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Schiedsrichter Vollmers fordert härtere Strafen

Schiedsrichter Ralph „Drago“ Vollmers über brenzlige Situationen auf dem Platz, darüber, wie er dennoch ruhig bleibt und wie er sein Auto vor den Fans versteckt.

Credit: Privatarchiv Ralph Vollmers

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Herr Vollmers, warum sind Sie Schiedsrichter geworden und kein Fußballspieler (geblieben)? Eigentlich hegten Sie ja eine tiefe Abneigung gegen die pfeifenden Ordnungshüter auf dem Platz.
Mein damaliger Verein, der SV Börnsen, suchte in den 90er-Jahren Jugendtrainer und fragte auch die Spieler der Verbandsliga-Mannschaft. Und als die Verantwortlichen meines Klubs mich fragten, antwortete ich nur lapidar: »Bevor ICH Trainer werde, werde ich eher Schiri!« Denn die Männer in Schwarz konnte ich damals nicht ausstehen, weil die mich meiner Meinung nach auf dem Spielfeld oft ungerecht behandelten, was rückblickend wohl meine exklusive Wahrnehmung war. Auf jeden Fall wurde meine freche Antwort an unsere damalige Schiedsrichter-Obfrau Wiebke weitergegeben, und die rief mich dann eines Tages an und mein te ganz nüchtern: »Ich habe dich für Januar zum Anwärterlehrgang für Schiedsrichter angemeldet!« Ich dachte zunächst, das sei ein Scherz. War aber ihr voller Ernst. Also habe ich aus meiner großen Schnauze eine Tugend gemacht und bin bis heute angenehm überrascht und sehr zufrieden damit, wie ein Schiri-Leben so ist.

Was reizt Sie an dieser Tätigkeit, die ja viel Freizeit einfordert und desöfteren mit brenzligen Situationen einhergeht?
Die immer gleiche und gleichzeitig immer neue Herausforderung! Ständig 22 verschiedene Charaktere unter Kontrolle halten zu müssen, quasi eine Mischung aus Psychiater, Polizist, Richter und Freund zu sein – und gleichzeitig erfolgreich ein Spiele zu leiten. Das ist wie Adrenalin intravenös zu bekommen, das macht süchtig. Wenn man denn nicht ständig verhauen wird …

Steht Gewalt gegen Schiedsrichter im Amateurfußball wirklich auf der Tagesordnung?
In vielen Spielklassen in Hamburg leider ja, vor allem in den unteren Ligen! Nahezu an jedem Spieltag gibt es Ärger. Mir haben sogenannte »Fans« nach einem Oberligaspiel (4. Liga!) aufgelauert und wollten mich und meine Assistenten, darunter meine Frau Anke, verprügeln. Ich habe noch eine volle Dose Bier an den Schädel bekom men, das war echt brenzlig. Ein paar Zentimeter höher, und das hätte fatale Folgen haben können. Ich habe lange überlegt, ob ich weiter pfeife oder nicht. Meine Frau hatte damals richtig Angst, das beschreibe ich auch in meinem Buch. Ihr Wohl ist für mich das höchste Gut, und dieser Vorfall hat mich echt zum Nachdenken gebracht. Gemeinsam haben wir uns dann aber entschieden, weiter zu pfeifen. Fußball ist unser Leben. Und das lassen wir uns nicht von ein paar Idioten kaputtmachen.

Und was könnten Präventionsmaßnahmen für ein ruhiges Fußballgeschäft in den unteren Ligen sein?
Wir alle können, sollten und müssen mehr miteinander reden. Das hilft, um füreinander mehr Verständnis zu haben. Motto: »Wie ticke ich, wie tickst Du?« Regelkunde für jedermann ist auch wichtig, damit die Spieler manche Entscheidungen von uns Schiris besser verstehen. Zudem fordere ich härtere Strafen und Sperren. Die Verbände müssen gerade gegen Wiederholungstäter intensiver durchgreifen können. Hier müssen die Statuten meiner Meinung nach geändert und verbessert werden. Die Gewalt-Exzesse der vergangenen Jahre sind Alarmzeichen. Noch ist es nicht zu spät. Aber es ist fünf vor Zwölf! Ich bin lange genug dabei, um das sagen und in meinem Buch ausführlicher beschreiben zu dürfen.

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Was macht für Sie die Faszination Amateurfußball aus?
Das unmittelbare Mittendrin. Als Schiri und Assistent bist Du voll im Geschehen und nicht 50 oder noch mehr Meter entfernt. Man hat Kontakt (ob man will, oder nicht!) mit Fans, Trainern, Offiziellen, und, und, und. Ihr kennt ihn alle, den Slogan »Lieber mittendrin als nur dabei!« – das macht es aus. Teil des Fußballs zu sein. Teil des Sports, Teil der Fußi-Familie. Den Sport zu leben. Und zu helfen, dass er fair bleibt.

Für Außenstehende ist es manchmal sehr schwer nachzuvollziehen, wie man in bestimmten Momenten auf dem Platz noch so ruhig und neutral bleiben kann.
Man muss versuchen, das Ganze entspannt zu sehen. Jede Situation anzunehmen und dann richtig zu entscheiden. Du darfst nichts persönlich nehmen. Auch keine Beschimpfung wie »Hurensohn« oder »Wichser«, die man sich durchaus mal anhören muss. Wenn Hektik bei den Spielern aufkommt, muss gerade ich als Schiri Ruhe ausstrahlen, um den Kickern zu vermitteln: »Hey, Jungs, bleibt doch cool, alles andere bringt uns nicht weiter!« Wir Schiris müssen weich und hart sein können. Das berühmte Fingerspitzengefühl gibt es laut Regelbuch nicht. In der Realität aber schon, ganz sicher.

Schiris stehen ja sehr oft in der Kritik. Haben Sie jemals gravierende Fehlentscheidungen getroffen?
Bestimmt habe ich das! Aber was erwarten denn alle von einem Schiedsrichter? Wir sind auch nur Menschen! Und ja – auch wir machen Fehler! Es darf natürlich nur nicht gar zu oft passieren.

Im Buch heißt es, dass Sie erst durchs Schiedsrichtersein ihren Sport richtig kennengelernt hätten. Wie genau meinen Sie das?
Ich merkte erst beim Anwärterlehrgang und dem Regelkunde-Kurs, wie »doof« ich als Spieler war. Erst jetzt machten all diese merkwürdigen Entscheidungen Sinn, welche die Schiris da immer trafen.

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Aber auch sehr private Momente, wie den Herzinfarkt Ihrer Frau, teilen Sie im Buch …
Ja, auch das passierte im Spiel, auf dem Fußballplatz. Und lehrte uns, dass Fussball nicht alles ist. Aber eine wichtige Komponente in meinem und unseren Leben. Die Fußball-Familie hat uns in dieser sehr schwierigen Zeit geholfen, ein Bekannter leistete die lebensrettende Erste Hilfe an der Seitenlinie. Beim Schreiben dieses Kapitels hatte ich Gänsehaut.

Spielen Sie heute noch aktiv Fußball oder pfeifen Sie tatsächlich nur noch?
Überwiegend pfeife ich. Wenn es zeitlich passt, kicke ich zudem in der höchsten Spielklasse der Altligen, im Trikot des SV Börnsen. Eine Granaten-Truppe, die Spieler sind untereinander sehr eng verbunden. Ganz ohne den Ball am Fuß geht es halt nicht, es ist eine Sucht. Und es gibt mir die Gelegenheit, mich endlich mal wieder selbst beim Schiri beschweren zu können (lacht).

Und wissen die Fans denn wirklich, wo Ihr Auto steht?
Ich glaube ja. Bislang stand es nach Abpfiff immer noch unversehrt auf dem Klubheim-Parkplatz, auch wenn es auch noch so viel Ärger auf dem Spielfeld gab. Also wenn die Fans meine Karre gesucht haben sollten, haben die Jungs sie bislang netterweise verschont. Oder ich habe mein Auto immer gut versteckt geparkt oder getarnt. Ein erfahrener Schiedsrichter hat da so seine Tricks.

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Benny Semmler

Papa, Blogger, Mitgründer FRISCHER FILM, Seniorenspieler USC Paloma, Mitglied UnterstützerClub des FC St. Pauli, Towers-Fan und Gotnexxt.de-Follower.