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Vitamalz und Muskelschmalz

Während der Bundesinnenminister gerade versucht, die Wogen zu glätten, weil Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen misshandelt wurden, wird in Hamburg eine Geschichte des Herzens geschrieben. Im Mittelpunkt: Eine Fußballmannschaft, gegründet von Türstehern und dem FC Lampedusa, ein Club afrikanischer Flüchtlinge.

 von Martin Sonnleitner

Denn wo die kräftigen Kerle normalerweise in den Spelunken des Kiezes dafür sorgen, dass alles am Eingang seine Ordnung hat, unterstützen sie den FC Lampedusa dabei, sich als Mannschaft zu organisieren. Sie haben ihnen einen Trainingsplatz besorgt und kümmern sich um das Drumherum, agieren als Türöffner für die aus diversen afrikanischen Ländern stammenden jungen Männer. Diese haben nun am Samstag (10.45 Uhr, Sportplatz Memellandallee 5a in Bahrenfeld)) sogar ihr erstes Pflichtspiel in der Hamburger Freizeitliga.

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Große Klappe und die Türsteher-Clique

Sie heißen „Big Say“, was frei übersetzt große Klappe heißt, „Rambo“, „Spice“ und „Mystikal“. So skurril ihre Künstler- oder Aliasnamen auch sein mögen, auf dem Platz bewegen sich die Afrikaner mit äußerster Eleganz. „Echte Athleten“, sagt Ralph Hoffmann. Auch ansonsten haben sie, die eine langen Fluchtweg hinter sich haben, den allerbesten Leumund. „Das sind ganz tolle Jungs, 100 Prozent sozial kompatibel“, ergänzt er. Hoffmann ist Vorsitzender des FC Hamburger Berg, ein Verein, der vor drei Jahren von einer Türsteher-Clique auf dem Kiez ins Leben gerufen wurde.

Als vor wenigen Monaten eine Rundmail rumging und Vereine gefragt wurden, ob sie Flüchtlingen einen Platz bieten könnten, war für Hoffmann und Co sofort klar: „Das ist eine Selbstverständlichkeit.“ Seitdem kicken die Afrikaner dreimal die Woche im Hamburger Westen, es sei ein äußerst produktives Geben und Nehmen, betont Hoffmann. „Sie haben sich total gefreut, aber auch wir können viel von ihnen lernen.“

Die Freunde vom FC Hamburger Berg, die in der Kreisklasse 6 kicken, integrierten den FC Lampedusa sogar in ihren Verein als zweite Mannschaft. Montags und Freitags trainieren sie nun bei ihnen mit, Mittwochs als geschlossene Gruppe, die von einer Frau trainiert wird. Auf dem Platz ginge es um das Miteinander, der Kulturkreis spiele hierbei überhaupt keine Rolle. „Die sind cool, witzig und haben Lebensfreude“, sagt Hoffmann. Viele seien Moslems, weshalb immer eine Kiste Vitamalz bereit stehe.

Knochen, Windsturm und der FC Tippel

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Gerade tunnelt „Bone“ geschickt einen Gegenspieler. Der Afrikaner, gerade mal 20, hat eine Koordination, die für höhere Ligen reichen müsste. Er ist einer von 300 Flüchtlingen, überwiegend junge Männer, die Anfang vergangenen Jahres in Hamburg Zuflucht suchten. Sie waren von ihren Herkunftsländern, über die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa, bis in den Norden der Republik geflohen. Zunächst kamen sie in Flüchtlingslagern unter, dann wurden sie mit Touristen-Visa in Richtung Norden geschickt und landeten schließlich in der Elbmetropole. Als „Lampedusa-Flüchtlinge“ machten sie bundesweit Schlagzeilen, als 80 von ihnen in der St.Pauli-Kirche Unterschlupf fanden, heute sind sie über die ganze Stadt verteilt. Ihr rechtlicher Status ist teilweise prekär, einige Pässe hat die Stadt einkassiert, weshalb sie laut Regularien des Hamburger Fußball-Verbandes (HFV) auch nicht in einer offiziellen Liga spielen dürfen.

Thomas Schmidt, Schiedsrichter-Obmann bei der Hamburger Freizeit-Fußball-Gemeinschaft (HFFG) erklärt, warum es jetzt dennoch mit dem Kicken in einem Ligabetrieb klappt: „Wir nehmen sie gerne in der Freizeit-Liga auf, sie dürfen aber nur Freundschaftsspiele austragen und nicht auf- und absteigen.“ Es gibt in Hamburg noch ein Team, dem dies verboten ist: den Knastbrüdern von Eintracht Fuhlsbüttel. Aus der Tabelle werden sie dann am Ende der Saison rausgestrichen.

„Es geht um Freundschaften, berufliche Kontakte und die Möglichkeit, Spaß zu haben“, beschreibt Schmidt die soziale Notwendigkeit für „Bone“ und Co., am Ligaalltag teilzunehmen.  Samstag nun wird es ernst. In der vierten Division der Freizeitliga geht es gegen die Hamburg Hurricans. Auch Holzmühleneck, eine Kneipenmannschaft aus Wandsbek, oder der FC Tippel stehen dann auf der Liste kommender Gegner. Gepfiffen wird das Spiel wohl von einem Schwarzafrikaner, der sieben Sprachen spricht.

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Martin Sonnleitner

Sonnleitner ist seit 38 Jahren mit dem HSV verbunden, seit zwölf Jahren Rothosen-Reporter. Versucht mit Inbrunst zu trennen zwischen Herzblut und Expertise. Lieblingsspieler: Peter Nogly und Schorsch Volkert. Abstrahiert auch gerne mal den Fußball-Boulevard.