht einführen. Deswegen lasse ich mir den Versand auch nicht auf meinen Namen nach Hause schicken. Falls doch mal kontrolliert werden sollte.

Ultras und Hooligans, worin unterscheiden sich die Gruppen?
Zu den Ultras: Die gehen nicht los und hauen dem Gegner auf die Schnauze, dass gehört nicht zur „Mentalita di Ultra“. Die wollen sich in erster Linie zeigen, in fremden Städten ihre Farben präsentieren und einen guten Auftritt hinlegen. Und wenn es knallt, dann knallt’s eben, das nimmt man dann hin. Der Hooligan dagegen sucht sich Gleichgesinnte, um sich zu hauen. Vor dem Spiel, nach dem Spiel, völlig unabhängig vom Spieltag, egal. Hauptsache es kommt zum Kampf. Trotzdem sind auch Hooligans immer noch Fußballfans und nicht „sogenannte Fans“ oder der Untergang der westlichen Zivilisation. Hooligans suchen – zusätzlich zum Fußball – den Adrenalin-Kick.

Wann würden Sie schlagen?
Erstmal muss ich sagen, Pyrotechnik hat überhaupt gar nichts mit körperlicher Gewalt zu tun. Das sollten die Medien, wo wir nur noch „sogenannte Fans“ sind, endlich mal klar differenzieren. Und um die Frage zu beantworten: Wenn mich Leute mich angreifen oder partout und gezielt provozieren, regelrecht um Schläge betteln.

Ein anständiger Kopf würde das Feld räumen und gehen.
Ja, kann man machen. Man kann sich aber auch in seiner Ehre und der Ehre seiner Farben verletzt fühlen. Oder man ist einfach nicht bereit, sich alles gefallen zu lassen. Ein gern aufgeführter Grund ist dann noch der Alkohol, wobei der höchstens sein übriges dazu tut in dem er die Hemmungen senkt. Letztlich läuft es auf die Kombination Macker-Gehabe und Suff hinaus schätze ich.

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Wann genau ist so eine Schlägerei beendet?
Das kann ich ja nur für mich selber entscheiden. Für mich ist immer klar, wenn jemand auf dem Boden liegt wird nicht mehr nachgetreten. Der kriegt vielleicht noch einen mit um sein Mütchen zu kühlen, aber dann ist gut. Die Alternative, die mir lieber ist, ist wenn mein Gegenüber einfach die Beine in die Hand nimmt und das Feld räumt. Dann habe ich meine Ruhe und muss niemanden ernsthaft verletzten.

Sind Sie ein Ultra oder Hooligan?
Für die „Bild-Zeitung“ bin ich ein Hooligan und das Abendland wird irgendwann wegen mir unter gehen. Ich würde mich, wenn überhaupt, als Ultra bezeichnen.

Weiterführende Links:
www.ultrasshop.com
www.tifo.it

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Benny Semmler

Papa, Blogger, Mitgründer FRISCHER FILM, Seniorenspieler USC Paloma, Mitglied UnterstützerClub des FC St. Pauli, Towers-Fan und Gotnexxt.de-Follower.