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Der Lübecker Weg

In den letzten 20 Jahren wanderte der VfB Lübeck von der 2. Bundesliga bis runter in die Oberliga und durch zwei Insolvenzen. Nun hat sich der Verein runderneuert. Wir sprachen mit Sportvorstand Wolf Müller und dem frisch gebackenen Marketing- und Teammanager Sven Theißen über die Wünsche des Vereins zum hundertjährigen Geburtstag 2019.

„Zu unserem einhundertjährigen Jubiläum würden wir gern wieder in den bezahlten Fußball zurückkehren“- der Lübecker Sportvorstand Wolf Müller gibt ein langfristige Ziel vor. Es scheint nicht vermessen. Nach dem schweren Weg in die 5. Liga kehrte der VfB als souveräner Meister in die Regionalliga zurück und spielt sich mit einer talentierten Mannschaft in der oberen Tabellenhälfte fest. Doch wie Müller pflegen alle Handelnden an der Lohmühle zur Zeit lieber den Konjunktiv, wenn es um Zukunftspläne geht. Selbstverständlichkeiten gibt es nach den zwei erfolgreich überstandenen Insolvenzen 2008 und 2012 an der Lohmühle nicht mehr.

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Der 5. November 2012 war die wohl dunkelste Stunde in der Vereinsgeschichte der Grün-Weißen. Beim Amtsgericht Lübeck stellte der Verein einen Insolvenzantrag – gerade einmal zweieinhalb Jahre nachdem der VfB die erste Insolvenz hinter sich gebracht hatte und gerade aus dem Gröbsten raus schien. Die Fassungslosigkeit war weit über die Grenzen des Vereins hinaus spürbar.wolf_mueller

Doch der Herbst 2012 war auch eine Zeit der radikalen Umbrüche. Bei der Jahreshauptversammlung Ende Oktober verkündete Präsident Wolfgang Piest seinen Rücktritt. Auch für den bisherigen Vorstand und Aufsichtsrat war der Irrweg hier zu Ende, jeglicher Kredit der Verantwortlichen war verspielt. „Das Vertrauen, welches uns durch diese Ereignisse verloren gegangen ist, versuchen wir uns mühsam wieder zu erarbeiten“, blickt das heutige Vorstandsmitglied Wolf Müller zurück: „Die handelnden Personen und die Art der Vereinsführung sind jetzt eine andere“.

In Lübeck setzt man auf den Austausch zwischen Vorstand, Mannschaft und Fans. Im Aufsichtsrat sitzen Fanvertreter, Spieler engagieren sich auch neben dem Platz für den Verein. Beispielhaft dafür steht Sven Theißen. Bis Ende der abgelaufenen Saison war der 26-Jährige zentraler Mittelfeldspieler in der Regionalliga und arbeitete nebenbei auf der Geschätsstelle des Vereins mit. Gerade hat er die Bereiche Marketing und Sponsoren in Vollzeit übernommen und fungiert als Teammanager. In Gesprächen mit möglichen Unterstützern merkt er, wie viel Kredit der VfB in den letzten Jahren verspielt hat. „Zurzeit ist noch nicht jedes Gespräch mit neuen potentiellen Sponsoren durchweg positiv“, bewertet er den erlittenen Imageverlust: „Viele Firmen und Personen wurden zu sehr enttäuscht“. Doch Theißen gibt sich kämpferisch: „Das verlorene Vertrauen, welches spürbar wächst, möchten wir uns weiter Stück für Stück erarbeiten“. Insgesamt registriere er „überwiegend Zustimmung“ für die neue Vereinspolitik.

Doch was macht der VfB Lübeck nun überhaupt anders? „Eines unserer Paradigmen ist es, unsere Ziele mit gebotener Demut zu verfolgen“, so Wolf Müller. Den „Verein unabhängig von handelnden Personen für die Zukunft zu rüsten“, ist ein Lehre die er aus der Vergangenheit zieht. Lange eine dominante Rolle nahm ohne Zweifel der ehemals mächtige Wirtschaftsvorstand Günther „Molle“ Schütt ein. Sein Rückzug und die anschließenden Jahre in der ruinösen zweigeteilten Regionalliga setzten dem VfB nach dem zweiten Abstieg aus der 2. Bundesliga schwer zu.

Zukünftig gehe es darum, den Verein mit „hanseatisch-kaufmännischer Vernunft“ zu führen und eine „trennschärfere Herausbildung der eigenen Identität“ zu erreichen, so Müller. Neue Konzepte wie die Hansekicker, mit denen die Jugendarbeit gestärkt wird, und der „Club der Hanseaten“, mit denen Sponsoren enger an den Verein gebunden werden, verdeutlichen den Willen des Vereins zu einer anderen Positionierung. Der Club sucht die Verbindung zu seiner Stadt, die ihm zu lange zu fehlen schien. Große örtliche Firmen, die es in Lübeck durchaus gibt, verzichten seit jeher auf ein größeres Engagement. Nun will der Verein unternehmerisch und auch sportlich neu überzeugen.vfb_banner_400_400

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→ Zum kompletten Interview mit Dr. Tim Cassel (69 Cent)

Beim Schleswig-Holsteinischen Fußballverband gibt man sich begeistert von dem neuen Wind, der in der Hansestadt weht. Als „grandios“ bezeichnet Dr. Tim Cassel, stellvertretender Geschäftsführer des SHFV und ehemaliger Torwart des VfB, die Arbeit an der Lohmühle. „Man hat in der sportlichen Leitung absolute Topleute, was sowohl für den Herrenbereich als auch für den Jugendbereich gilt“, so Cassel. „Man merkt, dass schrittweise ein Konzept verfolgt wird, dass auch von den Zuschauern angenommen wird“, urteilt der promovierte Sozialwissenschaftler: „Wenn man diesen Weg weitergeht, wird die Zukunft des Vereins wieder sehr positiv aussehen.“

Mitte März berichteten die Lübecker Nachrichten, der VfB Lübeck plane erstmals wieder mit einem Millionenetat. Eine finanzielle Erfolgsmeldung, die als Basis für eine stufenweise sportliche Entwicklung dienen soll. Das Stadion, einst in der Euphorie der Zweitklassigkeit durch treibende Kräfte wie Bauunternehmer „Molle“ Schütt mit einer modernen Haupttribüne versehen, bietet bis auf eine Rasenheizung die Voraussetzungen für höherklassigen Fußball. In kleinen Schritten nähern sich die gesamte Infrastruktur und auch die Mannschaft diesem Standard an.

Doch wie werden an der Lohmühle die Einladungskarten zum großen Jubiläum bedruckt? Nachdem das Ziel „in der Regionalliga ankommen“ so gut wie erreicht ist, soll laut Wolf Müller darum gehen, sich im kommenden Jahr im „oberen Tabellendrittel festzusetzen“. Das wäre 2016 – noch ein wenig Zeit bis zum 100 Geburtstag. „Welche Schritte dann notwendig sind, um zum Jubiläum im bezahlten Fußball zurück zu sein, kann sich ja ein jeder denken“, gibt der Sportvorstand das große Ziel ganz defensiv vor. Beim VfB werden keine großen Töne mehr gespuckt. Aber zurück nach oben, das wollen sie hier alle.

Tim Pommerenke