Warum Hansa am Ende der Saison aufsteigt
Schon wieder eine Kolumne. Dabei rang der BTB-Kolumnist Hannes Hilbrecht noch vor kurzem mit einem heftigen Kater und dem schlechten Gewissen. Was half: Der Gedanke, dass der FC Hansa am Ende der Saison in der 2. Liga aufsteigt. Vielleicht. Die Extradosis Euphorie nach dem erfolgreichen Nordduell gegen Meppen.
Screenshot: magentasport.de
Eigentlich sollte dieser Blog gestern erscheinen. Aber gestern war nach den dramatischen Vorfällen in Halle kein Tag, an dem wir über Fußball schreiben wollten.
Oma war nicht amüsiert. Am Sonntag gab es zu Opas 86. Ehrentag ein prächtiges Familienessen. Gebackenes Wildschwein mit Kartoffelsalat. Ganz feine Sache. Nur saß ich kaum am Esstisch, sondern lag wie betäubt auf dem Sofa. Das Erntefest vom Vorabend klopfte von innen an meine Schläfen.
Was das mit Hansa zu tun hat? Oma zu verärgern, war nicht meine kühnste Tat des Wochenendes. Am Abend zuvor war ich noch mutiger. Ich versprach ein paar Jungs vom Dorf, alles Hansafans, dass die Rostocker am Ende der Saison aufsteigen werden. Ich gab meine Hand darauf. Mit einem älteren Bekannten beschwor ich mein Versprechen mit einem alten Ritual. Wir nahmen gemeinsam eine “Jacke”. Wilthener Goldkrone pur. Das erklärt vielleicht so einiges.
Nun aber zum eigentlichen Punkt. Je mehr ich am Sonntag im Couch-Exil über meinen vermeintlichen Frevel eines falschen Versprechens nachdachte, desto klarer wurde es: Ja, der FC Hansa Rostock steigt am Ende der Saison auf. Der Cognac, der meine Eingeweide durchgeschüttelt hatte, wird nicht umsonst gewesen sein. Und jetzt erkläre ich euch in vier Punkten, warum ich an einen epischen Saisonverlauf glaube – und auch, was bis dahin noch passieren muss.
// 1 Hansa ist trotz einiger Schwächen konkurrenzfähig
Elfmal hat der FC Hansa in dieser Saison gespielt. Vier Siege, vier Remis und drei Niederlagen – das ist die Definition von Mittelmaß. Es gibt aber auch eine andere Lesart: Hansa hat noch kein Spiel mit mehr als einem Tor Unterschied verloren. Jedes Spiel war ein One-Score-Game. Die drei Niederlagen gingen alle 0:1 aus. Das knappste aller möglichen Ergebnisse. Überhaupt: Der FC Hansa hat nur in zwei Spielen mehr als ein Gegentor bekommen – und die sogar nicht verloren. Der FC Hansa ist also extrem competitive, wettkampffähig. Selbst wenn die Mannschaft nicht gut spielt und die Spieler kaum harmonieren – die Härtel-Elf bleibt immer bis zum Schluss im Spiel. Sie lag nie mit mehr als einem Tor hinten. Das ist eine beeindruckende Qualität.
Die noch erstaunlicher wird, wenn man sich die Stärke des Spielplans anschaut: Hansa spielte an den ersten zehn Spieltagen gegen acht Teams aus der aktuellen Top-10.*
*Daten wurden vor dem Spiel Duisburg vs. Meppen ausgewertet.
Punkte und Torverhältnis von Hansas bisherigen Gegnern:
158 Punkte, +26
Punkte und Torverhältnis von Hansas kommenden Gegnern:
100 Punkte, -26
Wichtig ist aber: Hansa muss gegen Außenseiter endlich konstant gut spielen. Dann könnte der FC Hansa mit 20+Punkten die Hinrunde beenden – und wäre damit weiter im Aufstiegsrennen.
// 2 Hansa hat auf allen Schlüsselpositionen potenzielle Topspieler
Was sind die Schlüsselpositionen in der Dritten Liga? Für mich sind das: der Torwart, die Außenverteidiger, das zentrale Mittelfeld, der Stürmer.
Warum? Weil diese Spieler den größten Einfluss auf ein Spiel nehmen können. Ihre Leistung wirkt sich nicht nur auf ihren direkten Bereich, sondern besonders stark auf das Gesamtbild des Teams aus.
Über Markus Kolke müssen wir nicht reden: Er ist einer der Top-Keeper der Liga und ein Typ, der anführt.
Außenverteidiger sind im modernen Fußball mehr als ein Teil der Viererkette. Sie schaffen in der Vorwärtsbewegung Überzahlsituationen und entknoten das Spiel, machen es breit. Sie können, wenn sie richtig gut sind, sogar die Innenverteidigung stabilisieren. Mit Nico Neidhart und Nils Butzen besitzt Hansa eines der besten Duos der Liga.
Neidhart und Butzen fangen sogar zwei talentierte, aber bisweilen noch unsichere Spieler wie Reinthaler und Sonnenberg gut auf. Teilweise steht die Abwehr ohne die auf dem Papier besten Innenverteidiger (Riedel und Straight) deutlich sicherer als die Viererkette um Hüsing und dem besagten Riedel in der Vorsaison. Woran das liegt? Man denke nur daran, wie oft die Innenverteidiger im Vorjahr für Scherff, Rieble oder Rankovic ausputzen mussten – und so im Zentrum kaum ihren Hauptjobs nachgehen konnten.
Im zentralen Mittelfeld, gerade auf der Acht oder auf der Zehn, können hervorragende Spieler sowohl die beiden Außen, den Sechser und natürlich den Stürmer direkt beeinflussen. Mit Mirnes Pepic und Korbinian Vollmann kann Hansa hier zwei unfassbar ballbegabte Spieler aufstellen. Sie sind mit Ball sehr agil, haben eigentlich einen guten Schuss und beide können sie mutige Pässe spielen. Sie sind die Kreativ-Direktoren des Hansa-Spiels. Wenn beide in Topform sind, zählt Hansa in diesem Bereich zur Ligaelite. Nur fehlt gerade Vollmann noch das Spielglück und die dauerhafte Präsenz. Doch seit Leo Haas und Tom Weilandt gab es keinen Zehner in Rostock, der mit vergleichbaren Veranlagungen überzeugte.
Bleibt der Sturm: Drittliga-Mannschaften, die in die 2. Bundesliga aufsteigen konnten, profitierten fast immer von einem Edelstürmer. Bei Wehen-Wiesbaden war es zuletzt Manuel Schäffler. Bei Karlsruhe zunächst Anton Fink, später Marvin Pourie. Bei Hansa deutet Pascal Breier an, dass er dieser Stürmer sein könnte. Seitdem Breier nur noch im Sturm eingesetzt wird, hat er in jedem Spiel getroffen. Fünfmal in den vergangenen vier Spielen. Auch erspielte sich Breier in beinahe jedem Spiel eine große Torchance. Er muss sie nur noch besser nutzen. Hält Breier seinen Schnitt, landet er am Ende bei etwa 20 Toren. Und das obwohl er viel von dem, was er über Laufwege und seinen Spiel-IQ kreiert, liegen lässt. Positiv: An Abschlussqualitäten kann man eher arbeiten als an der Spielintelligenz- und der Intuition. Gegen Meppen nutzte Breier seine Chancen effizient.
// 3 Jens Härtel hat seine Flexibilität bereits bewiesen
Gute Adjustments machen aus einem ordentlichen Trainer einen sehr guten Coach. Adjustments, US-Sport-Fans werden den Begriff kennen, sind personelle und taktische Anpassungen. Wenn etwas nicht funktioniert, muss man etwas verändern. Selbst wenn es die eigene Pläne betrifft. Eitelkeit ist die größtmögliche Schwäche eines Coaches. Der Fußballtrainer Karsten Neitzel schrieb erst kürzlich im Mandarin-Magazin “GrowSmarter” über den Mut, eigene Entscheidungen rückgängig zu machen. Jens Härtel hat bereits zahlreiche Anpassungen vorgenommen. Die meisten führten bisher zum Erfolg. Das ist ein gutes Zeichen.
Ein paar offensichtliche Beispiele:
Seit der Umstellung von Dreier- auf Viererkette hat der FC Hansa deutlich weniger Großchancen zugelassen. Auch das Abstellen der Überaggressivität in der Manndeckung half rasch.
Der bereits aussortierte Kai Bülow bekam eine neue Chance und war im September vielleicht Hansas bester Spieler. The Big Bülowski eben.
Härtel setzt den laufstarken, aber technisch etwas limitierten Butzen durchgehend als Außenverteidiger ein. Damit schafft Härtel mehr Platz für Spieler mit offensivem Mindset. Butzen, der mit einer Pferdelunge überzeugt, war gegen Meppen richtig, richtig gut – besonders als einlaufende Verstärkung auf dem rechten Flügel.
Härtel löste sich zudem von seinem Hang, einen Hauklotz von Stürmer in den Angriff zu stellen. Der spielstarke Pascal Breier „gratwandert“ jetzt dort an der Abseitsgrenze und schoss seit seiner Rochade in die Spitze in jedem Spiel ein Tor. Hansa kann Spiele am Boden gewinnen, ganz ohne Kick and Rush. Härtel nutzt die Qualitäten seiner Mannschaft immer effektiver.
// 4 Die Hälfte der Startelf kann noch viel besser werden
Von den 14 Spielern, die in Mannheim eingesetzt wurden, waren am Spieltag nur drei!!! 29 oder älter. Das heißt: Viele Spieler sind noch weit weg von ihrem Maximum. Besonders Spieler wie Opoku, Sonnenberg, Vollmann, Nartey und Pepic besitzen alle Anlagen. Sie reifen mit jedem Spiel. Viel spricht dafür, das Rasmus Pedersen ebenso bald seine Chance in der Startelf bekommt. Hansa baut auf eine der jüngsten Mannschaften der vergangenen Jahre. Und diese Teams werden durch Reifeprozesse und Wettkampfpraxis im Saisonverlauf häufig gefährlicher, weil die Talente dazulernen und gleichzeitig auch körperlich zulegen, besser mit der Belastung umgehen.
Doch welches Problem muss bis zur Perspektive Aufstieg gelöst werden?
Die Sache mit dem Kopf. Hansa hat bereits vier Führungen verspielt und dreimal wurde es nach einem 2:0 noch richtig eng. Hansa hat einen guten Jab, schlägt oft und schnell zu. Aber richtige KOs gelingen noch nicht. Es kommt einem vor, als ob die Mannschaft permanent Angst hat, das soeben erreichte, eine Führung zum Beispiel, wieder zu verlieren. Hansa braucht dringend ein 3:0 oder ein 4:0. Einen deutlichen Sieg. Selbstvertrauen. Der letzte Schritt zum Spitzenteam ist die Qualität, die Spielkontrolle in Dominanz zu verwandeln. Hier muss Jens Härtel mutmaßlich am meisten investieren. In die Mentalität und auch in die taktische Ausrichtung bei Führungen.
Gegen Meppen jedenfalls war Hansa richtig nah dran an einem deutlichen Sieg. Das macht fast mehr Mut als die drei wichtigen Punkte.