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Christian Groß: „Die Zeiten von KICKER und BILD sind vorbei“

Als Exot will sich Osnabrücks Christian Groß nicht betiteln lassen. „Es gibt genug Teamkollegen, die auch studieren“, sagt er, als wir über seine Nebenbeschäftigung als Student sprechen. Das Interview mit dem 25-Jährigen über kluge Fußballköppe und neue Lektüren im Mannschaftsbus.

Christian, wir haben gehört, Du hattest heute einen schwierigen Tag zu absolvieren?
So anstrengend war der gar nicht. Ich hatte ja trainingsfrei und musste nur in die Uni, um eine Prüfung zu schreiben.

Was studierst Du denn überhaupt?
Ich studiere an meiner Fachhochschule Betriebswirtschaftslehre im dritten Semester.

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Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Aber Du bist Drittligaprofi beim VfL Osnabrück und dazu noch absoluter Stammspieler.
Aber als ich vor eineinhalb Jahren mit Babelsberg aus der Dritten Liga abgestiegen bin, war ich eben kein Drittligaspieler mehr. Da gelangte ich an einem Punkt, wo ich mir selber dachte, dass es doch nur ratsam wäre, einen Plan B in der Schublade zu haben. Also fasste ich den Entschluss, ein Studium aufzunehmen.

Wie muss man sich das denn vorstellen, als Fußballer zu studieren?
Das ist nicht so komplex, wie es vielleicht klingen mag. Montags, da haben wir immer trainingsfrei, bin ich von zehn bis zwanzig Uhr in der Uni. Da belege ich meine Vorlesungen und Seminare. Da mein Studium sehr variabel ist, kann ich mir meine Klausurthemen so hinlegen, dass der Uni- nicht mit Trainingsplan kollidiert. Deshalb kam es auch erst ein-, vielleicht zweimal vor, dass ich ein Training absagen oder früher verlassen musste, da eine Prüfung anstand.

Für alle Nicht-Studenten: Was bedeutet „so hinlegen“?
Wenn montags vor allem Vorlesungen für die Klausur im fünften Semester anstehen, dann kann ich dieses Modul bereits im zweiten Halbjahr ablegen. So ist es mir möglich, mit dem Fokus auf den Montag zu studieren. Ab und an komme ich aber auch an anderen Tagen nach den Trainings in die Uni, sofern es notwendig ist. Und ganz ehrlich: Wie allen anderen Kommilitonen bleibt mir das Lernen auch nicht erspart.

Wirst Du eigentlich angesprochen und erkannt?
Manchmal sprechen wir natürlich über Fußball. Aber das ist jetzt nicht so, als ob mich alle erkennen würden, wenn ich den Raum betrete. Das ist wirklich nicht der Fall.

Bitter ist es aber schon, wenn am Mittwoch die Kumpels aus der Vorlesung einen „Trinken gehen“, Du aber bleibst – gezwungenermaßen – artig daheim.
Dafür bin ich in der angenehmen Position, mir am Donnerstag viele spannende Geschichten anhören zu können.

Stört dich das nullkommanull? Ich meine, Du bist jung und in einem Alter, wo durchaus noch kräftig gefeiert werden kann.
Ich genieße aber ein anderes, und wie ich finde, auch ein schönes Privileg als am Mittwoch feiern zu gehen. Ich darf Fußball spielen. Vor 10.000 Zuschauern und bekomme auch noch Geld dafür. Um mir das zu bewahren, muss ich mich halt bremsen und bei gewissen Dingen Verzicht üben. Aber meine Karriere ist mir das absolut wert.

Droht dann aber nicht die Außenseiterrolle? Nach dem Motto: In der Uni der Typ, der nie oder selten auf Partys geht, in der Mannschaft dagegen der Akademiker?
Wenn überhaupt, bin ich einer von vielen „Akademikern“ in der Mannschaft. Es gibt genug Teamkollegen, die auch studieren. Sei es direkt vor Ort, wie ein Kollege aus meiner Mannschaft, oder etwas beliebter im Modell des Fernstudiums. Und die Zeiten, in denen im Mannschaftsbus nur Kicker und Bild herumgereicht werden, sind auch vorbei. So wechseln bei unseren Auswärtsfahrten Spiegel, Zeit und Handelsblatt regelmäßig ihre Besitzer.

Ach ja?
Ja. Und ich denke, dieser Trend setzt sich fort. Bei den Sportfreunden in Lotte, für die ich vor meinem Wechsel nach Osnabrück spielte, hat gefühlt die halbe Mannschaft ein Studium aufgenommen. Den meisten Jungs ist es wichtig, dass sie schon während der Karriere wissen, was danach kommt. Mit Mitte dreißig ist ja irgendwann Schluss, und dann gilt es, nicht in ein berufliches Loch zu fallen.

Du sprachst eingangs von einem Plan B. Den brauchst Du ja eigentlich nicht mehr, denn so wie es aussieht, bist Du näher an die 2. Bundesliga als an die Regionalliga herangerückt. Ist es das eben angesprochene Loch nach der Karriere, das dich motiviert?
Weißt Du, ich habe mir jetzt schon einen gewissen Lebensstandard erarbeitet, und wenn der Fußball vorbei ist, dann möchte ich mich ja nicht verschlechtern, sondern so weiterleben können wie bisher. Und um einen guten Job zu bekommen, der mir diesen Status sichern soll, benötige ich eben eine gute Ausbildung.

Wie sieht das eigentlich der Trainer? Hast Du keine Bedenken, dass er mal sagen könnte, „der konzentriert sich nicht genug auf den Fußball“?
Nein, die habe ich gar nicht. Auch weil wir offen darüber sprechen und er weiß, dass Fußball meine Nummer eins ist. Ich bin kein Student, der nebenher Fußball spielt. Ich bin ein Fußballer, der nebenbei studiert. So wird ein Schuh draus. Außerdem würde ich das auch andersherum sehen: Vielleicht sagen sich Profi-Trainer auch: Der macht sich mehr Gedanken, als „nur“ gegen den Ball zu treten. Diese Doppelrolle kann man doch viel mehr positiv als negativ interpretieren. Das ist zumindest meine Meinung.

Wohin soll es beruflich nach dem Fußball gehen?
Ich habe da noch keine genauen Vorstellungen. Es ist ja auch schwer, während des Profi-Daseins einen tieferschürfenden Einblick in die Praxis zu bekommen.

Naja, Du könntest im Fußballgeschäft bleiben.
Das ist mit Sicherheit eine Möglichkeit. Aber ich bin kein Typ, der lange vorausplant. Ich bin eher jemand, der sich auf das Hier und Jetzt konzentriert. Auf die Aufgaben, die nun auf mich warten und nicht erst in zehn Jahren anstehen.

Hast Du dich denn wenigstens mit dem Szenario beschäftig, wie es mit der Uni weitergehen würde, falls Du Osnabrück vor dem Abschluss deines Studium verlassen solltest?
Wieso sollte ich Osnabrück vorher verlassen? Ich habe noch eineinhalb Jahre Vertrag. Das passt doch hervorragend.

Wenn ein Zweitligist ruft?
Ich fühle mich sehr wohl in Osnabrück, denn momentan passt einfach sehr viel zusammen. Und damit meine ich ausdrücklich nicht nur den sportlichen Verlauf der Hinrunde. Außerdem bin ich ganz nah an meinem Elternhaus, welches sich in Cloppenburg befindet. Auch das ist ein erheblicher Grund dafür, sich wohlzufühlen. → Dass ich mal in der 2. Bundesliga spielen möchte, ist selbstverständlich richtig. Am liebsten würde ich das aber mit dem VfL Osnabrück wagen und umsetzen.

Stimmt es, dass du irgendwann nach Hamburg zurückkehren möchtest? Man spürte ja während deiner Zeit im HSV-Unterbau, wie gut es dir an Alster und Elbe gefällt.
Es ist schwer vorauszusagen, ob ich nochmal in Hamburg spielen werde. Aber es stimmt schon. Ich mag die Stadt und dazu kommt noch, dass meine Freundin Hamburgerin ist. Von daher ist es definitiv möglich, dass ich nach der Karriere was in Hamburg mache. Aber bis dahin ist es noch sehr, sehr lange hin.

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Wenn wir zum Ende hin noch einmal den Blick nach oben wagen, dieses Mal aber in die Bundesliga schauen: Stört es dich, oder ärgert es sogar, dass beim HSV auf einmal so rigoros auf die Jugend gesetzt wird?
Ich sprach vorhin davon, kein Typ zu sein, der weit vorausschaut und träumt. So ähnlich verhält es sich bei mir auch andersherum mit der Vergangenheit. Ich blicke nicht zurück und ärgere mich über die Dinge, die für mich nicht ideal gelaufen sind. Im Übrigen freue ich mich wahnsinnig für die Jungs, die von Joe Zinnbauer eine Chance bekommen.

Also noch Hoffnung auf ein zweites HSV-Kapitel?
Bleiben wir realistisch. Das ist ganz weit weg und steht für mich auch überhaupt nicht zur Debatte. Wenngleich es perspektivisch, also irgendwann in ferner Zukunft, eine ganz nette Vorstellung wäre.

Wir danken Christian Groß für den kleinen Plausch!

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.